Die Regisseurin der Familienserie «Bonusfamilie» verrät, weshalb das Format für sie eine neue Art der Regiearbeit bedeutete und wie es war, mit drei Senderredaktionen zusammenzuarbeiten.
Zur Person
- Isabel Braak wurde 1988 in Leer (Ostfriesland) geboren.
- Nach ihrem Abitur arbeitete sie als Regieassistenz bei zahlreichen Film- und Werbeproduktionen.
- Sie studierte Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg.
- Sie inszenierte unter anderem «Der Wedding kommt», «Plötzlich Türke», vier Folgen «Magda macht das schon!» und drei Folgen «SOKO Potsdam».
«Bonusfamilie» basiert auf einer schwedischen Serie. Haben Sie sich diese Originalserie zur Vorbereitung angesehen?
Ja: Ich wurde im Spätsommer 2018 angefragt, ob ich «Bonusfamilie» adaptieren möchte. Da ich aber zusätzlich zur Anfrage nicht auch schon ein Drehbuch erhalten habe, habe ich mir einfach die schwedische Serie bei Netflix angeschaut. (lacht) Ich war so sehr von ihr begeistert, dass ich nach der ersten Staffel zugesagt und daraufhin auch die zweite Staffel durchgebinged habe. Aber selbst, wenn ich zusammen mit der Anfrage ein Drehbuch bekommen hätte, hätte ich mir das Original angeschaut.
Aus welchem Antrieb denn?
Ich bin bei der Arbeit eher ein analytischer Kopfmensch. Daher denke ich mir: Wenn ich ein Projekt mache, das schon jemand anderes vor mir gemacht hat, dann kann ich nur dadurch gewinnen, dass ich mir diese andere Version anschaue. Ich sehe dann, was in dieser Version meiner Ansicht nach funktioniert hat und was vielleicht meiner Ansicht nach nicht funktioniert hat. Somit weiß ich schon früh, was ich anstreben und was ich eher vermeiden sollte. Beim Drehen habe ich aber bemerkt, dass bei Cast und Crew beide Ansätze vertreten waren. Manche haben sich das Original gezielt angeguckt, und das aus ähnlichen Beweggründen wie ich, Lucas Prisor beispielsweise hat sich das Original dagegen nicht angeschaut, weil er sich nicht davon beeinflussen lassen wollte.
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Ich als Regisseurin muss ja das Projekt lenken, und je mehr ich über meinen Stoff weiß, desto besser kann ich meine Aufgabe erfüllen.
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Isabel Braak
Ich kann beide Perspektiven nachvollziehen. Einerseits lernt man durch den Blick auf die andere Verwirklichung dieser Grundidee – andererseits besteht die Gefahr, ungewollt zu kopieren ...
Ja, die Sorge kann ich nachvollziehen. Daher habe ich es auch den Schauspielern frei gelassen, ob sie die schwedische Serie gucken wollen. Das ist ja deren Prozess – manche arbeiten besser, wenn sie sich in ihre Figur einfühlen und aus dem Moment heraus spielen. Da hindert vielleicht die Kenntnis einer anderen Performance. Und andere gehen analytischer vor und ziehen womöglich Kenntnisse daraus, sich eine andere Version ihrer Figur anzuschauen. Ich aber hatte keine Sorge, dass ich ungewollt kopieren könnte. Denn ich als Regisseurin muss ja das Projekt lenken, und je mehr ich über meinen Stoff weiß, desto besser kann ich meine Aufgabe erfüllen. Zudem bestand nie die Gefahr, dass wir zu nah an der Vorlage bleiben. Unser Ensemble ist vom spielerischen Temperament anders, das Drehbuch ist in einigen Hinsichten abgewandelt und wir haben uns andere Motive gesucht.
Wie darf ich es mir vorstellen, wie Sie die schwedische Serie geguckt haben: Saßen Sie mit Notizblock und Stift bewaffnet vor dem Fernseher und haben sich Anmerkungen geschrieben, was sie übernehmen wollen und was nicht?
Ganz so lief das nicht. Beim ersten Mal habe ich mir die Serie einfach nur angeschaut. Als die Anfrage reinkam, habe ich noch «Die Bestatterin» gedreht, und nach Drehschluss habe ich mir Stück für Stück die erste Staffel angeschaut. Die habe ich auch ganz normal als Zuschauerin geguckt, ich habe mich von der Geschichte fesseln lassen. Aber nach meiner Zusage habe ich, als die Drehbücher standen, mir noch einmal die erste Staffel der Originalserie angeschaut. Da habe ich mit analytischem Blick unsere Drehbücher und das Original verglichen und mir detaillierte Überlegungen gemacht.
Sie können also von "Zuschauerin" in den "Regisseurin"-Modus wechseln?
Ja, und ich bin da auch sehr froh drum. Ich kenne Kollegen, die sagen, dass es ihnen unmöglich geworden ist, einfach nur Filme und Serien zu gucken, weil sie stets in den Arbeitsmodus rutschen. So etwas will ich mir gar nicht vorstellen, ich finde es zu wichtig, auch einfach nur Publikum sein zu können. Ich kann bewusst meine innere Regisseurin wecken und das Handwerk analysieren – oder ich lege sie schlafen. Dann bemerke ich nicht einmal mehr den Schnitt einer Serie oder eines Filmes, sondern bin voll in der Geschichte drin. Naja, es sei denn, ein Film ist handwerklich so schlecht, dass man seine Patzer nicht übersehen kann. (lacht)
Leute aus Film und Fernsehen, die wegen ihrer Arbeit nicht mehr Film und Fernsehen gucken können, tun mir ja schon leid. Da hat man eine Passion, führt sie aus, kann sie aber daher nicht mehr konsumieren.
Ja, das ist traurig … Aber ich glaube, mir droht das deshalb nicht, weil ich mich zwar in der Vorbereitung als sehr analytisch sehe, ich aber meinen Regiestil weniger technisch-handwerklich einschätzen würde, sondern eher als psychologisch-emotional. Die technischen Aspekte sehe ich
dann, wenn ich auch drauf achte – aber die psychologische und emotionale Ebene springt mich bei Stoffen stets von alleine an.
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Wir wollten uns bei den Schauplätzen und der Kameraarbeit von den Schweden absetzen, und es war schwierig, zu entschlüsseln: 'Okay, was wollen wir machen und wo laufen wir Gefahr, etwas anders zu machen, nur um es anders zu machen?'
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Isabel Braak
Wenn Sie sagen, mehr auf der psychologisch-emotionalen Ebene zu arbeiten als auf der technisch-handwerklichen: War «Bonusfamilie» für Sie dann eine größere Herausforderung als Ihre früheren Serienarbeiten? Denn wenn man in eine schon bestehende Serie einsteigt, sind die filmsprachlichen und handwerklichen Parameter schließlich schon weitestgehend geklärt ..?
Ja, das macht schon einen Unterschied. Als ich bei «Magda macht das schon!» angefangen habe, das war in der zweiten Hälfte der zweiten Staffel. Alle technisch-handwerklichen Grundfragen zur Serie waren schon längst unter Dach und Fach. Bei «SOKO Potsdam» wiederum war ich erst die Zweite, vor mir hatte nur ein anderer Regisseur drei Folgen gemacht. Er hat zwar schon einige Kernfragen geklärt, aber noch nicht alle. Da musste ich also auch ein paar Grundsatzfragen festzurren. Insofern war «Bonusfamilie» schon eine Herausforderung, weil ich die technische Filmsprache für eine ganze Serienstaffel beschließen und anschließend schultern musste. Kniffliger war eher folgender Aspekt, bei dem nochmal das schwedische Original ins Spiel kommt: Wir wollten uns bei den Schauplätzen und der Kameraarbeit von den Schweden absetzen, und es war schwierig, zu entschlüsseln: "Okay, was
wollen wir machen und wo laufen wir Gefahr, etwas anders zu machen, nur um es anders zu machen?"
Man kann zusammenfassen: «Bonusfamilie» war für mich eine andere Art von Regieführen als alles, was ich vorher gemacht habe. Die Regie am Set, das Arbeiten mit den Schauspielern, das ist immer gleich. Beim Regieführen geht es schließlich immer darum, authentische Gefühle zu wecken und eng mit Cast und Crew zusammenzuarbeiten. Bei «Bonusfamilie» war ich durch die lange Drehzeit von drei Monaten am Stück aber stärker gefordert denn je.
Brachte «Bonusfamilie» Ihnen abgesehen davon weitere, neue Herausforderungen?
Es war für mich ungewohnt, mit sogleich drei Senderredaktionen zusammenzuarbeiten, die noch dazu sehr eng involviert waren. Das hat viel Spaß gemacht, aber auch für Aufregung gesorgt. Wenn ich Regie führe, dann will ich auch das mir Bestmögliche abliefern, und hier musste ich mich mehr Leuten gegenüber denn je verantworten. Das hat den Druck erhöht. Paradoxerweise war «Bonusfamilie» aber auch das Projekt, wo ich mich am meisten geborgen gefühlt habe. Wir wurden sozusagen zu unserer eigenen Bonusfamilie.
Eine Regisseurin, die eine ganze Serie inszeniert, drei Senderredaktionen – wie kann ich mir da die Aufteilung der Kompetenzbereiche vorstellen?
Die Aufgabenbereiche waren nicht ganz so geklärt – und das ist das schöne, aber auch manchmal das Problem daran: Weil man sich mit drei Verantwortlichen auseinandersetzen muss. Man spricht sich aber natürlich vor allem bei größeren Dingen ab, wie beim Casting. Das ist eine sehr ergiebige Diskussion, denn auch wenn es manchmal wie ein
Gegeneinander klingen mag, stimmt das nicht. Es ist eine
Zusammenarbeit, man ist ein kreatives Team und wenn man Ideen sowie grundlegende Fragen zusammen diskutiert, ist das ein Prozess, der dich bereichert. Manche Entscheidungen werden abgenickt und du lernst dadurch, was andere an deinem Handwerk wertschätzen. Und andere Entscheidungen werden leidenschaftlich diskutiert.
Wie kommen Sie als Regisseurin mit dem normierten Laufzeitenkorsett im Fernsehen klar?
Damit kann ich umgehen, aber trotzdem fand ich es supertoll, dass man es bei «Bonusfamilie» nicht so eng sah wie üblich: Die Einzelfolgen haben unterschiedliche Längen. Das war nicht von Anfang an so geplant, und ich habe die Folgen erst einmal so geschnitten, wie ich es optimal fand – mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass ich mal strecken, mal kürzen muss. Dann aber haben wir uns geeinigt, dass das so schon passt und wir die Folgen so veröffentlichen können. Das fand ich supercool vom Sender und ich finde, das darf gern Schule machen. Denn ich finde: Davon können Formate ja nur profitieren, wenn jede Folge halt so lang ist, wie es für sie optimal ist.
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Der Zuschauer will sich ja nur eine Geschichte anschauen, und dem ist doch egal, ob sie fünf Minuten länger oder kürzer ist. Er will sie einfach nur gut erzählt bekommen. Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb ich «Bonusfamilie» gemacht habe.
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Isabel Braak
Bei Projekten, wo Sie diese Freiheit nicht haben, einfach Ihre Idealfassung abzugeben – was ist für Sie die schlimmere Erkenntnis im Schneideraum: Dass Ihre Fassung zu kurz für's Fernsehen ist, oder dass sie zu lang für's Fernsehen ist?
Wenn, dann ist es mir lieber, wenn etwas zu lang ausfällt. Es ist nämlich vergleichsweise einfach, wieder zu kürzen. Oftmals sind die Sachen sogar noch besser, wenn sie erst einmal feingeschliffen sind. Wenn aber meine erste Fassung zu kurz ist …
Das ist schlecht! Zum Glück ist mir das nur einmal passiert. Es war eine sehr unglückliche Situation, denn wo holst du bitte die Laufzeit her, die dir fehlt? Nun, es gibt Tricks, wie man strecken kann, wenn es denn sein muss. Ich musste folgendes zum Glück nie machen, aber man kann beispielsweise ein paar Shots länger halten, zusätzliche Establishing Shots rein nehmen, in denen der Hubschrauber über die Stadt fliegt, oder die Ermittler brauchen in der fertigen Schnittfassung halt dauernd drei, vier, fünf Schritte länger, um zum Tatort oder zum Verdächtigen zu gelangen. Das fällt auch alles gaaaaaaar nicht auf. (lacht)
Eigentlich ist das paradox. Denn der Zuschauer will sich ja nur eine Geschichte anschauen, und dem ist doch egal, ob sie fünf Minuten länger oder kürzer ist. Er will sie einfach nur gut erzählt bekommen. Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb ich «Bonusfamilie» gemacht habe.
Verzeihung, ich kann gerade nicht ganz folgen ...
Es gibt im Fernsehen wenig unkitschige Familienserien, die unprätentiös erzählt sind und sich ohne Pathos auf die kleinen Dinge im Leben konzentriert. Und ich glaube, wäre das Original in Schweden kein derartiger Erfolg gewesen, würde es auch unsere «Bonusfamilie» nicht geben.
Außerdem wird noch in zu klar abgegrenzten Genres gedacht. Es ist eine positive Entwicklung der vergangenen Jahre, dass man dem deutschen Fernsehpublikum wieder Thriller zutraut. Doch umso weniger verstehe ich, weshalb die Sender noch immer finden, dass Komödien durchweg lustig sein müssen – das Konzept der Dramedy ist bei deutschen Sendern eher noch nicht so richtig angekommen. «Bonusfamilie» ist somit eine Seltenheit im deutschen Fernsehen –aber ich glaube, dass diese Genreabgrenzung langsam abnimmt und weniger in Schubladen gedacht wird und sich absurd erscheinende Regeln auflösen.
Welche Regeln denn?
Eine davon besagt, dass man Filme und Serien außerhalb des Krimigenres eher nicht mit einer Szene im Dunkeln beginnen sollte. Beginnt etwas, das kein Krimi ist, im Dunkeln, wird die Zuschauererwartung nicht erfüllt.
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Im linearen Fernsehen ist es den Leuten halt sehr wichtig, vorab zu erahnen, ob etwas Erfolg hat oder nicht. Und gegebenenfalls wird dann halt an Stellschrauben gedreht, um die Erfolgschancen zu vergrößern.
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Isabel Braak
Hä?
Jaja, so Regeln gibt es. Das mutet mir manchmal merkwürdig an. Aber im linearen Fernsehen ist es den Leuten halt sehr wichtig, vorab zu erahnen, ob etwas Erfolg hat oder nicht. Und gegebenenfalls wird dann halt an Stellschrauben gedreht, um die Erfolgschancen zu vergrößern. Das rührt daher, dass im linearen Fernsehen viele Leute arbeiten, die für Filme und Serien brennen und die sich natürlich auch Erfolg wünschen.
Zum Abschluss eine hoffentlich vergnügliche Frage: Was war das seltsamste Publikumsfeedback, das Sie je erhalten haben?
Wirklich seltsames Feedback ist mir bisher nicht untergekommen. Dabei schaue ich ja, wann immer was von mir läuft, sehr gerne bei Twitter und Facebook, was die Leute so schreiben. Das ist manchmal spannender als die professionellen Kritiken – die Kritiker kennen sich ja aus, während das "normale" Publikum unbedarfter herantritt. Diese Leute schreiben ja frei von der Leber hinweg, also sind deren Reaktionen schwerer vorherzusagen. So haben sich bei «Die Bestatterin» ein paar Leute über die Dialekte der Figuren beschwert – was ich einerseits schade, aber andererseits auch total nachvollziehbar finde. Was ich auch sehr süß finde, ist, wann immer Zuschauer Dinge in deinen Regiearbeiten für echt halten.
Moment, das passiert immer noch?!
Ja, das passiert immer noch sehr oft. Genauso oft kommt es vor, dass Leute schreiben, das Bild sei zu dunkel oder der Ton viel zu laut – was oft einfach daran liegt, dass die Leute ihren Fernseher falsch eingestellt haben. Und daher verstehe ich die Überforsorge der Sender sogar. Aber das ist das Schöne an Film und Fernsehen: Irgendwer meckert immer. (lacht) Das macht mir irgendwie Spaß. Davon können Sie jetzt halten, was Sie wollen. (lacht)
Ja, dann … Gratuliere ich zu dieser Einstellung. Die macht sicher so manches einfacher. Und ich danke für das schöne Gespräch.
«Bonusfamilie» ist ab dem 20. November 2019 immer mittwochs um 20.15 Uhr in Doppelfolgen zu sehen – und zwar im Ersten.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
20.11.2019 01:21 Uhr 1
20.11.2019 08:35 Uhr 2
20.11.2019 16:46 Uhr 3