Max Bialystock hätte ahnen müssen, dass seine Masche schief laufen muss: Schon vor «Springtime for Hitler» wurde ein Flop mit Ansage zum Megaerfolg.
Wir schreiben das Jahr 1954: Schauspieler Burt Lancaster und sein Produktionspartner Harold Hecht machen sich Sorgen. Sorgen um ihre Finanzen: Sie haben zu viel Geld und fürchten eine riesige Steuerzahlung. Doch ihnen kommt eine fixe Idee: Sie wollen einen Film produzieren, der gewaltig auf die Nase fliegt, so dass sie eine massive Abschreibung tätigen können. Ihr Plan: Eine 51 Minuten lange Episode einer extrem erfolgreichen Anthologieserie als abendfüllenden Kinofilm neu verfilmen. Denn wer bezahlt schon, um etwas noch einmal zu sehen, das bereits gratis verfügbar war? Und dann ist die neue Version auch noch unnötig gestreckt!
Also gehen Lancester und Hecht auf Paddy Chayefsky zu. Paddy Chayefsky, ein geschäftiger, aber noch vor dem richtigen Durchbruch stehender Autor, der später das bahnbrechende, satirische Drama «Network» schreiben sollte, verfasste nämlich kürzlich eine unglamouröse, unaufgeregte TV-Liebesgeschichte im Arbeitermilieu – wahrlich kein attraktiver Kinostoff. Also perfekt für diesen Coup.
Aber Chayefsky ist nicht leicht davon zu überzeugen, seinen Stoff zu verkaufen. Aufgrund schlechter Erfahrungen fordert er kreative Kontrolle, ein Mitspracherecht beim Casting, und dass der Regisseur der Fernsehepisode auch den Kinofilm inszeniert. Seine Forderungen werden bewilligt. Es schient trotzdem (oder gerade daher) durchweg nach Hechts und Lancesters Plan zu verlaufen: Chayefsky erweitert den Film, indem er mehr Szenen über die weibliche Hauptfigur (ein Mauerblümchen von einer Lehrerin) verfasst. Gääähn, wen juckt das schon?! Er setzt sich für Betsy Blair als Hauptdarstellerin ein – eine sehr kontroverse Wahl, da sie im vorherrschenden US-Politklima als zu links gilt und unter Verdacht steht, Kommunistin zu sein. Als Darsteller der Titelfigur wird wiederum Ernest Borgnine gewonnen, ein Charakterkopf, der für 1950er-Filmgeschmäcker zu bullig, zu alltäglich aussieht und dem daher Hauptrollen normalerweise verwehrt bleiben. Borgnine wird viel mehr als Schurkendarsteller gesehen.
Die Dreharbeiten werden letztlich sogar im September 1954 abgebrochen, nachdem ein Buchhalter berechnet, dass das Finanzgrab nun groß genug sei. Doch dann stellen die Produzenten fest, dass der Film sehr wohl beendet und veröffentlicht werden muss, um ihn abschreiben zu können. Und dann geschieht das Unglaubliche: Das Romantikdrama erhält herausragende Kritiken. Die unglamourösen Figuren würden der Geschichte Ehrlichkeit und Dringlichkeit verleihen, dank der ungehübschten Darsteller sieht man in diesem Film ein Drama über das echte Arbeiteramerika und seine Sorgen.
Und trotz eines verschwindend geringen Werbebudgets wird aus dem Film zudem ein Kassenschlager. Das US-Publikum findet sich in den Figuren wieder, sieht den geplanten Flop als inspirierende Geschichte darüber, dass jeder Liebe verdient. Männer befinden, dass der Film ihnen sagt, dass man kein harter, oberflächlicher Hund sein muss, um Glück zu finden, Frauen erfreuen sich daran, auch mal eine nicht aufgedonnerte, nachdenkliche Identifikationsfigur auf der Leinwand zu sehen. Die Goldene Palme von Cannes und vier Oscars, darunter für den besten Film, zementieren «Marty» letztlich als Klassiker des US-Kinos. Nicht schlecht für eine erhoffte Betrugsmasche. Und die Moral von der Geschicht'? Keine Ahnung, Qualität setzt sich auch gegen den Willen mancher Beteiligter durch?
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
26.11.2019 15:15 Uhr 1
26.11.2019 15:35 Uhr 2
Och, mööööönsch.