Wo Lob ist, da sind auch Gegenstimmen: Die sehr positiv besprochene Nazi-Satire «Jojo Rabbit» wird mitunter als zu nett und harmlos kritisiert. Dabei macht sie vieles besser als etwa «Er ist wieder da».
Sechs Oscar-Nominierungen, darunter als bester Film, und zahlreiche positive
bis sehr positive Kritiken: Man könnte meinen, Taika Waititis «Jojo Rabbit» sei universell beliebt. Doch weit gefehlt, denn die Nazi-Satire, die die Rekrutierungsmittel des Faschismus nimmt und sie kräftig durch den Kakao zieht, wird auch von vielen Seiten scharf kritisiert. Von "Wohlfühlsatire" ist teils die Rede, mitunter wird die Kritik aber auch deutlich schärfer und spricht von einem Film, der Nazis verniedlicht und verharmlost.
Zum Kritikpunkt der Wohlfühlsatire: Ja, «Jojo Rabbit» ist ein energetischer, launiger Film, der viel Spaß macht. Doch wer den Film darauf reduziert, scheint nach 30 Filmminuten auf Durchzug geschaltet zu haben, da «Jojo Rabbit» sehr wohl tiefer geht, als nur Witzchen zu reißen. Vor allem aber glaube ich, dass sich der Vorwurf der Wohlfühlsatire aus einem gehörigen Missverständnis generiert. Nämlich aus dem deprimierenden Gedanken, Elend sei eine größere und wichtigere Kunst als Leichtfüßigkeit. "Es
muss weh tun, sonst ist es nicht gut" mag als Ein-Stern-Yelp-Kritik über den sanftesten BDSM-Club der Stadt gelten, doch wer findet, dass eine Nazi-Satire von Anfang bis Ende in Wut, Zorn, Leid und Elend ertrinken muss, beurteilt Filme wohl allein daran, wie sehr man sich auf ein hohes Ross schwingen kann, wenn man sie dennoch durchsteht. Marke: "Tja,
ich bin kein Mainstream-Dödel, dem das Händchen gehalten wird.
Ich durchstehe auch
echte Filme." Tja, Leidenselitarismus am Arsch – eine Nazi-Satire muss in allererster Linie funktionieren, und keine snobistischen Egos kitzeln.
Und nun denken wir alle mal kurz an unsere Schulzeit zurück. Zumindest in meiner wurde der Themenkomplex Zweiter Weltkrieg/NS-Regime/Holocaust ausführlich behandelt (was sehr wichtig ist), aber leider so sehr durchgeritten, dass es manche meiner Mitschüler abgestumpft und zynisch gemacht hat. Da waren die ganzen grauenvollen Geschichten plötzlich nicht mehr aufrüttelnd – es wurde auf Durchzug geschaltet. Und gerade da greift dann so ein Film wie «Jojo Rabbit»: Taika Waititi versteht die Wirkung von spritzig-albernem Humor: Dadurch, dass «Jojo Rabbit» sehr flippig, verrückt und spaßig beginnt, lockt er sein Publikum aus der Deckung – und kann so nach und nach seine satirischen und dramatischen Treffer landen.
Wäre «Jojo Rabbit» eine von Anfang bis Ende bitterböse, schwer anzuschauende, unentwegt Tabus brechende Satire, die einfach nur schmerzt, wen soll das dann schon erreichen? Politisch schwammige sowie unvorbereitet über den Film gestolperte Zuschauerinnen und Zuschauer verschließen sich dem Material dann doch nur. Und die, die sich willentlich auf solch einen Film einlassen, dürften vornehmlich die sein, die eh schon vollauf auf seiner Seite sind, so wie ja auch die ganzen politischen Agit-Dokumentationen der vergangenen Jahre hauptsächlich vor jenen predigten, die sie eh nicht mehr bekehren lassen müssen. Dieses Phänomen kennt die Medienwissenschaft als Opinion Bias oder News Bias.
Anders gesagt: «Jojo Rabbit»
muss quasi als Nazi-Satire zusätzlich dazu, dass sie die Mittel des Faschismus unbrauchbar-lächerlich macht und seine Folgen nachzeichnet, auch Spaß machen, damit der Film Leute erreicht, die ihn brauchen. Apolitische Kinder erzkonservativer Eltern, die keinen Blick auf eine potentielle digitale Radikalisierung ihrer Sprösslinge haben, etwa. Oder per se harmlose Menschen, die aber den aktuellen politischen Ernst der Lage partout nicht erkennen und nun durch diesen emotionalen Ritt sensibilisiert werden, wie hasserfüllte Menschen marginalisierte Gruppen darstellen und gegen sie hetzen. Ein ätzig-galliges Satire-Experiment, das nur abgehärtete Filmfreaks anspricht, die sich in ihrer Meinung bestätigt sehen wollen, würde solche Leute nicht erreichen.
Aber was ist nun mit der verwandten, aber dezent anders gelagerten Kritik, «Jojo Rabbit» würde Nazis mit seinem freundlich-knuddelig säuselnden Spaß-Hitler und der Wes-Anderson-Sommercamp-Ästhetik der Hitlerjugend verharmlosen und verniedlichen? Nun, die kurze Antwort, die ich darauf habe, lautet: Jemanden lächerlich machen bedeutet nicht zugleich, zu denken oder auszusagen, jemand sei harmlos. Es ist sehr wohl möglich, in Nuancen zu denken und Personen, Organisationen und Ideologien als bescheuert anzusehen und ihnen trotzdem Gefährlichkeit anzurechnen. Das reich von manchen YouTube-Challenges (es ist
saudumm, vor einer Webcam Waschmittel zu essen, und dennoch ist es auch lebensgefährlich) bis hin zu faschistischen, sexistischen, rassistischen Menschenfeinden.
Man muss noch begriffsstutziger und verblendeter sein als die zehnjährige Titelfigur von «Jojo Rabbit», um Waititis Film die Botschaft zu entnehmen "Naja, war ja doch alles halb so wild!", da der Regisseur und Autor sehr wohl die menschenverachtende Haltung und die zerstörerischen Folgen des NS-Regimes vorführt. Selbst wenn er gleichzeitig deren Argumentation, Ästhetik und Personenkult lächerlich macht. Das ist ein Kunststück, aber ein sehr gutes und wichtiges. Um nämlich weiter auszuholen:
In Frauke Finsterwalders «Finsterworld»
wird deutsche Realität eingefangen, indem ein Schuljunge, der sich von einer KZ-Klassenfahrt abgekapselt hat, beichtet, dass er findet, dass die Nazis ja schon eine geile Flagge gehabt hätten. Und wem ist nicht schon einmal die Millionen und Abermillionen von Toten zur Seite wischende Argumentation: "Naja,
aber sie haben auch die Autobahn gebaut!" begegnet? «Jojo Rabbit» führt solche Legitimationen vor und macht zudem aus Dingen wie Strammstehen, militärischer Kameradschaft und vereinheitlichenden Symbolen, mit denen neue Rechte verwirrte Leute erst einmal rekrutieren, ehe die ideologische Gehirnwäsche beginnt, reine Lachnummern.
«Jojo Rabbit» mag wahrlich nicht der deprimierendste Film sein, der je über das NS-Regime gedreht wurde, aber das macht ihn auf gar keinen Fall gleichzeitig zum ineffektivsten, da sich durch die zwei Löffelchen voll Zucker die moralische Medizin des Films leichter schlucken (und somit aufnehmen und verdauen) lässt. Und, was noch wichtiger ist: Ein
lächerlicher Hitler ist, gut eingesetzt, filmisch wesentlich wrikungsvoller als ein
fähiger Hitler. Was mich zu «Er ist wieder da» führt. Blickt man auf die «Jojo Rabbit»-Schelten, die den Film als zu niedlich und harmlos erachten, müsste man denken, dass «Er ist wieder da» automatisch die bessere Nazi-Satire sein müsste. Hier zeigt sich Hitler ja deutlicher als Monster als in «Jojo Rabbit» und es gibt einen regelrechten, finsteren Gänsehautschluss. Schwererer Film, besserer Film, will man uns ja weismachen …
Und auch ich saß 2015 am Ende von «Er ist wieder da» erschüttert im Saal. Da Oliver Masucci hervorragend spielt und Regisseur David Wnendt vor allem gegen Schluss starke inszenatorische Kniffe findet, um die Metapher des wiedererwachenden Nazis im deutschen Bürger zu verdeutlichen, würde ich den Film auch keineswegs als schwach bezeichnen. Aber über die Jahre hinweg zeigte sich mir überdeutlich, dass «Er ist wieder da» wohl eine durch Können gerettete Umsetzung einer eigentlich schwachen Satire-Idee ist. Müsste ich entscheiden, ob es mehr Filme wie «Jojo Rabbit» braucht oder mehr Filme wie «Er ist wieder da», so müsste ich nicht mal für die Dauer eines Wimpernschlags nachdenken, bevor ich «Jojo Rabbit» erwähle.
Denn «Jojo Rabbit» raubt Hitler seiner potentiellen magnetischen Anziehungskraft auf verirrt nach einer Führerperson suchende Seelen, die ihm Propaganda und gut gemeinte, doch schlecht gemachte Geschichtsverarbeitungsdramen verliehen haben. Wer würde im «Jojo Rabbit»-Hitler schon den für angeblich dringend nötige Ordnung sorgenden Anführer einer vermeintlichen Herrenrasse erkennen, als der sich der reale Despot positioniert hat? «Er ist wieder da» dagegen traut sich nicht, Hitler lächerlich zu machen. Ja, er wird nach seiner wundersamen Rückkehr zum TV-Comedian, aber: Teil der dramaturgischen Argumentationskette von «Er ist wieder da» ist, Masuccis Hitler wiederholt recht zu geben ("Es läuft nur Schrott!", brüllt er, durch das Nachmittagsprogramm zappend) und sein Verhandlungsgeschick vorzuführen. Anders als «Jojo Rabbit» durchbricht «Er ist wieder da» Tabus (Masuccis Hitler kann schlagfertig, gewollt-lustig und freundlich sein) – natürlich, um gegen Ende dem Publikum den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Der Film ist nicht verharmlosend – aber durch den dramatischen, ernstzunehmenden Hitler entkräftet er sein Satireziel deutlich weniger als es etwa «Jojo Rabbit» tut.
Denn dadurch, dass «Er ist wieder da»-Hitler keine lächerliche, bescheuerte Witzfigur ist, wird er dreidimensional rezipiert. Es bleibt die Szene hängen, in der er eine Blitzreinigung lobt. Es bleibt hängen, wie er schlagfertig eine aufgescheuchte Reinigungsangestellte in die verbale Falle lockt, wie es auch ein «Versteckte Kamera»-Komiker vollbringen würde. Es bleibt hängen, wie ausgerechnet Frank Plasberg ausgerechnet in «Hart aber fair» Hitler den Wind aus den Segeln nimmt und ihn als gefährlichen Blender enthüllt. Es bleibt auch hängen, wie sich Hitler gekonnt aus seinem PR-Debakel rettet. Es bleibt weniger hängen, wie kaltblütig Hitler in diesem Film ist oder wie er einer Jüdin Angst einflößt. Noch viel weniger wird das intellektuelle Konzept gegen Ende des Films, in dem durch eine Film-im-Film-Szene dem nach rechts rückenden Deutschland der Spiegel vorgehalten wird, überhaupt erst verstanden. Und ich habe schon mehrmals über die Szene, in der Hitler Fußballfans gegen einen Fußball-Muffel aufhetzt, zu Gehör bekommen: "Der ist ja auch selber schuld!" Ähm. Ja, wow, danke, dass ihr einem Fußball-Muffel ins Gesicht sagt, dass meinesgleichen es offenbar verdient hat, wenn euresgleichen Hitler auf uns hetzt. Das stärkt das Vertrauen in mein Umfeld. Spitze!
Ja: «Er ist wieder da» hat eine klare Aussage und wird wohl kaum wen versehentlich zum Nazi machen. Doch der Film beweist leider auch: Ein gewisser Ernst in einer Satire, eine zu sehr auf Tabubrüche und intellektuelle Kantigkeit verkopfte Herangehensweise führt nicht automatisch zu größerer Selbstreflexion beim Publikum. Hitler hetzt in «Er ist wieder da» Leute auf einen Andersdenkenden auf, und es wird verteidigt, denn … Ein bisschen Konformität darf beim Thema Fußball ja wohl offenbar sein! Der Ernst von «Er ist wieder da» gestattet es Leuten, ihre Deckung zu suchen, wann immer ihr Weggucken und Steigbügelhalten thematisiert wird. Soll Hitler halt erst die Fußball-Muffel holen,
das ist ja noch nicht schlimm …
Obwohl «Jojo Rabbit» der flippigere, leichtere Film ist, lässt sich dagegen nichts aus ihm schönreden. Er lässt keine selektive "Naja,
das kann man ihm verzeihen"-Stellungnahmen zu, keine argumentativen Leerstellen. In «Er ist wieder da» kann man sich dumm stellen und entgegen des filmischen Gesamtwerks argumentieren, es sei ja alles damit in Ordnung wie der Film-Hitler zu sein, wenn man rechtzeitig die Reißleine zieht. Bei Taika Waititi dagegen wird ganz klar: Ob Schuster, Milchmann, Nachbar oder kleiner Bube: Wenn man eine Uniform anzieht und Andersdenkende attackiert, wird man nicht zur Herrenrasse, sondern bestenfalls zur Lachnummer und schlimmstenfalls stürzt man sich zusammen mit anderen ins Verderben.
So beugt man besser vor, dass sich die Geschichte wiederholt als mit "Wenn du wie Hitler bist, kannst du Leute aufwiegeln". Denn selbst wenn «Er ist wieder da» das als schlecht darstellt – es gibt Leute, die das anziehend finden.
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27.01.2020 12:36 Uhr 1