«Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen» - Zurück im Overlook
Es ist eine Fortsetzung, über deren Existenz vorab viel gegrübelt wurde - benötigt es wirklich eine Weitererzählung der «Shining»-Ereignisse? Stephen King selbst gab mit seinem Roman die Antwort, der nun unter dem sperrigen Titel «Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen» verfilmt wurde.
Obwohl in Hollywood heutzutage ja wirklich alles dem Sequelwahn zum Opfer fällt, gibt es Filme, zu denen sich eine Weiterführung ganz einfach falsch anfühlt. Bestes und wohl aktuellstes Beispiel ist die Ankündigung, Netflix würde gemeinsam mit dem Autor des Originals ein Prequel zu Roman Polanskis «Chinatown» planen. Ein wenig geht es einem auch so, wenn man hört, «Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen» (ja, der Film heißt hierzulande wirklich so und nein, wir werden ihn im weiteren Verlauf trotzdem nicht so nennen) sei eine Weitererzählung der Ereignisse aus dem sagenumwobenen Overlook-Hotel, dessen Türen Stanley Kubrick 1980 basierend auf Stephen Kings „Shining“-Roman öffnete. Seither sind knapp vierzig Jahre vergangen und eine Fortführung eines der bestinszenierten Horrorfilme aller Zeiten kann man sich ähnlich packend kaum vorstellen. Dabei stehen schon die Vorzeichen ganz anders. Stephen King selbst verfasste den Roman „Doctor Sleep“ im Jahr 2013 nach eigenem Gutdünken und nicht zwingend als Vorlage für einen Kinofilm.
Dass man diesen nun sechs Jahre später ebenfalls verfilmt, liegt – insbesondere in der Post-«Es»-Zeit, in der King-Verfilmungen wieder en vogue sind – in der Natur der Sache. Und aus dieser macht Regisseur Mike Flanagan («Before I Wake») das Beste, denn eine «Shining»-Fortsetzung hätte man sich wohl kaum besser vorstellen können. Gleichzeitig beweist der Film aber auch, dass es eben nahezu unmöglich ist, einen Film zu inszenieren, der auch nur im Ansatz eine ähnlich verstörende Atmosphäre aufweist. In «Doctor Sleeps Erwachen» steckt also mindestens genauso viel Licht wie Schatten.
Knapp vierzig Jahre danach
Immer noch gezeichnet von den traumatischen Erlebnissen, die er als Kind im Overlook durchmachte, musste Danny Torrance (Ewan McGregor) darum ringen, so etwas wie Frieden in seinem Leben zu finden. Doch dieser Frieden wird erschüttert, als er die junge Abra (Kyliegh Curran) trifft, einen tapferen Teenager, der im Besitz einer mächtigen, übersinnlichen Kraft ist: des „Shining“. Ihren Instinkten folgend hat Abra erkannt, dass Dan diese Gabe ebenfalls besitzt. Sie bittet ihn um Hilfe, gegen die gnadenlose Rose the Hat (Rebecca Ferguson) und ihre Anhänger vom Wahren Knoten vorzugehen, die sich in ihrem Streben nach Unsterblichkeit vom Shining Unschuldiger ernähren. Bei dem Versuch, sich gegen ihre scheinbar übermächtige Bedrohung zur Wehr zu setzen, müssen Dan und Abra nicht nur zusammenhalten, sondern auch herausfinden, ob es noch mehr Menschen gibt, die das „Shining“ besitzen…
Mike Flanagan ist nicht nur mit Stephen-King-Materie, sondern auch mit der Inszenierung von Fortsetzungen vertraut. Für Netflix inszenierte er bereits die Verfilmung der King-Novelle «Gerald's Game». Für Blumhouse Productions nahm er sich wiederum der schwierigen Aufgabe an, den völlig vermurksten «Ouija – Spiel nicht mit dem Teufel» um ein atmosphärisch sehr stimmiges, mit vielen nostalgischen Gruselelementen versehenes Sequel zu ergänzen. Generell hat Flanagan ein Händchen für Schauerstimmung; auf seine Kappe geht nämlich auch die Inszenierung der gefeierten Horrorserie «Spuk in Hill House». Dass die Wahl Flanagans nicht nur auf dem Papier die richtig war, sondern er diese Vorschusslorbeeren auch wirklich wert ist, beweist der Film bereits in der aller ersten Szene: Beginnend mit dem Achtzigerjahre-Warner-Logo und unter den dröhnenden Klängen des Original «Shining»-Scores (der Film spielt also definitiv im von Kubrick erschaffenen «Shining»-Universum), sehen wir, wie der kleine Danny auf seinem Dreirad durch die verwinkelten Gänge des Overlook-Hotels düst. Wer nicht genau darauf achtet, wird kaum erkennen, dass es sich hierbei nicht um Original-, sondern um nachgedrehte Szenen an einem penibel dem Originalset nachempfundenen Overlook-Nachbau handelt; Flanagan und sein Team haben wirklich ganze Arbeit geleistet, um den makaberen Charme des wohl gruseligsten Hotels der Welt ins Jahr 2019 zu übertragen.
Man würde vermutlich vom genauen Gegenteil ausgehen, aber «Doctor Sleeps Erwachen» funktioniert ausgerechnet dann am besten, wenn er auf «Shining» direkten Bezug nimmt. Und das, wo es doch eigentlich irritieren müsste, dass Szenen mit dem jungen Danny (Roger Dale Floyd) und der jungen Wendy (Alex Essoe) kurz nach den Ereignissen im Overlook mit ähnlich aussehenden Darstellern nachgedreht wurden. Trotzdem: Die Illusion geht dank einer sehr geschickten Kameraführung (Michael Fimognari, «Spuk in Hill House») und gezielten Schnitten (Flanagan übernahm selbst), die die beiden zentralen Figuren des Originals oft nur von hinten oder der Seite zeigt, erstaunlich gut auf; und im Finale holt Flanagan aus der Kult-Kulisse dann sogar noch ein Stückchen mehr raus, als nur netten Fanservice.
Drei Geschichten auf einmal
Doch eh es überhaupt zum Showdown im wiedererweckten Overlook kommen kann, will «Doctor Sleep» eine Geschichte erzählen. Und die – das werden Kenner der Romanvorlage bereits wissen – hat mit den Ereignissen in «Shining» kaum etwas zu tun. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile: Der Geschichte nimmt es einen Großteil der Fallhöhe, da sie sich inhaltlich kaum mit den Geschehnissen aus dem Vorgänger messen lassen muss. Wer sich hingegen auf einen neuen Beitrag aus dem Subgenre „Hotel-Horror“ freut, der dürfte von «Doctor Sleeps Erwachen» dann doch eher enttäuscht sein. Überhaupt ist der Film trotz seines Horror-Auftakts lange Zeit eher Charakterdrama als Genrefilm (nicht ohne immer wieder clever auf «Shining» Bezug zu nehmen; etwa wenn das Zimmer des AAA-Leiters exakt so eingerichtet ist wie einst jenes des Overlook-Hotelleiters), das den mittlerweile erwachsen gewordenen und von Ewan McGregor («Christopher Robin») solide verkörperten Danny Torrance dabei beobachtet, wie dieser sich nach der Horrortat seines Vaters Jack Alkohol und Nutten zuwendet und erst spät sein Leben versucht, mithilfe der Anonymen Alkoholiker wieder auf die Reihe zu bekommen.
Woher der Roman (respektive Danny) den Namen «Doctor Sleep» kommt, unterstreicht die tragische Komponente dieser Geschichte sogar noch einmal; da wirken die erst nach und nach eingestreuten Horrorelemente fast schon ein wenig deplatziert, selbst wenn sich der Film in seiner üppigen Laufzeit von zweieinhalb Stunden sukzessive immer weiter auf Horrorterrain begibt, bis er sich spätestens im Showdown vollends im Genre verortet.
Wohl wichtigster Anknüpfungspunkt an «Shining» ist das titelgebende Shining; auf diese übersinnliche Fähigkeit Dannys, mit der neben ihm auch noch andere Menschen gesegnet sind, hat es eine Gruppierung rund um Anführerin Rose the Hat (stark: «Greatest Showman»-Star Rebecca Ferguson als vollkommen wahnsinnige Schurkin) abgesehen, die ihren Opfern in vampirähnlichen Vorgängen das Shining aus dem Leib saugt. Hier geht es mitunter sogar richtig brutal zu; eine Szene, in der die sektenähnlich organisierte Gemeinschaft einen kleinen Jungen brutal ermordet, ist absolut nichts für Zartbesaitete. Leider gelingt es dem auch für das Drehbuch verantwortlichen Mike Flanagan nicht, die komplett für sich erzählte Story rund um Rose the Hat und den Handlungsstrang um Danny, zu dem sich später auch noch ein dritter rund um die ebenfalls mit dem Shining ausgestattete Abra hinzugesellt, stimmig zusammenzuführen. «Doctor Sleeps Erwachen» erzählt praktisch drei Stories auf einmal. Und so stringent Flanagan die verschiedenen Handlungsfäden immerhin am Ende auch zusammenzuführen imstande ist, stellt sich nie das Gefühl eines großen Ganzen ein.
Zu unterschiedlich ist da auch die Qualität jedes einzelnen (Sub-)Plots; Inszeniert Flanagan alles rund um Danny betont ruhig mit diversen visuellen Anleihen ans «Shining»-Original, fühlt man sich bei Rose und ihren Leuten mitunter wie in einem «X-Men»-Film. Alles was mit Abra zu tun hat dagegen, fällt völlig zwischen die Stühle. So richtig ärgerlich ist das alles nicht, zumal Flanagan einige visuell berauschende Ideen hat, um alle drei Welten gemeinsam auf die Leinwand zu bringen. Die Momente, in denen sich Abra in Roses Kopf befindet und andersherum sind dafür das Paradebeispiel. Doch so richtig aufgehen, tut diese Filmversion hier nicht, auch wenn das Buch sicher einen nicht geringen Anteil daran hat.
Fazit
Die Fortsetzung von Stanley Kubricks Horrormeisterwerk «Shining» überzeugt ausgerechnet immer dann, wenn Mike Flanagan das Original referenziert. Wenn «Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen» dagegen auf eigenen Beinen stehen soll, fehlt es dem Regisseur und Drehbuchautor an Stringenz und Fokus. Ein solides Horrordrama ist sein Film, allen voran aufgrund seiner inszenatorischen Qualitäten, dennoch.
«Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen» ist ab dem 21. November in den deutschen Kinos zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel