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Die Kritiker: «Dunkelstadt»

So jung wie «Der Alte» und so cool wie «Derrick»: Irgendwie möchte die neue ZDFneo-Serie ja so beinhart erzählen wie «Jessica Jones» – landet dann aber eher bei Bibi Blocksberg. Über ein großes Missverständnis.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Alina Levshin als Doro Decker
Rauand Taleb als Adnan Musa
Artjom Gilz als Chris Lautner

Hinter der Kamera:
Produktion: Zeitsprung Pictures GmbH und AT-Prod s.a.
Drehbuch und Konzept: Axel Melzener und Julia Nika Neviandt
Regie: Asil Özge
Kamera: Emre Erkmen
Produzenten: Daniel Mann, Till Derenbach und Michael Souvignier
ZDFneo war mal cool und irgendwie auch jung. Damals, als Joko und Klaas dort ihre Spielwiese hatten, als Benjamin von Stuckrad-Barre vor Polit-Gästen aus der zweiten Reihe so viel rauchte, dass die Kamera kaum noch durch den Qualm zoomen konnte, und Tedros Teclebrhan mit einer Mischung aus Sketch-Comedy und schrammeliger Late-Night glänzend unterhielt.

Auch «Dunkelstadt», der neuen sechsteiligen Serie des Senders, sieht man die Ambition an, irgendwie am Puls der Zeit zu sein: an den jungen Hauptfiguren, dem etwas dunkleren Stil und den ziemlich durchgeranzten großstädtischen Sets. Dabei verkennt sie jedoch vollends die von angelsächsischen Spitzenformaten geprägten Sehgewohnheiten ihres Zielpublikums – und wirkt deshalb so frisch wie «Der Alte» und so innovativ wie «Derrick».

Mit einer jungen Privatdetektivin, die in ihrer seelischen Zerrissenheit durch eine seltsam seelenlose Hafenstadt von Fall zu Fall schlendert, wollte man wohl irgendwie bei der Coolness der unverhofften Defenders-Helden aus der Netflix-Interpretation des Marvel-Universums herauskommen. Und wenn man Alina Levshin dabei zusieht, wie sie nachts mit finsterem Blick und der brennenden Zigarette zwischen den Fingern in einem königsblauen Trenchcoat über irgendwelche schummerigen Uferbrücken stapft, könnte sie glatt als die nerdige Schwester von Jessica Jones durchgehen.

Doch wo «Jessica Jones» als psychologisch dichte, misanthropisch-dekonstruktive Tour de Force gefiel, darf die von Levshin gespielte Privatdetektivin Doro Decker nur in allzu penetrant polemisierenden Voice-Overn ihrem vor Jahren erschossenen Vater nachtrauern, während sie nachts in ihrem abgerockten Loft nostalgisch durch seine alten Briefmarkenalben blättert und sich tagsüber eine Marlowe nach der anderen anzündet.

Denn so beinhart wie Doro von ihrem Umfeld gerne beschrieben wird – „Ein Drecksjob in einem Drecksloch, und dein Hobby is‘ Saufen!“ – ist sie als Figur lange nicht, und die emotionale Distanz, die sie auch gegenüber ihr nahestehenden Menschen bewahrt, entspringt keinem komplexen Geflecht aus alten Verletzungen und seelischen Unzulänglichkeiten, sondern einer einfach zu durchschauenden, allzu kruden Selbstbestrafung. Wo sich die neo-noiren amerikanischen Vorbilder dieser Serie mit dem Kopf voraus freudig in diffizile, aber stimmige psychologische Widrigkeiten und eine nicht selten schwer erträgliche Malaise stürzen, ist in «Dunkelstadt» alles ziemlich eindeutig, klar – und wird ja am Ende des Tages doch irgendwie wieder gut.

Im Kern folgt die erzählerische Logik eben nicht einer spannenden Neuinterpretation von gestandenen Film-noir-Motiven, wie der Pressetext uns glauben machen möchte, sondern einer lauen und abgestandenen Procedural-Logik: Doro Decker geht undercover in einen klandestinen Edelpuff, wo die Polit-Elite ukrainische Prostituierte lustmordet. Doro Decker verkleidet sich als Obdachlose und kampiert in einer verfallenen Baracke, um herauszufinden, wo die ganzen Penner der Stadt hin verschwinden. Doro Decker infiltriert eine Öko-Sekte, um junge unbedarfte Mädels aus ihren Klauen zu befreien.

Gut für «Dunkelstadt», dass es in der Fernsehunterhaltung keinen Etikettenschwindel gibt; denn die Diskrepanz aus vorgetragenem Anspruch und tatsächlichem Produkt, aus Wollen und Können (oder Dürfen) ist hier enorm: Doro Decker ist keine gebrochene Heldin, die diese Bezeichnung ernsthaft verdienen würde, sondern eine nette junge Frau, die ein bisschen schüchtern und reserviert wirkt, und die geliebte Menschen in ihrem Umfeld allenfalls ganz sanft wegschubst, aber niemals ernsthaft vertreibt. Umrahmt werden diese ideenlosen Handlungsversätze derweil von einer Sprache, die sich damit begnügt, ein Klischee an das nächste zu reihen: Da pocht das Blut in Doros Kopf wie ein Presslufthammer, da öffnet die Macht der Worte jedes Schloss, da stammeln Männer: „Bitte sagen Sie meiner Frau nichts!“

Zum Schluss eine gewagte Hypothese. Vielleicht waren die Autoren tatsächlich mit einer brillanten Idee an den Start gegangen: die Geschichte einer emotional komplexen Frau, traumatisiert und misanthropisch, abweisend und ständig alkoholisiert, psychisch am Ende und fertig mit der Welt, so jung und schon so ein Wrack. Und bei der ersten Drehbuchbesprechung hieß es dann: „Geile Idee – unser junges Publikum wird es lieben. Aber ganz so hart können wir das nicht machen. Irgendwie muss man die doch mögen – und sofort verstehen, dass in ihr noch ein kleines schwarzes Herz schlägt, das raus will aus der ständigen Depression.“ So wurde aus der tristen deutschen Jessica Jones dann irgendwann eine Bibi Blocksberg für Erwachsene, die sich als „Retterin der Randgruppen und furchtlose Raucherin“ feiern lässt – und aus einer beeindruckenden Prämisse eine völlig an die Wand gefahrene Serientotgeburt.

ZDFneo zeigt sechs Folgen von «Dunkelstadt» mittwochs ab dem 26. Februar, jeweils um 21.45 Uhr. Das ZDF zieht freitags ab dem 28. Februar, jeweils um 00.00 Uhr, nach.
25.02.2020 11:26 Uhr Kurz-URL: qmde.de/116143
Julian Miller

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Tags

Dunkelstadt Der Alte Derrick Jessica Jones

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