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«Hustlers»: Stripperinnen hauen Wall-Street-Bonzen über's Ohr

Frei nach einer wahren Geschichte: Stripperinnen nehmen nach dem Finanzcrash Wirtschaftsspekulanten aus. Das Ergebnis: Ein kluger, energiereicher Film mit Herz und Seele.

Filmfacts «Hustlers»

  • Regie und Drehbuch: Lorene Scafaria
  • Basierend auf dem Artikel "The Hustlers at Scores" von Jessica Pressler
  • Produktion: Jessica Elbaum, Will Ferrell, Adam McKay, Elaine Goldsmith-Thomas, Jennifer Lopez
  • Cast: Constance Wu, Jennifer Lopez, Julia Stiles, Keke Palmer, Lili Reinhart, Lizzo, Cardi B
  • Kamera: Todd Banhazl
  • Schnitt: Kayla Emter
  • Laufzeit: 110 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Anfang 2014 gründete Produzentin Jessica Elbaum mit Gloria Sanchez Productions ein Schwesternstudio zur Produktionsfirma Gary Sanchez Productions, unter dem Will Ferrell und Adam McKay so unterschiedliche Komödien wie «Hänsel & Gretel: Hexenjäger» und «Anchorman 2» verwirklicht haben. Bisher wenig beachtet, legte Gloria Sanchez Productions dieses Jahr zwei kreative Volltreffer hin. Nach der erfrischenden High-School-Komödie «Booksmart» kommt nun mit «Hustlers» ein Film in die Kinos, der ein Thema tangiert, mit dem sich Produzent Adam McKay bereits bestens auskennt:

Schon seine 2010 veröffentlichte Polizeikomödie «Die etwas anderen Cops» verteilte Seitenhiebe auf Wirtschaftskriminalität und Schummeleien in der Hochfinanz, fünf Jahre später erhielt sein temporeiches Wall-Street-Satiredrama «The Big Short» massives Kritikerlob und gewann einige prestigeträchtige Filmpreise. «Hustlers» behandelt das in «The Big Short» beleuchtete Zerplatzen der Finanzblase 2008 nun aus einer überraschenden Perspektive:

Lorene Scafaria («Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt») erzählt, inspiriert von einem journalistischen New-York-Magazine-Artikel, wie eine Gruppe von Stripperinnen durch die Weltfinanzkrise getroffen wird und daher zum Rückschlag ausholt. Die Autorin und Regisseurin nutzt diese ebenso dramatische wie gewitzte Geschichte eines clever eingefädelten Verbrechens, um den im Gangsterpossenkino oft als rein schmückendes Beiwerk dargestellten Berufsstand der Stripperin zu vermenschlichen, mit den Finanzhaien abzurechnen, die die Wirtschaftswelt aus der Bahn geworfen hat, und um über die Gemüter verpestende Wirkung der Geldgier zu referieren. Das filmische Ergebnis ist somit quasi ein "«Magic Mike XXL» mit Frauen trifft «The Big Short»".



Der emotionale Stützpfeiler von «Hustlers» ist nämlich die ausdifferenzierte Darstellung des Arbeitsplatzes unserer Hauptfiguren sowie die nuancierte Skizzierung der Stripperinnen: Das Moves, in dem ein großer Teil des Films spielt, ist keine dieser abgeranzten Spelunken, wie wir sie aus zig Action- und Gangsterfilmen kennen, sondern ein großer, mit kunstvoll gesetzter Beleuchtung ausgestatteter Strip-Club. Schließlich will er auch gezielt Bonzenkundschaft anlocken. Die Protagonistinnen sind sich dieser Ausnahmesituation bewusst und wissen das Moves insoweit zu schätzen – und dennoch beschönigt Scafaria die Arbeitssituation ihrer Hauptfiguren nicht.

Allem zum Trotz gibt es neben den nervösen, zuweilen auch etwas scheuen Kunden eben auch eine große Menge an ungehobelten, rüden Mistkerlen – und wenngleich die Stripperinnen einige ihrer Kolleginnen und Kollegen wertschätzen, gibt es auch den einen Mitarbeiter, der naive Neulinge sexuell ausnutzt (was Scafaria nur anreißt, statt schaulustig zu zeigen). Diese uneindeutige Zeichnung des Moves schafft eine Schaubühne, auf der das «Hustlers»-Publikum den zentralen Figuren auf Augenhöhe begegnet – sie sind keine willigen Objekte und genauso wenig gefallene Frauen, sondern alltägliche Zeitgenossinnen.

Denn auch ganz andere Berufsgruppen haben damit zu kämpfen, dass sie weniger wertgeschätzt und rüder behandelt werden als Spitzenverdienende. Auch in ganz anderen Berufsfeldern knüpfen Kolleginnen und Kollegen emotionale Bande, um sich von der Präsenz unangenehmer Vorgesetzter abzulenken. Und viele, viele Menschen, die sich und ihre Liebsten gerade so über Wasser halten können, gönnen sich ein paar Statussymbole, um sich besser darzustellen und so Respekt zu verschaffen.

Die zentrale Identifikationsfigur in «Hustlers» ist die zurückhaltende Dorothy alias Destiny, die von Constance Wu mit einer bewundernswerten Ruhe gespielt wird, hinter deren Fassade sich aber viel abspielt: Der «Crazy Rich»-Star drückt allein schon damit Bände aus, wie sich Destiny bewegt und wie streng ihre Körperhaltung ist. Zu Beginn der Geschichte schleicht Destiny fast schon durch das Moves, verschüchtert genug, um zu verdeutlichen, weshalb ihre Figur dringend nach einer Art Mentorin sucht, aber gerade noch mit ausreichend Verve, dass man nicht hinterfragt, weshalb so jemand in einem Strip-Club arbeitet. Durch Nachhilfe einer Kollegin stärkt sich Destinys Selbstbewusstsein – und dennoch bleibt dieser Hauch Unwohlsein gegeben, mit dem nonverbal deutlich wird, dass Destiny nur aus Mangel besserer Alternativen, nicht aus Selbsterfüllung im Moves bleibt.

Besagte, Destiny unterrichtende Kollegin ist die vor Selbststolz fast platzende, durchtrainierte und mit einer leicht trashigen Eleganz gesegnete Ramona, verkörpert von einer geradezu glühenden Jennifer Lopez. Hervorragend auf der Moves-Showbühne, abseits des Publikums eine gönnerhafte große Schwester für ihre Kolleginnen (die aber spürbar am meisten Freude daran hat, dass man zu ihr aufsieht, und in Momenten wahrer Verletzlichkeit freundlich-reserviert agiert), ist Ramona die heimliche Königin des Moves. Sie ist es, die vor dem Platzen der Finanzblase ihr wohlhabendes Publikum durchschaut (und in einer gewitzt geschriebenen Montagesequenz durchanalysiert). Und sie ist es, die sich nach dem Finanzcrash einen moralische sowie rechtliche Grenzen überschreitenden Coup ausdenkt, um sich von denen, die die Welt in eine Krise gestürzt haben, das unverschämt große Geld zu nehmen, das sie noch immer haben.

Aufgrund der sensiblen Charakterzeichnung Destinys und der einnehmenden Ausstrahlung Ramonas beginnt diese Masche als eine Art "fragwürdige, aber verständliche Selbstjustizaktion": So, wie in zahllosen Gangsterfilmen, Räuberpossen und «Robin Hood»-esken Erzählungen zuvor, lautet der Gedanke "es mag verboten sein, aber wir liegen ja wohl völlig im Recht, uns wurde scheiße mitgespielt, also finden wir nun einen Weg, alles gerade zu rücken". Und nach dem energiereichen, gewitzten Einstieg hält Lorene Scafaria zunächst einmal inszenatorisch diese Narrative aufrecht, um dem Film nicht seinen Drive zu rauben: Die Stripperinnen gehen mit Einfallsreichtum und viel Verve an ihre Aktion heran, die mehrmals pointierte Wendungen nimmt.

Gleichwohl schraubt Scafaria die Spannungskurve nach oben und vergrößert die dramatische Fallhöhe: Schon früh kommt es zu besorgniserregenden Missgeschicken, in der Trickbetrügerinnengruppe entstehen Unstimmigkeiten über das Vorgehen und sukzessive nimmt Scafaria die Folgen dieses Handelns in den Fokus – darüber hinaus schafft sie durch clevere akustische und strukturelle Einfälle (so spielt sie im letzten Drittel mehrmals mit der Tonspur) plötzlich eine Distanz zu den «Hustlers»-Hauptfiguren.

Es ist sozusagen so, als wäre die Erzählung auf einer Metaebene von den Moves-Tänzerinnen enttäuscht: Waren wir lange eng bei ihnen und kosteten die kleinen Späße und Glanzmomente aus, verschiebt sich der Fokus nun trotzig auf Dorothys zeitlich versetzte Reflexion dieses wahren Verbrechens, auf den Diskurs darüber, ob ihre Opfer es verdient haben, und darauf, was das Versprechen des großen Geldes aus ihr und ihren Kolleginnen gemacht hat.

Dadurch wird «Hustlers» zu einem dynamische 110 Minuten langen Ritt: Von Kameramann Todd Banhazl in einem vitalen Stil (nicht aber showy) gefilmt, bietet «Hustlers» atemberaubende Auftritte, zielgenau platzierte Systemkritik, unpathetisch aus dem Leben gegriffene Momente der Ratlosigkeit und eine fesselnd nachskizzierte, verletzliche Freundschaft, die das wilde, dramatische und auch skandalöse Treiben menschlich umklammert.

Fazit: «Hustlers» ist der Finanzcrashfilm, den Adam McKay als Regisseur nicht hätte machen können. «Hustlers» ist die gewitzte, fesselnde Verfilmung eines wahren, organisierten Verbrechens, für die es eine clevere, einfühlsame Regisseurin brauchte: «Hustlers» ist ein satirisches Gesellschafts-Thrillerdrama und Kriminalkomödie zugleich. «Hustlers» ist ganz großes Kino.

«Hustlers» ist ab dem 28. November 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
27.11.2019 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/113947
Sidney Schering

super
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Hänsel & Gretel: Hexenjäger Anchorman 2 Booksmart Hustlers Die etwas anderen Cops The Big Short Magic Mike XXL Crazy Rich Robin Hood

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