Showrunnerin Katharina Eyssen und Darstellerin Leonie Benesch verraten, was sie an der Idee dieser Netflix-Serie gereizt hat.
Katharina Eyssen: 'Ich bin keine Autorin, die einfach mal was vom Spotlight abhaben will'
«Zeit der Geheimnisse» wird in drei Folgen zu je weniger als 40 Minuten erzählt – es hätte also genauso ein Film von rund zwei Stunden werden können. Gab es einen Grund für diese ungewöhnliche Veröffentlichungsweise?
Schon die Art der Erzählung hat ja nicht die typische Filmdramaturgie. Ohne mich größer machen zu wollen als ich bin, ähnelt es ja einer Novelle. Wir haben also ein ungewöhnliches Format gewählt für eine ungewöhnliche Erzählung. Ich bin sehr froh, dass Netflix dafür offen ist. Anfangs sollten es drei bis fünf Folgen über ungewöhnliche Weihnachten werden. In der Entwicklung wurde uns früh klar, dass wir uns auf einen Ort und auf ein Weihnachten beschränken, also haben wir es auf drei Folgen gekürzt. Wir hatten zuerst die Figuren und die Geschichte – und die haben dann ihren formellen Überbau gefunden.
Da Sie vom novellenartigen Charakter der Miniserie sprechen: Gab es vielleicht konkrete Vorbilder in Inhalt, Struktur oder Tonalität?
Nein, gar nicht. Das Projekt ist ja sehr schnell entstanden. Zwischen der Einigung, dass Netflix und ich gemeinsam was machen wollen, bis zum Serienstart ist ein gutes Jahr vergangen – eine sehr kurze Zeit in dieser Branche. Deswegen habe ich nicht lange in Ideen geschwelgt, sondern sehr schnell alles auf das Papier gebracht, was ich schon immer erzählen wollte. Also, nicht unbedingt diese exakte Geschichte, aber mir liegen Familiengeschichten, ich wollte schon immer über mehrere Generationen an Frauen erzählen, mich hat immer fasziniert, wie die Menschen in unserem Leben uns beeinflussen. Ich habe hier alles raus gehauen, was an Themen und Figuren in mir geschlummert hat.
Sie sprachen von einer außergewöhnlichen Erzählung – das zeigt sich bei «Zeit der Geheimnisse» ja selbst in kleinen Dingen. So wird nur einmal eingeblendet, in welchem Jahr wir uns befinden. Viele Serien mit so vielen Rückblenden hätten das häufiger wiederholt …
Das ist so eine Detailfrage – und ich weiß das noch ganz genau! Ich sehe noch vor mir, wie wir im Schneideraum saßen. Editoren, Regie, ich, Kollegen von Netflix, wir haben alles gemeinschaftlich beschlossen und ich weiß noch, wie diese Einblendungen zur Debatte standen und ich fand, dass die nicht schön aussehen, wir es also nur einmal ganz zu Beginn machen sollten, um die Zeitsprünge zu etablieren. Ich wollte nicht, dass man jedes Mal durch so eine Einblendung aus dem Erzählfluss gerissen wird. Ich finde, hier geht es darum, dass man emotional der Geschichte folgt. Und wer sich von der Geschichte abholen lässt, wird ihr auch folgen können. Wer emotional so raus ist, dass er nicht mitkommt, den würde ich auch durch Inserts nicht mitreißen können.
Was ebenfalls ungewöhnlich an der Serie ist: Der Posten der Showrunnerin wird in Deutschland ja noch immer selten vergeben …
Ja, es ist als Autorin in Deutschland ungewöhnlich, der kreative Chef zu sein der Unternehmung zu sein. Ich habe die Serie durch alle Abschnitte begleitet: Vorbereitung, Dreh, und im Schnitt. Und noch ungewöhnlicher ist es, bei solch einer abgeschlossenen Miniserie auf dieser Position zu sein. Es ist ja einleuchtender, einen Autoren oder eine Autorin als kreativen Chef zu bestimmen, wenn eine Serie mehrere Jahre auf Sendung gehen und viele Regisseure durchlaufen soll. Dann soll der Showrunner für eine Kontinuität, eine Gesamtvision sorgen. Dass wir hier einen kleinen Dreiteiler haben, und dennoch ich als Autorin in dieser Position war, das ist wirklich besonders – und ich bin sehr froh darum, die Gelegenheit zu haben, mich in diese Funktion einzufühlen, ohne dass ich direkt ein riesiges Unterfangen zu leiten habe, das ich vielleicht gar nicht händeln kann.
Als Showrunnerin haben Sie ja noch stärker die Chance, ihr "Baby zu beschützen", wie es Autoren ja lange Zeit nicht konnten …
Klar, das ist schon auch toll. Aber ich gehöre nicht zu den Autoren, die Kontrakt 18 unterschrieben und auf Teufel komm raus Kontrolle haben wollen. Ich habe ganz tolle Erfahrungen gehabt, mit Regisseuren wie David Dietl, Marc Rothemund, Vanessa Jopp, die alle eng am Drehbuch mitgearbeitet haben, und die ich mit gutem Gewissen und mit Freude ans Set entlassen habe. Da wäre mir nie der Gedanke gekommen, zu diskutieren, welche Handtasche die Hauptdarstellerin trägt oder mich gar in den Schneideraum zu setzen. Da wusste ich, wo mein Weg zu Ende ist. Es ist eine Staffelstabübergabe. Und dieses Denken "Mein Baby, versaut es bloß nicht", das verstehe ich nicht. Aber natürlich gibt es Fälle wie diese Streamingserie, wo die Hierarchie anders ist: Ich habe ja nicht nur das Drehbuch geschrieben und mich dreist in den Schneideraum gesetzt, sondern auch Kostümabnahmen, die Kommunikation mit Netflix, die ganze umfangreiche Arbeit geleistet, und da sehe ich auch ein Anrecht, bis zum Schluss am Ball bleiben zu wollen. Ich bin keine Autorin, die einfach mal was vom Spotlight abhaben will.
Die Punkte, die Kontrakt 18 durchsetzen wollte, die sind meiner Ansicht nach gewährleistet, wenn man eine schöne, respektvolle kreative Zusammenarbeit hat. Ich finde, das ist so ein bisschen wie mit einem Ehevertrag. Es gibt Dinge, die kann man auch mit einem Vertrag nicht durchsetzen. In Kontrakt 18 stehen auch Dinge drin, auf die man meiner Meinung nach kein Anrecht hat, wenn man "nur" Drehbuchautor ist. Das Mitspracherecht, wer mein Drehbuch verfilmt, etwa – will ich das haben, dann muss ich auch in die unternehmerische Verantwortung treten und zum Beispiel Koproduzent werden. Nur dann darf ich entscheiden, wen ich anstelle.
Vielen Dank für das Gespräch.
© Katalin Vermes/Netflix
Corinna Harfouch
Leonie Benesch: 'Ich würde eine Zusage nie allein von der Rolle abhängig machen'
Wie ist es euch gelungen, dass die junge Version Ihrer Rolle und die von Ihnen gespielte Version der Lara sich auch wie aus einem Guss anfühlen? Habt Ihr euch gegenseitig beim Spiel beobachtet?
Casting Director Simone Bär hat Lisa zusammen mit Regisseurin Samira Radsi und unserer Showrunnerin Katharina Eyssen gecastet, und das war einfach ein Volltreffer. Tilda hat die rötlichen Haare, die ich als Kind hatte. Und dann ist unsere Rolle Lara einfach sehr klar geschrieben, da war es einfach, sie getrennt voneinander ähnlich anzulegen. Aber wir sind uns einmal am Drehort begegnet, und da hat sie so ein kleines Meeting angefordert, um zwischen Tür und Angel zu besprechen, wie wir Lara sehen. Und: Ich habe dann am Set einmal darum gebeten, mir eine Szene anzuschauen, wie sie die kleine Lara spielt. Und ich habe beschlossen, eine Macke zu übernehmen, die sie der kleinen Lara gegeben hat, nämlich wie sie immer ihre Brille die Nase hochschiebt.
Das klingt so, als sei «Zeit der Geheimnisse» eine der wenigen Serien, die chronologisch gedreht wurden?
Nein. Wir haben erst die Außenaufnahmen in Dänemark gedreht und dann sind wir nach Budapest gefahren für die Innenaufnahmen. Das war alles überhaupt nicht chronologisch, und wir haben manchmal auch spontan am Set umgeplant. Der Schauplatz ist ja dieses wunderschön detaillierte Haus, und gelegentlich kam es vor, dass eine Szene in dem Moment nicht funktioniert hat, also haben wir uns einfach umgedreht und Szenen in einem anderen Raum gedreht, die wir vielleicht am nächsten Tag machen wollten. Ich habe aber auch noch nie chronologisch gedreht – das ist sehr selten in der Branche.
Klar, die Logistik dahinter ist ja auch kompliziert. Allerdings wurde mir mal gesagt, es sei bei chronologischer Reihenfolge für den Cast leichter ..?
Ich weiß nicht … woher auch? (lacht) Ich muss die Figur kennen, ihren Bogen, was eine Szene mit der Figur macht, wie sie in einen Moment reingeht und wie sie aus ihm herauskommt. Das ist ja meine Aufgabe als Schauspielerin. Und ich muss dann fähig sein, auf Änderungen einzugehen. Wenn heute spontan Bild drei gedreht wird, statt Bild zwölf, dann muss ich wissen, was ich mir dafür überlegt habe. Und man hat ja noch immer die Regie am Set, mit der man sich austauschen kann.
Katharina Eyssen hat verraten, dass das Projekt sehr schnell vorwärts ging. War das auch für Sie so? Haben Sie zügig zugesagt?
Ohja! Das war im Januar: Ich war gerade in New York und war auf dem Weg zurück nach Hause, nach London, als ich die Anfrage bekam. Als ich Donnerstagmorgen in London gelandet bin, bekam ich den Anruf, ob ich Freitag in Berlin sein kann. Also habe ich am Flughafen, an dem ich gerade gewartet habe, den Flug für Donnerstagnachmittag nach Berlin gebucht. Ich habe drei Stunden gewartet, bin von London nach Berlin geflogen, hatte das Casting und bin dann am Freitagmittag wieder nach Hause geflogen. Das war alles absurd spontan. Aber ich hatte für das Casting zwei Szenen, die sehr, sehr lustig geschrieben waren, und ich mochte das Konzept sehr: Dass es viele Frauenrollen sind, wir eine Showrunnerin haben, was in Deutschland noch immer ein neues Konzept ist, und eine weibliche Regisseurin. Das wollte ich unterstützen, ich wollte gerne dabei sein, weil es solche Projekte selten in Deutschland gibt. Zwei, drei Wochen später habe ich das Drehbuch bekommen und ich glaube, im Februar fing dann schon der Dreh an.
Sind Sie immer so spontan?
Nicht immer, aber es kommt durchaus oft vor. Ich bin so ein Bauchgefühlmensch.
Auf die Gefahr hin, dass das auch allein ein "Bauchgefühl" ist: Woran machen Sie für sich aus, ob eine Rolle gut ist oder nur Beiwerk und daher nicht ansprechend ..?
Ich kann nicht genau benennen, wo diese Grenze ist. Es ist wirklich eine Bauchgefühl-Frage. So ist meine Rolle in «Zeit der Geheimnisse» ja auch nicht gerade etwas Neues für mich. Dieser Typ Frau, leicht schüchtern, eher zurückhaltend und introvertiert – der wird mir seit «Das weiße Band» ja andauernd angeboten. (lacht) Und das ist auch in Ordnung. Mich muss nicht immer die Rolle selbst faszinieren, manchmal will ich einfach an einem bestimmten Projekt mitwirken – so wie hier. Ich spiele einen Rollentypus, den ich schon oft gespielt habe, aber in einem sehr interessanten Rahmen und die Figur ist auch nuancierter geschrieben als ich diesen Typus schon öfter gespielt habe. Ich habe diese Art Figur auch mehrmals sehr zweidimensional angeboten bekommen und dort dennoch zugesagt, weil mich Cast und/oder Crew angesprochen haben. Ich würde eine Zusage nie allein von der Rolle abhängig machen – natürlich könnte ich in einer idealen Welt immer wieder was Neues spielen. Aber wir leben nicht in einer idealen Welt – und ich muss ja auch mein Geld verdienen. (lacht)
Gibt es einen Rollentypen, den Sie gerne spielen würden, aber nie angeboten bekommen haben?
Das nicht, aber: Ich fände es schön, wenn mehr Menschen meinem Gesicht zutrauen würden, auch nach 1960 zu existieren. Ich werde ja irgendwie auf historische Stoffe reserviert, und das ist ja auch alles schön und gut, aber ich finde es trotzdem etwas seltsam, dass mich kaum wer in der Gegenwart sieht. (lacht) Das war ein weiterer Grund, dass mich «Zeit der Geheimnisse» angesprochen hat: Ich darf endlich mal eine Frau im Jahr 2019 spielen. (lacht) Aber ich will mich nicht beschweren! Ich weiß noch, wie ich zu Beginn meiner Karriere dachte: "Na gut, jetzt hast du ein paar Jahre, und ab ungefähr Mitte 30 musst du dann schauen, was du nach dem Schauspielen so machst." Aber in den letzten Jahren hat sich glücklicherweise das Spielfeld für uns Frauen geändert. Es ist noch immer Luft nach oben, aber die Rollenauswahl wird immer besser und ich denke nicht weiter, dass man mit dem Alter kaum noch interessante Stoffe bekommen wird. Daher bin ich schon sehr froh damit, wie es für mich läuft – ganz gleich, dass man mich oft im Damals verortet.
Vielen Dank für das Gespräch.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
24.11.2019 14:09 Uhr 1
Ach, und Danke für diese 2 sehr netten Interview's!!