►   zur Desktop-Version   ►

«The End of the F***ing World» Staffel 2: Erwarte das Unerwartete … und lebe damit?

James und Alyssa sind zurück ... und überraschen ihr Publikum in mehrerlei Hinsicht.

Seite 2

Und exakt dieser Kern findet sich auch in Covells Staffel 2, er wird nur von deutlich mehr Schichten überlagert. Warum dem so ist, lässt sich selbstredend nur mutmaßen, das Format selbst hat aber im Grunde alles, was es braucht, um zumindest fundiert über das Zustandekommen dieser Entscheidung spekulieren zu können: So ist die Serie – wie auch der Comic – als solches an sich sehr darum bemüht, auf keinen Fall den Anschein zu erwecken, jeder oder jedem gefallen zu wollen. Im Gegenteil: Vieles, was James und Alyssa erleben, ist Minimum befremdlich, nahezu alle Nebenfiguren sind einem unsympathisch oder man verabscheut sie regelrecht und die Hauptcharaktere entsprechen keinem gängigen Klischee, wodurch sie besonders nahbar erscheinen. Es braucht ein wenig, um sich an sie zu gewöhnen, um ihre Chemie zu verstehen und um auszublenden, dass James Alyssa ursprünglich töten wollte – ob sie das jemals erfährt, bleibt offen, was es so gesehen auch muss, sofern man die Sache „rund" bekommen möchte.

Es ist außerdem vollkommen klar, dass sich viele Fans in den Episoden 9 bis 16 noch mehr dieser unbeschwerten, innigen Momente zwischen dem Chaos-Pärchen gewünscht hätten. Doch an sich gibt das Finale von Season 1 in vielerlei Hinsicht die Richtung vor, wenn man vorhat, die Geschichte fortzuschreiben. Am Ende ist nämlich endgültig nichts mehr so, wie es war – und es war vor allem nie so gut, wie die „Partner in Crime“ es sich kurzzeitig eingeredet hatten: Es musste Konsequenzen geben und dass sich die Zwei erst einmal nicht mehr würden sehen dürfen, war schlicht logisch angesichts ihrer Vergehen. Dass Alyssa die Erkenntnis, dass ihr viel zu lange fälschlicherweise von ihr glorifizierter Vater im wahrsten Sinne des Wortes eine „Luftnummer“ ist, musste sie noch weiter runterziehen und dieses kleine bisschen Stabilität, das ihr das, was sie und James hatten, gegeben hatte, ist auch hin, was ebenfalls nicht spurlos an ihr vorübergehen konnte – ebenso wenig wie die Beinahe-Vergewaltigung und der Mord direkt vor ihren Augen.

Ihr Weltbild zeichnete sich bis dato bekanntlich ohnehin nicht dadurch aus, ein sonderlich positives zu sein, und nach Erfahrungen, wie sie die Schüler gemacht haben, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich daran zeitnah oder überhaupt etwas ändert. Daher auch diese Hochzeit – die bereits im Trailer überdeutlich angeteasert wurde –, die Ausdruck einer absoluten Ratlosigkeit ist. Nach dem Motto: „Wer weiß? Vielleicht hilft das ja, machen immerhin viele so.“ Dazu passt, dass der Name ihres Bräutigams ( „Todd", der von Josh Dylan gespielt wird) fast nie fällt. Er ist auch nicht wichtig, weil es bei der ganzen Sache nie um ihn ging. Er war einfach der, der zum Zeitpunkt V an Ort W war und aus diesem Aufeinandertreffen ergaben sich dann eben die Handlungen X, Y und Z – ohne dass auch nur eine von ihnen alternativlos gewesen wäre.

Bei James wiederum war nach dem Schuss im Prinzip alles denkbar: Er hatte durch das Erstechen von Clive Koch die Gewissheit, dass das Töten ihm nicht die innere Genugtuung oder das Glücksgefühl verschafft, das er erwartet hatte. Den Selbstmord seiner Mutter schleppt er ohnehin seit seiner Kindheit mit sich herum. Alyssa hatte ihn schlicht dadurch, dass sie da war respektive dadurch, dass sie war, wie sie war, gewissermaßen ins echte Leben zurückgeholt. Ohne sie bricht dort sein Glückskartenhaus, das in Ansätzen entstanden war, direkt wieder zusammen. Dazu ein weiterer passender Vorwand und zack, schon ist es nachvollziehbar, wieso er abermals ihre Nähe sucht – sich allerdings zunächst nicht zu erkennen gibt. Und ja, nett zu jemandem zu sein, gehörte wohl noch nie so recht zu Alyssas Stärken und ihr Mitstreiter hatte schon beim letzten Mal eine Menge abbekommen, jedoch beweist sie eindrucksvoll, dass diesbezüglich bei ihr noch Luft nach oben bestanden hat. Dies stört ihren Gegenüber aber weit weniger, als dass es ihn einfach freut, wieder bei ihr zu sein.


So oder so: Es ist – wie erwähnt – nichts mehr, wie es war. Die Schichten waren folglich die logische Konsequenz aus den Taten des Duos. Deshalb ist es in sich absolut stimmig, eine neue Figur einzuführen, um den Annäherungsprozess der beiden zu beschleunigen und ihnen so zudem zu ermöglichen, sich spürbar weiterzuentwickeln. Und dass die Auftaktfolge genutzt wird, um ebendiese nach allen Regeln der Kunst einzuführen, war der Inbegriff von einem „unerwarteten Schritt“ oder eben ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr das Format darauf ausgelegt ist, nicht zu gefallen. Mit Gewissheit lässt sich dies selbstredend nicht sagen, allerdings hätte ein einfaches „Weiter so“ früher oder später die Fans vermutlich nicht so glücklich gemacht, wie sie es sich erhofft hatten, denn früher oder später hätte man sich gefragt, wann diese ziellosen Menschen endlich erkennen, dass sie nicht ewig wegrennen können.


Bonnie (Naomi Ackie), die durch ihre spezielle „Beziehung“ zu Clive, stimmig in die Handlung integriert wird, ist für diese Aufgabe so gut geeignet, weil ihr Verhalten so ungewöhnlich, so irritierend und gelegentlich gar verstörend ist – je länger man diese Namen liest und dann noch bedenkt, was Alyssa und James alles angestellt haben, umso weniger ist man dazu in der Lage, das wirklich angenehm unaufdringliche Easter Egg zu übersehen. Mit dem Neuzugang unterstreichen die Macher, dass für sie eines der zentralen Themen von «TEOTFW» auch die Beschäftigung mit der Frage sein soll, inwiefern man wirklich das Produkt dessen ist, was man erlebt hat, wie viel Einfluss man darauf hat, wer man wird und vor allem auch die mit der, ob man sich zu jedem Zeitpunkt seines Lebens noch ändern kann. Hat man dies im Hinterkopf, sieht man im „Aufwärmen“ einzelner Elemente aus Staffel 1 auch nicht mehr das platte, einfallslose und uninspirierte Wiederholen von Bekanntem, sondern vielmehr einen ersten Beweis dafür, dass man eben nicht in einer Dauerschleife leben muss.

Deshalb steht die Hochzeit auch am Anfang. Das „Bis dass der Tod euch scheidet“, das im Kontext der Serie sowieso besser zu „Bis dass der Tod euch auf ewig zusammenschweißt und dann irgendwann scheidet“ erweitert werden sollte, benötigt nicht unbedingt eine Feier, auch kein Kleid oder Geschenke, sondern lediglich die Gewissheit, dass zwei Personen im „Wir“ das Fundament erkennen, auf dem nach und nach ein vermehrt von Positivem erfülltes Leben entstehen kann. Eines, wo es okay ist, sich manchmal nicht okay zu fühlen, nicht weiter zu wissen, Zeit zu brauchen oder um Hilfe zu bitten. Dafür braucht man jedoch manchmal einen Schubs in die richtige Richtung und ein paar Um- und Irrwege sowie ein paar Sackgassen – und die hat man in der Regel ebenfalls nicht eingeplant respektive erwartet.

Was wohl auch nicht viele erwartet hatten, sind die abermals starken Leistungen von Lawther und vor allem Barden, die in dieser Serie mit einem enorm reduzierten Spiel überzeugen – wie auch Ackie, die einige Filmfreunde womöglich aus «Lady Macbeth» kennen –, weshalb es enorm spannend wird, zu sehen, wie sie sich in ihren nächsten größeren Produktionen schlagen, in denen die Drei dann mit Sicherheit ihre Vielseitigkeit so richtig unter Beweis stellen dürfen.

Abschließend lässt sich demnach Folgendes festhalten: Während Staffel 1 eine Flucht vor sich selbst war, dreht sich in Staffel 2 alles um Selbstfindung, den Prozess, dem oftmals eine solche Flucht vorausgeht. Das dramaturgisch so Gelungene an diesem Aufbau ist, dass die „Antwort“, auf die mehrmals angespielt wird, eben doch Menschen sein können, was in Folge 8 noch stark bezweifelt worden ist, und diese „Antwort“ besteht in den drei Worten, die von beiden nie zeitgleich ausgesprochen und dadurch um ein Vielfaches bedeutsamer werden, als sie es sowieso schon sind. Und manchmal sagt das Halten einer Hand, und zwar einer bestimmten, ohnehin mehr als 1000 Worte.

Die Staffeln 1 und 2 von «The End of the F***ng World» sind auf Netflix verfügbar.
« zurück
09.11.2019 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/113544
Florian Kaiser

super
schade

80 %
20 %

Artikel teilen


Tags

TEOTFW GoT The End of the F***ing World Lady Macbeth The End of the F***ng World

◄   zurück zur Startseite   ◄
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel

Qtalk-Forum » zur Desktop-Version

Impressum  |  Datenschutz und Nutzungshinweis  |  Cookie-Einstellungen  |  Newsletter