Obacht, Endemol Shine Germany: Möglicherweise ist jetzt die letzte Möglichkeit, die Marke «Big Brother» vor einer langen Pause zu bewahren. Und Obacht, Sat.1: Möglicherweise ist jetzt die letzte Möglichkeit, sich mit vergleichsweise einfachen Mitteln einen ordentlichen Quotenkracher für den Vorabend zu sichern. Warum Staffel 13 fast im Eimer ist. Aber nur fast.
Seit 2000 fasziniert
«Big Brother» in Deutschland zahlreiche Menschen. In seinen besten Zeiten waren es um die zwei Millionen Menschen, die nicht Tag für Tag, aber doch regelmäßig, dem regen Treiben in Deutschlands bekanntester TV-WG zuschauten. Noch heute erinnern sie sich an Bewohner wie Franzi, Sascha, Jerry, Harry oder Jürgen und Zlatko. Wie wird man in 20 Jahren über die Bewohner der nun 13. Staffel sprechen, die im Sat.1-Programm derzeit deutlich schwächer performt als gedacht? Was wird also in Erinnerung bleiben von Mac, Cedric und Michelle?
Mit Blick auf die jüngsten Quoten – nur noch gut fünf Prozent Marktanteil bei den klassisch Umworbenen bei der Live-Show am Montag, die zudem weniger als eine Million Sehbeteiligung insgesamt holte – lässt sich die Nervosität hinter den Kulissen erahnen. Jetzt mit erhobenem Zeigefinger zu sagen, dass Minderleistungen im Management und in der Staffelplanung für die Quoten-Talfahrt verantwortlich sind, wäre sicherlich zu einfach. In der Tat hat die Quotenkrise beim großen Bruder aber diverse Gründe. Einige davon wären eigentlich relativ leicht abzustellen, so der Sender es den wollte.
Problem 1: Content-Wust im TV!
Was ist einer der generellen Unterschiede zwischen dem Jahr 2000, dem Jahr 2003, als «Big Brother» mit Staffel vier erstmals auf den Vorabend wechselte und dem Jahr 2020? Sicherlich der massive Anstieg an stets verfügbarem und hochwertigem Content. Streamingdienste wie Netflix ermöglichen es, hochkarätige Serien- und Realityware in dem Tempo zu sehen, wie es jeder mag. Nicht wenige empfinden etwa das neue «The Circle» als gelungene Reality-Show und somit auch als Alternative zum großen Bruder. Mit all diesem Formaten von internationalen Playern und auch deutscher Konkurrenz («Das Sommerhaus der Stars», «Love Island» oder «Berlin – Tag & Nacht» sei hier nur stellvertretend genannt) muss sich das klassische «Big Brother» messen lassen. Zudem präsentieren zahlreiche YouTuber im Internet tagtäglich sich und ihren Lebensalltag.
Problem 2: Aus der Zeit gefallen?
Als generelles Problem kann sicher auch angesehen werden, dass das Erleben des reinen Alltags von Menschen im Jahr 2020 deutlich weniger spannend ist als noch vor 20 Jahren. Damals gab es noch keine sozialen Medien, kein Twitch und keine sonstigen Livestreams Sämtliche dieser Angebote sind zeitlich frei verfügbar, «Big Brother» quasi nur um 19 Uhr – Joyn liefert die aktuellen Folgen mit zeitlicher Verspätung, der Weg zu Sat1.de ist vergleichsweise umständlich. Apropos: Dass ausgerechnet «Big Brother» und das beauftragende Power-Entertainment-Haus ProSiebenSat.1 bewusst auf den Start eines solchen 24-Stunden-Streams verzichtet hat, ist wohl eine der Kern-Fehlentscheidungen, die getroffen wurden. Selbst beim einst neuartigen «Newtopia» gab es solche – gern genutzten – Streams.
Problem 3: Wie entsteht Bindung?
In einer Zeit also, in der es Content im Überfluss gibt, haben es Neustarts – speziell im Daily-Bereich – schwer. Wir erleben, dass seit «Köln 50667», gestartet 2013, kein neues Daily-Drama im Privatfernsehen etabliert werden konnte – zahlreicher Versuche zum Trotz. Den Zuschauer und die «BB»-Kandidaten möglichst schnell zu verschmelzen, müsste also Kernaufgabe der Macher sein. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Die mit markigen Worten angekündigte Social-Media-Strategie ist ein laues Lüftchen, das in der Regel aus maximal vier-minütigen Clips besteht. Die Chance, hier ganze Gesprächssituationen von vorn bis hinten zu zeigen, wird liegen gelassen. Stattdessen gibt es teilweise Clips mit den besten Dusch-Szenen des Tages. Sind die Macher gedanklich doch noch im Jahr 2000, wo man TV-Formate wie «Big Brother» brauchte, wenn man nackte Haut sehen wollte?
Social Media wird quasi auf die Sterne-Bewertung reduziert – diese war allerdings vor 20 Jahren neu, als Amazon seinen Siegeszug antrat…
Problem 4: Der Cast ist zu stark!
Man mag es kaum glauben: «Big Brother 13» wartet mit dem besten und zugleich problematischtem Cast seit Staffel vier oder fünf auf. In der Tat wurde es von zahlreichen Fans und Beobachtern mit Wohlwollen aufgenommen, dass Sat.1 darauf verzichtet hat, nur laute und dringend nach Aufmerksamkeit strebende Jungspunde ins Haus zu schicken. Stattdessen erleben wir teils sehr reflektiert und sozial handelnde Kandidaten, die mit diesem Handeln aber die typischen «Big Brother»-Mechanismen zum Erliegen bringen. Es entsteht eben kein heftiger Streit nach den „Stunden der Wahrheit“, in dem die Bewohner die Lästereien ihrer Freunde vorgeführt bekommen. Tränen fließen nur manchmal – selbst der Zigaretten-Entzug, den «Big Brother» verordnet hat, führte noch nicht zu allzu großen emotionalen Ausbrüchen. Stattdessen handeln die Bewohner miteinander und immer sozial.
Problem 5: Phase 2, 3, 4
Als erste Reaktion auf die unter den Erwartungen bleibenden Zuschauerzahlen hatte Sat.1 das Blockhaus nach gerade einmal zwei Wochen geschlossen und damit wesentliche Spielregeln eingestampft. Noch in der Einzugsshow hatte man ausführlich erklärt, wie der soziale Auf- und Abstieg, der Einzug in den digitalen Detox, funktionieren soll. Für die Tonne! Doch die Reduzierung des Wohnraums auf das modernere Glashaus hat das Gegenteil bewirkt – die Quoten sind weiter gesunken. In weiteren Fällen hat sich «Big Brother» nicht an die eigenen Regeln gehalten, sondern die grundsätzlichen Prinzipien des eigenen Handelns immer wieder so gebogen, wie es in der jeweiligen Notsituation zu passen schien.
Dazu gehören auch Live-Matches, die zumindest den Eindruck erwecken, dass sie seitens der Bewohner gar nicht gewonnen werden können, um so die Nahrung im Haus weiter knapp zu halten. Instrumente wie offene Nominierungen, die im «Big Brother»-Regelwerk eigentlich Ausnahmen sind, wurden schon nach drei Wochen gespielt – und verpufften. Es ist davon auszugehen, dass die Show in den kommenden Wochen nochmals in eine neue Richtung driftet; weil «Big Brother» die Quotentalfahrt sonst nicht wird aufhalten können. Nach der so oft zitierten „Phase 2 des Experiments“, die nicht weniger ist als aufgrund der eigenen Fehlplanung zwingend nötige Reaktion, dürfte also bald schon „Phase 3“ folgen, in der es auch wieder zwei Bereiche gibt.
Je mehr Umbauten aber innerhalb dieser Staffel erfolgen, desto größer wird die Zahl der «Big Brother»-Fans, die sich ob des Zick-Zack-Kurses verabschieden.
Ist «Big Brother» noch zu retten?
Es stellt sich also schon die Frage, ob dem Lizenzgeber in diesen Tagen überhaupt bewusst ist, dass seine TV-Marke gerade für eine lange Zeit im deutschen Fernsehen verbrannt wird. Verbrannt auch auf Grund von offensichtlichen Fehlentscheidungen seitens Kreativen, die das Format eigentlich kennen müssten wie ihre Westentasche. Vermutlich wird diese Staffel auch nicht mehr zu retten sein. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Um dem Quotensiechtum vorzubeugen und dort zu helfen, wo Hilfe noch etwas bringt, werden finale Kurskorrekturen unausweichlich sein.
«Big Brother»-Quoten-Quickie
- Woche 1: 7,5%
- Woche 2: 6,4%
- Woche 3: 6,3%
- Woche 4: 5,4%*
* (Folgen von Montag bis Donnerstag) / gewertet nur 19-Uhr-Folgen / Quote 14-49
Schon nächste Woche müssen drei bis vier neue Kandidaten einziehen; sie müssen von der Struktur dahingehend zum Cast passen, als dass sie für Wirbel, aber auch für Harmonie sorgen. Keiner will den abgehalfterten Prolo sehen; vielleicht aber die Kandidatin mit einer Zwangsstörung, die ihren Mitbewohnern deshalb Feuer unter dem Hintern macht. Das ehemalige Blockhaus muss renoviert (helle Farben!) zurückkommen und wieder als klassisch „armer Bereich“ erkennbar sein. Nur so bleibt die Grundidee zwischen analoger Welt und digitaler Dauerbeschallung möglich.
Wichtigster Punkt: Sei es über Joyn oder die eigene Homepage oder auch sixx, es muss für einige Stunden pro Tag die Möglichkeit geben, live ins Haus zu schauen. Nur so macht auch der Bewertungswahn der Zuschauer Sinn. Die Kandidaten müssen direktes und ehrliches Feedback auf eine Aktion erhalten – nur wenige Stunden nachdem diese stattfand.
Sollten die Macher aber weiterhin die mannigfaltigen und nicht selten guten Ratschläge von außen ignorieren und eine derart lustlose Liveshow wie zurückliegenden Montag anbieten, dann wäre ein Ende der laufenden Staffel schon vor dem Erreichen des 100. Tages nur die gerechte Konsequenz.
Es gibt 7 Kommentare zum Artikel
06.03.2020 17:14 Uhr 5
Was genau ist an dem Cast ausgezeichnet?
06.03.2020 17:19 Uhr 6
Der Cast von Staffel 13 hat großes Potential, nur siehst du davon nichts, da Sat.1 alles geheimhält.
Der Zuschauer weiß bis heute noch nicht mal was die Leute da drin machen. Ausser eine Angabe was ihr Job im Privatleben ist weiß man nicht, da diese Gespräche alle nicht gezeigt werden
07.03.2020 02:51 Uhr 7
Big Brother ist als eher langsames und langwieriges Format ein Luxus im deutschen Fernsehen. Genießen wir es.