Mit der heißen Nadel gestricktes Live-Fernsehen: Weshalb «Die Quarantäne-WG - Willkommen zuhause!» wie die RTL-Antwort auf «Fest & Flauschig» anmutet ...
Corona macht kreativ: Spontan neu erdachte Sendungen
Der aufgrund der Corona-Pandemie zwischenzeitlich befürchtete Totalstopp neuer Unterhaltungsproduktionen wird von Deutschlands Fernsehsendern derzeit findig vermieden: Sendungen wie «Let's Dance» und «The Masked Singer» finden schlicht ohne Publikum statt, Comedyformate wie «Late Night Berlin» lassen obendrein ihre übliche Form hinter sich und improvisieren stärker. Und damit noch nicht genug: Die Privatsender stampfen derzeit in hohem Tempo neue Sendungen aus dem Boden, die zugleich mehrere Aspekte erfüllen: Menschen dazu anregen, zuhause zu bleiben. Das Bedürfnis nach Ablenkung von den Corona-Sorgen stillen. Und die Sendungen sollen auf möglichst kleine Crews setzen, um möglichst wenig Menschen aus dem Team unnötigerweise aus ihrem eigenen Wohnzimmer zu zerren.
Diese Einleitung kommt euch bekannt vor? Ja, das ist gut möglich –
denn so haben wir schon unsere Kritik zur neuen, täglichen Sat.1-Sendung mit Luke Mockridge begonnen. Knapp eine Stunde nach dem Debüt von «Luke allein zuhaus» legte RTL mit seiner eigenen, neuen, täglichen Live-Sendung nach: «Die Quarantäne-WG - Willkommen zuhause!», die einen irreführenden Titel hat. Denn von den drei regulären Gastgebern, Oliver Pocher, Günther Jauch und Thomas Gottschalk, befindet sich nur der Jüngste in Quarantäne, da er positiv auf Covid-19 getestet wurde. Jauch und Gottschalk wiederum hocken aus reiner Vorsichtsmaßnahme in ihren eigenen vier Wänden. Was Punkt zwei in der Titellüge klar macht: Die WG ist bloß eine rein virtuelle, die sich einmal täglich via Skype-Videochat trifft.
Und somit sind wir schon bei den Unterschieden zwischen «Luke allein zuhaus» und «Die Quarantäne-WG» angelangt. Während «Luke allein zuhaus» eine mit reduziertem Aufwand produzierte Unterhaltungsshow ist, ist «Die Quarantäne-WG» ein zur besten Sendezeit über den Äther geschickter Podcast. Insofern müssen Jauch, Gottschalk und Pocher weniger an Luke Mockridges Bemühungen gemessen werden, als an den neuen «Fest & Flauschig»-Folgen, in denen Olli Schulz und Jan Böhmermann derzeit in gesteigerter Taktung über Corona quatschen und nebenher auch einfach nur Quatsch machen.
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Die Menschen müssen zusammenhalten, indem sie nicht zusammen sind. Das ist für uns alle eine nie dagewesene Situation. Millionen kommunizieren deshalb hauptsächlich digital miteinander. So ist die Idee der «Quarantäne-WG» entstanden.
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Günther Jauch über den Ursprung der Sendung
Der Schwerpunkt von «Die Quarantäne-WG» liegt (getreu dem Namen der dafür verantwortlichen Produktionsfirma i & u TV) bei kurzweiliger Information – wobei die Spontaneität, mit der das Format ins Leben gerufen und umgesetzt wurde, der ersten Ausgabe überdeutlich ins Gesicht geschrieben steht. Anders als im hoch sachlichen und informativen, dennoch niemals trockenen NDR-Podcast «Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten» wird in «Die Quarantäne-WG» viel Hörensagen weitergetratscht. Immer wieder sagen Gottschalk und Jauch, sie wüssten ja nicht so genau, hätten aber nun ja genug Interviews mit Virologen gehört – da war man schon sehr glücklich, als Thomas Gottschalk nach einer Werbepause versprach: „Wir befinden uns noch in der Versuchsstrecke, bis morgen werden wir uns in allem verbessern.“
Bleibt zu hoffen, dass man Wort hält. Denn anders als «Luke allein zuhaus», das einfach nur unterhalten will, oder die aktuellen «Fest & Flauschig»-Folgen, wo sich vorbereitete Informationen und klipp und klar als solches gekennzeichnete Geblödel die Klinke in die Hand geben, muss sich «Die Quarantäne-WG» in der Auftaktfolge einen bestimmten Kritikpunkt gefallen lassen:
Als Sendung, die im locker gehaltenen Ambiente dennoch einen informativen Charakter erhebt, ging die erste Ausgabe teils kritische Tiefen durch, in denen man nicht gerade das Ziel verfolgt hat, für mehr Vernunft zu sorgen. Dass Günther Jauch mit all seiner Autorität, die ihm Millionen von Fernsehenden zusprechen, beim Stichpunkt „Sich nicht sicher fühlen“ Thomas Gottschalk mahnend daran erinnert, dass die Behörden ja nach Tschernobyl bewusst Fehlinformationen gestreut hätten, ist wahrlich nicht das, was man im Zeitalter unzähliger Verschwörungstheorien und massenhafter Verunsicherung zur Primetime im größten deutschen Privatsender hören will. Und dass Thomas Gottschalk zu Beginn der Sendung noch vor sich hin plappert, dass er als Vertreter der Corona-Risikogruppe unsicher ist, ob er sich das nicht vielleicht schnell holen sollte, damit er es hinter sich hat, darf einen in eine Minikrise versetzen.
Jedoch spielte sich der Großteil der ersten «Die Quarantäne-WG»-Ausgabe zum Glück auf einem gesitteten Niveau ab. Dazu haben vor allem die weiblichen Gast-Gesprächspartner beigetragen: Laura Karasek erklärte, wie sie als Diabetikerin auf die Pandemie reagiert, da sie durch ihre Vorerkrankung ebenfalls zur Risikogruppe gehört. Und eine Doktorin aus Essen beantwortete schlagfertig sowie sachlich die Fragen der drei Moderatoren – und gab auch eine ruhige, zugleich ermahnende Reaktion auf Gottschalks einleitenden Gedanken.
Darüber hinaus zeigt «Die Quarantäne-WG - Willkommen zuhause!», welche Entertainment-Chemie einfach entsteht, wenn man Günther Jauch, Oliver Pocher und Thomas Gottschalk zusammenpackt und an der langen Leine lässt. Wie sie sich gegenseitig necken und trotzdem mit kollegialem Respekt begegnen, ist sehr vergnüglich anzuschauen (selbst in einem Video-Podcast) und macht Lust auf eine gemeinsame Show dieses Trios im großen Rahmen. Auch interessant: Pocher behauptete sich als die vernünftigste Person im «Die Quarantäne-WG»-Stammtrio. Mehrmals drosselte er etwaig aufkommende Kopflosigkeit im Gespräch der Showgrößen, indem er Mut machte, und er sprach auch ganz besonnen über seine eigene Erkrankung.
Und anders als bei einigen anderen aktuellen Shows im Impro-Modus kommt bei «Die Quarantäne-WG - Willkommen zuhause!» fast gar kein Leerlauf auf – schlicht, weil halt drei gesprächsfreudige Moderatoren durch die Sendung führen. Kurzum: Wer sich über Corona fundiert informieren will, ist bei «Die Quarantäne-WG» offenbar an der völlig falschen Adresse, doch betrachtet man das Format als Privatfernsehen-Experiment, das Podcast und RTL-Infotainment vereint, ist die Sendung eine durchaus kurzweilige Ausnahme vom TV-Alltag. Die Experimentierfreude und Spontaneität des deutschen Privatfernsehens ist aktuell also zu begrüßen – an der Umsetzung lässt sich aber noch schrauben.
«Die Quarantäne-WG - Willkommen zuhause!» läuft montags bis freitags um 20.15 Uhr bei RTL.
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