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Die Kritiker: «Der Club der singenden Metzger»

Prominent besetzt mit Jonas Nay, Aylin Tezel und Sylvester Groth ist der opulent inszenierte und feinfühlig geschriebene Überlängenfilm ein Highlight des Feiertagsprogramms.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Jonas Nay als Fidelis Waldvogel
Aylin Tezel als Delphine
Leonie Benesch als Eva
Sylvester Groth als Robert
Vladimir Korneev als Cyprian
Claudia Kottal als Clarissa Straub
Therese Hämer als Tante Lore

Hinter der Kamera:
Produktion: Moovie GmbH, ARD Degeto Film, Südwestrundfunk und Pakt Media
Drehbuch: Doris Dörrie und Ruth Stadler
nach dem Roman "The Master Butcher Singing Club" von Louise Erdrich
Regie: Uli Edel
Kamera: Hannes Hubach
Produzentin: Sarah Kirkegaard
Auch wenn es diesem Ideal nie vollends gerecht werden konnte, ist Amerika – natürlich in weit übertriebener Vereinfachung und unter Ausklammerung einer Vielzahl von Friktionen und Sollbruchstelle – in seinem Selbstbildnis seit jeher ein Schwamm, der all diejenigen aufsaugt, die nicht nichts mehr zu verlieren haben, die nicht wissen, wohin sie noch gehen sollen, und die von der Zukunft, im aus der bitteren Not geborenen Optimismus, doch etwas Besseres erwarten als die in der Heimat wartende Perspektivlosigkeit.

So wie Metzgermeister Fidelis Waldvogel (Jonas Nay), der anno 1918 gerade noch einem sterbenden Kameraden im Schützengraben das Versprechen gegeben hat, sich um dessen schwangere Verlobte Eva (Leonie Benesch) zu kümmern. Zurück in der schwäbischen Heimat macht Waldvogel sie schließlich ausfindig, ehelicht sie, ganz wie er sich verpflichtet hatte, und nimmt sie mit auf den elterlichen Hof, der ob der knappen Nahrungsmittel, des allgegenwärtigen Geldmangels und einer herrischen Tante (Therese Hämer) nur eine Übergangslosung sein kann. Fidelis‘ Ziel: Amerika, wo anders als in Deutschland die Arbeitsplätze auf den Bäumen wachsen.

Oder wie die Zirkusartistin Delphine (Aylin Tezel), die sich zusammen mit ihrem versoffenen Vater (Sylvester Groth) im Zwischenkriegshamburg gerade so über Wasser halten kann. Als der Zirkusdirektor schließlich die Reißleine zieht, nachdem der alte Mann in volltrunkenem Zustand aus der Manege gepfiffen wurde, bleibt auch für sie nur: Amerika.

Der Zufall will es, dass Fidelis und Delphine in derselben Kleinstadt in North Dakota landen. Waldvogel wurde von den liebenden Eltern mit einer Kiste Würsten und scharfen Metzgersmessern ausgestattet, und nach einem kurzen Intermezzo bei einem polnischen Kollegen kann er seinen eigenen Laden eröffnen. Bald hat er genug Geld, um Eva und ihren kleinen Sohn aus Deutschland nachzuholen – mit ihnen steht allerdings auch die grässliche Tante aus der Heimat in den Great Plains auf der Matte.

Delphine findet derweil in den strenger durchorganisierten amerikanischen Zirkussen keinen Anschluss, verliebt sich aber in den Indianer Cyprian (Vladimir Korneev), mit dem sie zusammen die Vaudeville-Kaschemmen abklappert, während ihr Vater dessen Hütte hütet. Doch obwohl sie sich Hals über Kopf in Cyprian verliebt, wird aus der sich anbahnenden Beziehung nichts: Der Indianer steht erotisch nur auf Männer. Umso schneller hat sie sich nach dem ersten Schock in ihren Landsmann mit der Metzgerei verguckt.

Dass daraus nun keine melodramatische Dreiecks-Schnulze wird, sondern ein wunderbar sentimentales, einnehmendes, menschenfreundliches Portrait ist das große Glück dieses Films. Denn auch Delphine und Eva verbindet eine tiefe zwischenmenschliche Sympathie und Liebe (im nicht erotischen Sinne), und die mit großer Zartheit erzählte Geschichte um diese beiden Frauen ist wohl der schönste und stärkste der zahlreichen Handlungsstränge dieses Films.

Gleichsam gefällt das narrative und psychologische Feingefühl, mit dem das übrige Figurenpersonal geführt wird, und die angenehme Beiläufigkeit, mit der das bereits im Titel anklingende Kernmotiv des Films in den dramaturgischen Rahmen Einzug hält: Fidelis Waldvogel setzt in der Prärie von Dakota die aus der Heimat geliebte Tradition des Chorsingens fort und nimmt das volkstümliche süddeutsche Liedgut, das Jahrzehnte später noch amerikanische Musiker wie Elvis Presley begeistern wird, mit in die neue Welt. Ausgehend davon reflektiert der Film mit klugem Weitblick die Vielfältigkeit von persönlichen Identitäten, die nie ganz frei von inneren Widersprüchen sein können oder müssen, sowie die schöne Erfüllung, die in intensiv gelebten zwischenmenschlichen Beziehungen wartet.

Gleichzeitig ist mit der deutlichen Zusammenstauchung von Louise Erdrichs Romanvorlage für diesen Film jedoch viel nuancierter Subtext verloren gegangen, der leider auch wesentliche Bedeutungsaussagen dieses großartigen literarischen Werks ausklammert, wenn nicht gar verfälscht. Denn während Erdrichs Buch im Rahmen seiner künstlerischen Ambition den Bogen vom Ersten Weltkrieg zum Zweiten schlägt, endet die Handlung dieses Films bereits in den frühen Zwanziger Jahren – und noch dazu auf einer für diese Adaption neu dazu erfundenen Note, die nicht nur unnötig ihren optimistischen Grundtenor zerstört, sondern auch einen wesentlichen Teil des ursprünglichen Handlungsgerüstes unterschlägt: Der Umstand, dass Fidelis Waldvogels ausschließlich in Amerika sozialisierte Söhne im Zweiten Weltkrieg auf unterschiedlichen Seiten kämpfen werden, offenbart eine hässliche Seite der deutschen Identität, „Kultur“ und Tradition, die sich sogar im Schmelztiegel der Neuen Welt fortpflanzt, während die dezidierte Deutschtümelei der negativsten Figur dieser Geschichte – der schwäbischen Tante mit ihrer Großtuerei und menschenfeindlichen Leidensfreude – im Film fehlt und nur ihre allgemeine arrogante Gemeinheit bleibt. Gerade einem deutschen Publikum hätten diese Elemente des Werks nicht vorenthalten werden dürfen, und vielleicht muss man gar die unappetitliche Unterstellung wagen, den Grund für diese Änderung darin zu suchen, dass eine schonungslosere Konfrontation mit diesen Handlungsumständen und Haltungen die deutschen Zuschauer vor den Kopf gestoßen hätte. Denn sie hätten gerade auch diesen Kopfstoß verdient.

Dass es sich bei der zweiten Hauptfigur Delphine in der literarischen Vorlage gar nicht um eine Immigrantin aus Deutschland handelt, ist dagegen eine Belanglosigkeit, und die adaptive Verfremdung recht sinnig durch die dramaturgische Notwendigkeit zu erklären, den Blick auf die Einwandererthematik zu lenken, um die es diesem Film vornehmlich geht. Doch auch hier verlässt er die Perspektive von Erdrich, die vor dem Hintergrund ihrer sowohl deutsch- als auch indianisch-amerikanischen Genealogie eher den Blickwinkel „vom Ergebnis her“ gewählt hat: den der Amerikanerin „e pluribus unum“, mit all ihren unterschiedlichen Facetten und Traditionen, kulturellen Erfahrungen und weltanschaulichen Überzeugungen. Der Film dagegen zeigt eher die Fortsetzung des Deutschen auf einem anderen Kontinent, und nur zaghaft das Aufgehen dieser Europäer in einem neuen amerikanischen Kontext, das etwas plakativ mit der Erfindung des Hamburgers endet – glücklicherweise das einzige wirklich unangenehme Klischee, mit dem er seiner bis dahin oft meisterhaft differenzierten, klugen und emotional fordernden Wirkung kaum noch schaden kann.

Das Erste zeigt «Der Club der singenden Metzger» am Freitag, den 27. Dezember um 20.15 Uhr.
26.12.2019 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/114583
Julian Miller

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Der Club der singenden Metzger

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