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«Der Prinz der Drachen»: Eine animierte Netflix-Fantasy-Heldenreise

Mit dieser Serie macht der Streamingdienst seinem Namen als Wegbereiter für Formate von außergewöhnlicher Qualität alle Ehre.

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Rayla fühlt sich nämlich seit diesem Tag verantwortlich für den Tod ihrer Kameraden (ihr gutes Herz verhinderte, dass sie einen der royalen Späher exekutierte) – in erster Linie für den von Runaan, dem Anführer der Gruppe, der sie gemeinsam mit seinem Mann bei sich aufgenommen hatte, nachdem ihre Eltern (vermeintlich) ihren Posten verlassen und so den „Ei-Raub“ erst ermöglicht hatten (sie waren Mitglieder der sogenannten „Drachenwache“), was ebenfalls lange schwer auf der 15-Jährigen lastete, wie nach und nach herauskommt. Daher sieht sie sich in mehrfacher Hinsicht in der Pflicht, den xadianischen Thronfolger wieder zu seiner Mutter Zubeia, der Königin der Drachen, zurückzubringen. Den Brüdern hingegen könnte niemand verübeln, wenn sie ihr geflügeltes Pendant aus dem tiefsten Inneren verabscheuen würden – schließlich – und langsam dürfte jeder das Muster erkannt haben – war dessen Vater an dem Tod ihrer Mutter schuld. Jedoch sind solche Gedanken mit den Naturellen der Halbwaisen unvereinbar. Beide haben ein gutes Herz, sind friedliebend, besonnen und denken immer zuerst an andere – was durchaus mit ihren (Stief-)Eltern zu tun hat, die sich innerlich schon von vielen der angestaubten Ansichten gelöst hatten, ehe Harrow – ergriffen von Trauer und Wut – wieder „rückfällig“ wurde. Als echter Tierfreund könnte Ezran dem Ei sowieso nicht einmal eines seiner nicht vorhandenen Haare krümmen. Immer an seiner Seite ist die Leuchtkröte Bait, an deren Hautfarbe man stets ihre Laune ablesen kann – sozusagen ein lebendiger Stimmungsring. Wie man etwas später erlebt, mag der Thronerbe Tiere nicht nur, sondern kann sogar mit ihnen (auch magischen) kommunizieren – was ihn zum idealen Vermittler zwischen den beiden großen Parteien macht. Callum ist darüber hinaus ein fantastischer Zeichner, aber dafür nicht einmal ein passabler Schwertkämpfer. Allerdings, wie sich bald zeigt, mit einem Magier-Talent gesegnet – wobei er, den die Himmels-Magie sehr reizt, keinesfalls „Dunkle Magie“ praktizieren will.

Wer dagegen keinerlei Probleme mit dem Einsatz ebendieser hat, sind die junge und überaus begabte Magierin Claudia und ihr Vater Lord Viren, einem der Hauptantagonisten von «Der Prinz der Drachen». Dieser wird als einer der engsten und langjährigsten Vertrauten Harrows eingeführt, dem er bis zu dem Moment treu ergeben ist, als das Oberhaupt von Katolis aus der Sicht des Hochmagiers nicht mehr das Wohl der Menschheit über alles stellt. Mit diesem Argument rechtfertigt dieser jede einzelne seiner Taten, hält diese außerdem deshalb logischerweise stets für alternativlos und ist deswegen auch ein glühender Anhänger der Theorie vom Zweck, der die Mittel heiligt oder anders: Er ist ein nahezu perfekter Bösewicht, weil er sich für den Helden dieser Geschichte hält, für den Guten, der im Zweifelsfall sogar dazu bereit wäre, sein eigenes Leben zu opfern. Während seine Tochter dies nicht wahrhaben will, spricht es sehr für die Drehbuchschreiber, dass sie seinen oftmals begriffsstutzigen, prahlerischen und stets nach dem Prinzip „Erst handeln, dann denken“ verfahrenden Sohn Soren, eine Kronwache, sich von seinem Vater abwenden lassen. Dafür findet Viren einen anderen mysteriösen Verbündeten, der jedoch eindeutig seine eigene Agenda verfolgt. Vorerst ist er aber auf die Hilfe des Hochmagiers angewiesen, weshalb der listige „Einflüsterer" ihn glauben lässt, er unterstütze ihn vollkommen uneigennützig dabei, Katolis zu beschützen.

Bei diesem handelt es sich um das größte der fünf Menschenkönigreiche, dessen Wappen ein Bär ziert. Die weiteren sind Evenere (Wappentier: Libelle), Del Bar (Wappentier: Schlange), Neolandia (Wappentier: Elefant) und Duren, auf dessen Wappen eine Blume zu sehen und das lange von zwei Königinnen regiert worden ist. Zusammen bilden diese Herrschaftsgebiete den Westen, während das bereits mehrfach angesprochene Xadia, das in Season 3 erstmals über einen längeren Zeitraum zum Schauplatz zahlreicher Ereignisse wird, den Osten darstellt – getrennt werden die Landmassen im Übrigen durch einen riesigen Lavastrom. Dort ist jede Pflanze (beispielsweise Melodahlien) und jedes Lebewesen (etwa Putzigel, Banther oder Schlurfer) erfüllt von Magie, weil sie alle über ein Arcanum verfügen. Darunter versteht man eine Art natürliche Verbindung (von Geburt an) zu einer der 6 Urquellen der Magie: also zur Sonne, zum Mond, zu den Sternen, zur Erde, zum Himmel oder zum Ozean. Es gibt zudem bestimmte Orte, die Nexus genannt werden, an denen jeweils eine Urenergie am intensivsten zu spüren ist. Ebenfalls begegnen den Fans darüber hinaus Drachen (ihre Sprache weist übrigens erstaunliche Gemeinsamkeiten mit Latein auf), die eine solche Zuordnung allein aufgrund ihres Aussehens ermöglichen, und natürlich die Elfen. Über die Mondschatten- und Sonnenfeuer-Elfen, die in dem prächtigen Lux Aurea leben, erfahren wir am meisten, außerdem ein wenig über die Erdblut- und Himmelsschwingen-Elfen und nahezu nichts über die Elfen, die das Arcanum der Sterne und das des Ozeans in sich tragen, was aus dramaturgischer Sicht selbstredend völlig nachvollziehbar ist. Speziell durch diese „Fast-Menschen“ mit je vier Fingern erfährt man eine Menge über die Mythologie dieses Universums und lernt Traditionen, Bräuche und typische Kleidungsstücke kennen, die – bei den Menschen ist es nicht anders – es einem ermöglichen, mehr und mehr in diese Welt einzutauchen und noch mehr über sie herausfinden zu wollen.


Und dies ist nicht nur das Verdienst von Aaron Ehasz und Justin Richmond, sondern das von einem riesigen Team von vornehmlich bei Wonderstorm oder Bardel Entertainment beschäftigten Popkulturbegeisterten wie Executive Producer Giancarlo Volpe, Supervising Director Villads Spangsberg und Art Director Edison Yan. Leute also, die von den großen Science-Fiction- und Fantasy-Franchises ebenso inspiriert worden sind wie von Videospielen oder dem Anime-Genre, weshalb sie einige ihrer Inspirationsquellen auch zitieren oder schlicht ihre Liebe zu einigen Kulttiteln zum Ausdruck bringen: Im Original fällt zum Beispiel der recht einprägsame Satz „winter is coming“ und es wird mit Ballisten auf einen Drachen geschossen, wir werden Zeuge, wie eine Stimme durch den Mund des „Eigentümers“ entfleucht und denken urplötzlich an Unterwasserwelten, wer roten Beerensaft aus einem Glasfläschchen mit Korken trinkt, fühlt sich bestimmt wie ein hüpfender Bär, ein riesiges Tier mit enorm langen Beinen, das als Fortbewegungsmittel in einer Wüste eingesetzt wird, ruft bei einigen sicherlich „sternkriegerische" Assoziationen hervor, wenn sich jemand verwandelt, erinnert das an eine Kriegerin, die im Namen des Mondes kämpft, die rennende Rayla an einen Nudelsuppenliebhaber respektive dessen Freunde, und ein Feind, der zwei magische Stäbe kreuzt, sehr an Fieslinge, die es normalerweise mit „teenagers with attitude“ zu tun bekommen. Und die Tonalität der Serie selbst ist eine Verbeugung vor vielen (noch nicht einmal zwangsläufig extrem populären) Cartoons der 90er-Jahre, in denen noch Abenteuergeist, Dramatik, Spannung, Herz und Werte großgeschrieben worden sind, und man sich nie mit weniger als einem epischen Endergebnis zufriedengegeben hat, wie «Highlander – The Animated Series» oder «Dragon Flyz » (beide von Gaumont Multimedia produziert).



Diese Welt hinterlässt bei den Streamenden auch deshalb einen bleibenden Eindruck, weil sie nicht nur zu sehen, sondern gewissermaßen ebenfalls zu fühlen und zu hören ist. Und das liegt an dem deutschen Filmkomponisten Frederik Wiedmann, der mittlerweile in Los Angeles lebt, schon einen Daytime Emmy Award gewonnen hat und nicht nur Gezeichnetes oder Animiertes wie einige der „DC Universe Animated Original Movies“ oder «Miles von Morgen» musikalisch untermalt hat beziehungsweise untermalt, sondern auch «Alarm für Cobra 11 – die Autobahnpolizei» und einige weitere RTL-Produktionen. Bei diesem Projekt hat man allerdings das Gefühl, dass Wiedmann sich so richtig austoben durfte und nicht eher mit dem Feilen aufgehört hat, bis er einen ungemein atmosphärischen Soundtrack fertiggestellt hatte. Die Musikstücke motivieren und berühren einen gleichermaßen. Sie passen zu einem Kosmos, der nur so von Ecken wimmelt, die es sich lohnt, zu erforschen und Charakteren – besonders auch wunderbaren Nebencharakteren wie der stummen Generalin Amaya, ihres Zeichens Schwester der verstorbenen Königin Sarai und Tante der Prinzen –, die man blitzschnell in sein Herz schließt, was selbstverständlich auch an ihrer Gestaltung liegt. Dieses Format dient nämlich ebenfalls als Beweis dafür, dass der Welt des Zeichentricks oder der Animation nahezu keine Grenzen mehr gesetzt sind und die richtigen Leute im Prinzip alles „zu Papier“ bringen können – auch das, was selbst bei Realfilm- beziehungsweise Realserienproduktionen mit riesigen Budgets nicht finanzierbar und in dieser Geschwindigkeit ohnehin nicht realisierbar wäre. Der Look sieht im ersten Moment wie eine Mischung aus klassischem Zeichentrick und Computer-Animationen aus, dabei wurde eine Technik verwendet, die primär bei Games zum Einsatz kommt und den Anschein erwecken kann, als handle es sich um Gezeichnetes. Nach Staffel 1 und dann noch einmal nach Staffel 2 hatte die Design-Abteilung – auch und gerade – auf den Wunsch zahlreicher Anhänger der Sendung hin dennoch jeweils nachjustiert, bis man auf diese Weise letztendlich fast einen klassischen 2D-Look kreiert hatte, der lediglich noch in imposanten Kampfsequenzen auf 3D-Einstellungen zurückgreift und dabei deutlich von Justin Richmonds Gaming-Expertise, die er unter anderem bei der Arbeit an der „Uncharted“-Reihe unter Beweis stellen durfte, profitiert.

Abschließend soll an dieser Stelle zudem noch einmal explizit die deutsche Synchronfassung lobend hervorgehoben werden, die gar besser als das Original geworden ist. Dies hat maßgeblich damit zu tun, dass Dialogregisseur und Dialogbuchschreiber Jan Fabian Krüger sehr darauf geachtet hat, dass vor allem die Dinge, die zwischen den Zeilen mitschwingen, sich aus den Worten der Synchronsprecher ableiten lassen. Schließlich haben viele Figuren mit ihrer Unsicherheit und ihren Zweifeln zu kämpfen beziehungsweise kommt es bei ihnen allgemein häufig zu Stimmungswechseln, die ausgespielt werden wollen, ohne dass man dabei übertreibt. Neben den – man möchte fast sagen – Altmeistern Peter Flechtner (Feststimme von Ben Affleck) und Erich Räuker (Feststimme von Hugh Bonneville), die Viren und dessen mysteriösem Unterstützer Leben einhauchen, hat Krüger überwiegend auf noch recht unverbrauchte Stimmen gesetzt – also solche, denen der Sprung in das oberste „Hollywood-Liga-Regal" bisher noch nicht geglückt ist. Erwähnung finden müssen in diesem Kontext zweifelsohne Maximiliane Häcke (aka das Kikanichen, das jeder kennt, der Enkel, Kinder oder kleine Geschwister hat), durch die Claudias Facettenvielfalt großartig zur Geltung kommt, Sascha Werginz, der Callums Nachdenklichkeit wie auch dessen Entschlossenheit gut herausarbeitet, Newcomer Arthur Wolfgang Mai, dem in Sachen Natürlichkeit kaum jemand das Wasser reicht und der überdies ein talentierter Nachwuchseiskunstläufer ist, und ganz besonders Amelie Plaas-Links Intereptation der Rayla. Die Schauspielerin, die einst eine Hauptrolle in der Sat.1-Soap «Hand aufs Herz» bekleiden durfte, schafft es, die weiche ebenso wie die toughe Seite der Mondschatten-Elfe immer in den richtigen Augenblicken zum Vorschein kommen zu lassen. So verleiht sie Rayla die der Protagonistin eigene Tiefe und Liebenswürdigkeit, die sie aus- und erst zu dem Publikumsliebling machen, der sie ist.

«Der Prinz der Drachen» ist visuell beeindruckend, mit Weitblick geplant sowie packend erzählt und setzt die Messlatte für animierte Serien endlich wieder so hoch, wie es zuletzt vor dem Jahrtausendwechsel der Fall war, und alles spricht dafür, dass eine (etwaige) Staffel 4 das Niveau der vergangenen drei mindestens halten wird.

Die ersten drei Staffeln von «Der Prinz der Drachen» sind auf Netflix verfügbar.
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06.12.2019 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/114205
Florian Kaiser

super
schade

97 %
3 %

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