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«Servant»: Das gruselige Kindermädchen

Mit seiner AppleTV+-Serie bleibt sich M. Night Shyamalan als One-Trick-Pony treu – auch wenn er "nur" als Executive Producer fungiert. Ist das gut oder schlecht?

Cast & Crew

Produktion: Blinding Edge Pictures, Escape Artists und Dolphin Black Productions
Schöpfer: Tony Basgallop
Darsteller: Toby Kebbell, Lauren Ambrose, Nell Tiger Free, Rupert Grint u.v.m.
Executive Producer: Tony Basgallop, M. Night Shyamalan, Ashwin Rajan, Jason Blumenthal, Todd Black und Steve Tisch
Man fragt sich zunächst, wer seltsamer ist: Die angeschickerte Local-News-Tante Dorothy Turner (Lauren Ambrose), die der plötzliche Kindstod ihres Sohnes in den psychiatrischen Zusammenbruch schickte, sodass ihr Ehemann Sean (Toby Kebbell) ihr eine lebensechte Puppe untergejubelt hat, die sie jetzt spazieren trägt? Besagter Ehemann, der dieses zermürbenden Spiels und der emotionalen Instabilität seiner Frau schon lange leid geworden ist und langsam die Hoffnung verliert, sie könne irgendwann die Wahrheit akzeptieren und zu einer gewissen Normalität zurückkehren? Oder das neue Kindermädchen (Nell Tiger Free) mit seinen gruseligen langen schwarzen Haaren, das die Puppe – sehr zum Entsetzen von Sean – auch in Abwesenheit der weggetretenen Mutter wie ein Baby aus Fleisch und Blut behandelt und in ihrer Freizeit befremdliche Kreuze bastelt, die sie über seiner Wiege aufhängt?

Zwar ist M. Night Shyamalan „nur“ als Executive Producer und Regisseur der Prermierenfolge mit an Bord, während Tony Basgallop den entscheidenden Created-by-Credit führt. Trotzdem ist neben Shyamalans inszenatorischer auch seine dramaturgische Handschrift unübersehbar. Die vielen, zuerst undurchschaubaren Clues, die am Schluss auf einen – mal mehr, mal weniger plausiblen – Aha-Moment zusteuern sollen, die eher vor sich hin wabernden Absonderlichkeiten anstelle eines akzentuierten Jumpscare-Narrativs, sowie die leider oft allzu vorhersehbaren Wendungen im Nichts-ist-so-wie-es-scheint-Spielchen: Natürlich liegt am Ende der ersten Folge keine lebensechte Puppe mehr in der Wiege, sondern ein Baby aus Fleisch und Blut, und alle außer Sean und seinem selbstgefälligem Schwager (herrlich affektiert: Rupert Grint) sehen darin nur die unspektakuläre Fortsetzung der Realität. Nicht sonderlich überraschender gerät wenige Folgen später die Enthüllung, dass sich der Name des ominösen Kindermädchens auf einem Grabstein in seinem Heimatdorf in Wisconsin wiederfindet.

Will man sich auf diese Serie einlassen, so kann sie als kurzweiliger, klaustrophobischer Genre-Stoff durchaus gefallen. Basgallop und Shyamalan verstehen sich auf das Atmosphärische, das sie trotz des reizvollen Kammerspiel-Settings (fast alle Szenen spielen im Haus der Turners) zwar nicht auf die künstlerische Spitze treiben, aber trotzdem inhaltlich gut auszustaffieren wissen.

Was dabei leider auf der Strecke bleibt, ist das psychologische Untersuchungsfeld. Denn jede nähere Betrachtung des konfusen Innenlebens der Figuren führt nur in eine weitere Variation des Bizarren und Absonderlichen: Das Kindermädchen massiert seiner Chefin in der Badewanne liebevoll die Mastitis-Schmerzen aus der Brust, während Sean für ein erlesenes Diplomaten-Dinner in der Küche Aale malträtiert. Das Irrsinnige ist sich selbst genug, wird aber nie zu einer allumfassenden künstlerischen Gesamtheit zusammengeführt.

Denn in «Servant» geht der erzählerische Kniff immer vor der Kohärenz: Um am Ende der ersten Folge das lebende Baby in der Wiege als Big Reveal enthüllen zu können, nimmt die Dramaturgie eine lange halbe Stunde erzählerische Ziellosigkeit in Kauf. Die Frage nach der kognitiven Dissonanz und nach der „tatsächlichen“ Realität bildet in ähnlicher Weise den Aufhänger wie in Shyamalans Meilensteinen «The Village» und «The Sixth Sense». Einfacher ausgedrückt: Wer ist hier wirklich der/die Durchgeknallte – das gruselige Kindermädchen aus dem Mittleren Westen, die neben sich stehende Kindsmutter, oder doch der normal wirkende Vater, der plötzlich von der eigenen Alarmanlage nicht mehr erkannt wird?

Innerhalb des erzählerischen Kontexts funktioniert dieses Konzept durchaus – doch insgesamt ist es zu sehr darauf aus, dass der Zuschauer anhand der sich widersprechenden Hinweise mitknobelt, anstatt die emotionale Realität – und damit den eigentlichen psychologischen Horror – wirklich zu erfahren. Denn um eine ernsthafte Begegnung mit den gruseligen Abgründen der menschlichen Seele macht «Servant» (noch?) einen Bogen.

«Servant» ist bei AppleTV+ abrufbar.
01.12.2019 16:41 Uhr Kurz-URL: qmde.de/114080
Julian Miller

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Tags

Servant The Village The Sixth Sense

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