Dass RTL im Angesicht der verheerenden Buschbrände nicht auf ihr Erfolgsformat verzichtet, dürfte niemanden verwundern. Und wirklich sprechen ebenso viele Gründe für eine Durchführung wie dagegen. Doch soll das Ganze nicht eigentlich nur ein harmloser Spaß sein? Björn Sülter kommentiert den Auftakt der Show.
Das neue Jahr ist gerade einmal zehn Tage alt, da haben wir nach dem Umweltsau-Skandälchen gleich das nächste Fass, das nicht nur aufgemacht wurde, sondern sogleich am Überlaufen war.
Seit einiger Zeit erleben wir nun schon beklemmende und bestürzende Bilder aus dem fernen Australien. Bei den Buschbränden starben nach einigen Schätzungen bislang zwanzig Menschen und die surreal erscheinende Anzahl von einer halben Milliarde Tiere. Wer war da noch überrascht, dass RTL sich in der vergangenen Woche mit einer handfesten Absagedebatte rund um ihr jährliches Spaßevent down under konfrontiert sah? Vermutlich niemand.
Absagen!
Auf der Seite der Absagebefürworter geht es primär um die Moral. Sollte man ein Witze-Fest wie IBES in Zeiten des Leids auf dem gleichen Kontinent wirklich durchführen? Könnte und dürfte das Format die Umstände on air gegebenenfalls artikulieren oder sollte man es lieber ignorieren? Was würde das dann über die Macher aussagen? Was wäre passend für das Konzept der Show? Wäre es vielleicht nicht ohnehin besser, RTL würde all das Geld für die Retter vor Ort spenden?
Es ist gut und wichtig, derartige Fragen zu stellen. Wenn doch die Antworten nur immer so leichtfallen würden.
Durchführen!
Auf der anderen Seite gibt es jene, die sich eindeutig für eine Durchführung positionieren. Sie kommentieren, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe, dass eine Absage nichts bewirken würde und man die Jobs vor Ort nicht gefährden dürfe, weil man dem Land damit nur noch mehr schaden könnte. Auch stellen sie die Frage, wo man bei einer hypothetischen Absage dann zukünftig und in anderem Kontext die rote Linie ziehen würde.
Und vielleicht liegt in letzterem Gedanken ein Ansatz für zukünftige Debatten, die man dann aber im Idealfall nicht jetzt und unter dem Eindruck akuter Umstände führen sollte, sondern einfach nur deshalb, weil sie richtig und wichtig sind.
Und nu?
Die Wahrheit liegt – wie sollte es anders sein – in der Mitte. Man kann RTL nicht verdenken, dass man sich dort an bestehende Verträge mit Teams vor Ort, den Kandidaten, den Moderatoren, der Produktionscrew und den Rechteinhabern hält. Man kann auch nicht behaupten, dass eine Absage irgendetwas Gutes bewirken würde. Im Gegenteil! Viele Menschen vor Ort würden ihren Job verlieren, was in einer Zeit wie dieser eine zusätzliche Bestrafung und Belastung der Einwohner darstellen würde.
Auf der anderen Seite darf man aber natürlich auch fraglos die Moralfrage stellen. Würde man in Köln beschwingt Karneval feiern, wenn derweil Düsseldorf komplett niederbrennt? Wo zieht man die letzte Grenze? Ab welchem Moment drehen wir moralisch frei, vielleicht sogar, ohne es zu merken?
Die Übergänge sind insbesondere in der Medienszene schon lange nicht mehr fließend, sondern zunehmend verwaschen und die Fronten verhärtet. Jeder Zuschauer kann in dieser Situation nur für sich selbst entscheiden, ob er die Show unter den gegebenen Umständen einschaltet oder nicht. Und wer weiß: Vielleicht werden uns ja sogar die Einschaltquoten einen kleinen Aufschluss über das Stimmungsbild im Land geben.
Es bleibt auch jedem überlassen, etwas zu spenden oder sich vermehrt mit den Umweltproblemen unseres Planeten zu befassen. Weder RTL noch Sonja Zietlow, Daniel Hartwich oder Dr. Bob verbieten uns das. Das Leben bietet uns viele Wege und die Fernbedienung eine Menge Knöpfe. Wer sich damit besser fühlt, lässt die drei Buchstaben aus Köln einfach 14 Tage links liegen. Und wem Gewissensbisse in dieser Causa fremd sind, schaltet eben ein.
Im Kopf behalten sollte man jedoch noch Folgendes: Niemand bei RTL, keiner der Protagonisten der Show oder der Kandidaten der Staffel kann etwas für die Katastrophe vor Ort. Die machen alle nur ihren Job, genau wie die schreibende Zunft, die sich ebenfalls entscheiden muss: simpler Artikel über den Inhalt der Show oder übersteuerter Kommentar zur Lage der Nation? Bevor dieses Hingeschaut zu Letzterem abdriftet, wenden wir uns in aller gebotenen Kürze dem zu, was in Sachen Dschungelcamp 2020 am heutigen Starttag über die TV-Schirme geflimmert ist.
Rein in den Dschungel
An dieser Stelle ruft uns nicht nur der Dschungel, sondern auch das Tagesgeschäft. RTL hat sich für die inzwischen vierzehnte Staffel ein paar Neuerungen ausgedacht, die nicht vollständig, aber doch teilweise mit den Umständen zusammenhängen.
Ein Lagerfeuer wird es erstmals nicht geben. Das Essen muss auf einem Gaskocher zubereitet werden. Was grundsätzlich nicht nach einer relevanten Neuerung klingt, dürfte sich aber in sofern auswirken, da insbesondere Nachts bei der Wache am Feuer oft interessante Gespräche und heimliche Lästereien zustande kamen. RTL hat bereits bekanntgegeben, dass man auf die Nachtwache auch ohne Feuer nicht verzichten wird.
Lebende Tiere sollen ab dieser Staffel nicht mehr verspeist werden. Diese Entscheidung steht dem Vernehmen nach aber nicht in Zusammenhang mit den Bränden in Australien, sondern wurde beispielsweise schon in der englischen Ausgabe der Show eingeführt und danach vom deutschen Ableger der PETA auch für die deutsche Version gefordert.
Geraucht werden darf nur noch rund um die Kochstelle, da dort keine Pflanzen wachsen. Zum Entzünden gibt es genau ein Spezialfeuerzeug, das der Teamchef mit sich trägt. Die Kippen müssen in einer speziellen Box entsorgt werden.
Da es im Tümpel aktuell keinen ausreichenden Durchfluss gibt und die Gefahr von Bakterien steigt, sollen die Kandidaten dieses Jahr im Wasserfall duschen. Ihre Wäsche dürfen sie ebenfalls nicht mehr im Tümpel waschen, sondern bekommen mit der Waschstation eine neue Location zur Verfügung gestellt.
In Sachen Moderation, Voting und Ablauf soll aber alles weitestgehend gleichbleiben.
Wer traut sich?
Als eine illustre Gruppe kann man die Kandidaten des aktuellen Jahrgangs durchaus bezeichnen, wenn der Promifaktor auch wie so oft erheblich zu wünschen übrig lässt. Kennen dürften einige Zuschauer noch den Ex-Minister Günther Krause, Daniela Büchner, die Witwe des verstorbenen Kultauswanderers Jens Büchner, Schauspielerin Sonja Kirchberger («Die Venusfalle»), Ex-«GZSZ»-Sternchen Raúl Richter oder Ex-Boxweltmeister Sven Ottke.
Aufgefüllt wird die Gruppe mit den üblichen Verdächtigen aus gängigen Formaten bei und abseits von RTL.
Claudia Norberg kann als Ex vom Wendler zumindest eine gewisse Bekanntheit vorweisen, Markus Reinecke («Die Superhändler») gilt als Geheimtipp. Marco Cerullo hat neben zwei Reality-Formaten («Die Bachelorette», «Bachelor in Paradise») auch einen Schauspiel-Credit bei «Krass Schule» vorzuweisen. Prince Damien war immerhin Sieger der 13. Staffel von «DSDS».
Anastasiya Avilova («Temptation Island», «Catch the Millionaire»), Elena Miras («Love Island», «Sommerhaus der Stars») und Toni Trips («DSDS») kennen derweil aber wohl nur noch die wenigsten.
Einschub: RTL und die Realität
War der Start in eine neue Staffel in den vergangenen Jahren fast immer gleich abgelaufen, erwartete die Zuschauer dieses Mal eine Neuerung: Sonja Zietlow und Daniel Hartwich wendeten sich direkt an die Zuschauer und verkündeten etwas, was RTL sich offenbar bis zur letzten Sekunde aufgespart hatte. In Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz und unterstützt von der australischen Botschafterin gaben die Moderatoren stellvertretend für ihren Sender sehr emotionale, offene und persönliche Statements ab und forderten dazu auf, RTL beim Spenden für die Menschen in Australien zu unterstützen. Der Sender selbst legte mit 100.000 Euro vor, stellte aber weitere Gelder in Aussicht.
Der Sender dürfte somit vielen Gegnern der Ausstrahlung den Wind aus den Segeln genommen haben und verschafft sich selbst damit die Chance, etwas unbelasteter in das zu starten, was nun zwei Wochen lang sein sollte, als was es gedacht ist: ein letztlich harmloser Spaß.
Den besten Satz des Auftakts lieferte übrigens Sonja Zietlow: Warum sollten wir betroffener sein als die Betroffenen?" Auf einige Zuschauer mag das vielleicht zynisch klingen, es ist aber vor allen Dingen eines: „wahr und auf den Punkt.
Musikalisch untermalt wird die Aktion übrigens auch vom Titelsong der Staffel, der – gewollt oder ungewollt – nicht nur auf die Kandidaten zu münzen ist, sondern ebenso auf uns als Weltbevölkerung und auf die Verantwortung, die ein Sender wie RTL eben auch genau aus moralischen Gründen hat, in Zeiten wie diesen zu seinem Wort und seinen Partnern zu stehen:
In this together von der deutschen Singer-Songwriterin Emily Roberts. Darin heißt es:
"Got the weight of the world on your shoulder
When you're feeling lost I will hold you
Need a place to sleep here's my sofa, come over, come over
When you're there everything's getting better
If you're feeling cold here's my sweater
Don't be scared that I'd leave you, I'd never"
Showtime!
Insgesamt erinnerte in der ersten Stunde des Auftakts viel an die Vorjahre. Einige Kandidaten holte man laut brüllend im Hotel ab, andere sammelte man unterwegs ein. Mit Helikoptern ging es dann weiter zu den ersten Prüfungen. Von alledem bekam einer jedoch nichts mit: Prof. Dr. Günther Krause wurde alleine in den Dschungel befördert, mit Blaskapelle empfangen und durfte dann als Architekt der Einheit zwischen den nachfolgenden Gruppen bereits ins leere Camp einziehen und sich auf seine Rolle als Teamchef vorbereiten. Eine hübsche Idee. Schade nur, dass der gute Mann für alle (ich wiederhole: alle!) Prüfungen der kompletten Campzeit gesperrt ist. Politiker muss man sein!
Für elf andere Promis ging es jedoch heißer her. Die Sechsergruppe musste eine neue Mutprobe über einer Klippe bestehen, die vielen die Sinne raubte. Wer kommt unter derartigem Druck schon auf die Namen von Planeten unseres Sonnensystems?
Markus ist leider keiner. Die Fünfergruppe erwartete ein anderes Schicksal. Die wackelige Brücke hoch oben im Dschungel kannten wir aber bereits aus den vergangenen Jahren.
RTL hatte aber offenbar daraus gelernt, dass die Vorabprüfung sich insbesondere im letzten Jahr arg in die Länge gezogen hatte, weil zwölf Kandidaten nacheinander das gleiche machen mussten. Hier nun war dramaturgisch viel mehr Abwechslung möglich: eine gute Entscheidung!
Der Rest des Abends lief dann weitestgehend überraschungsfrei ab. Kennenlernen, erste Differenzen, Schlangenjagd bei Nacht, Pipi-Probleme und die obligatorische Essensprüfung (als lässige Variante vom «Dinner for one») für alle; RTL hat bestimmt noch einige neue Ideen in der Hinterhand, hier wurden sie allerdings noch nicht verbraten. Der kurze Bildausfall gen Ende der Sendung ging da bei all dem Bekannten schon fast als Überraschung durch.
Wie es indes nach dem Auszug von Günther Krause weitergehen wird, werden die Zuschauer bestimmt in der morgigen Sendung erfahren. Der Ex-Politiker musste ins Krankenhaus gebracht werden und darf somit laut Aussage von Sonja Zietlow nicht mehr zurückkehren.
Fazit
Der Start des Dschungelcamps 2020 gelingt mit einem Auftakt, der sich zunächst dank einer gelungener Aktion der Verantwortlichen, freundlich unterstützt vom sympathischen Moderatorendoppel, freischwimmen konnte und punktete in der Folgezeit mit genau den Zutaten, die von den Fans zu Recht geliebt werden.
Zwar stellt sich wie jedes Jahr die Frage nach dem Abnutzungspotenzial des Ablaufs, der Spiele und dem Status der immer unbekannter werdenden Promis, Spaß macht das Format aber auch noch in der vierzehnten Staffel.
«Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» läuft ab diesem Freitag gut zwei Wochen lang täglich im späten Abendprogramm von RTL. Die wechselnden Start- und Laufzeiten entnehmen Sie bitte den aktuellen Ankündigungen.
Es gibt 10 Kommentare zum Artikel
11.01.2020 16:51 Uhr 8
11.01.2020 22:50 Uhr 9
12.01.2020 09:27 Uhr 10
Ich kenne das Zitat nicht, aber sollte sie es so gesagt haben, dann reiht sie sich ganz gut in ihren Sender ein. Über 1,25 Milliarden tote Tiere und 8 Millionen Hektar verbrannte Fläche. Und dann wird das mit einer Sturmflut in Hamburg verglichen. Sowas macht mich tatsächlich wütend.
Was das Format angeht, bin ich nicht über das selbige entsetzt oder die Leute, die aus Gründen dort mitmachen müssen. Eher bin ich von Zielgruppe enttäuscht und verwundert.