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Popcorn und Rollenwechsel: The Big Picture

Ben Fritz' Buch über den derzeit stattfindenden Wandel der Filmindustrie ist ein Muss für alle Filmfans, die sich über die Zukunft des Kinos Gedanken machen. Hier sind drei Lektionen daraus.

Wie Disney vom familienzentrischen Teil Hollywoods zum die Kinoindustrie dominierenden Big Player wurde. Wie eine von Filmstars hoch geschätzte Studiochefin zu einem Relikt früherer Hollywoodtage wurde. Und was Amazon von Netflix unterscheidet. Dies und vieles mehr beleuchtet Wall-Street-Journal-Reporter Ben Fritz in seinem packenden Blick auf die Gegenwart und sich abzeichnende Zukunft der Filmindustrie, 'The Big Picture'. Die 2018 veröffentlichte Pflichtlektüre ist zwar bereits ein Jahr später in manchen Details veraltet (etwa hinsichtlich des dezenten Optimismus, wie die «X-Men»-Saga mit «Dark Phoenix» weitergeht), doch im großen Ganzen ist es ein fesselnd geschriebener, umfassender Blick auf die Mechanismen und Personen, die das jetzige Kinogeschäft mit seiner Franchise-Dominanz und den an Zugkraft verlierenden Dramen und Komödien formen. Drei der wichtigsten Erkenntnisse aus 'The Big Picture' seien als Leseanreiz hier nun zusammengefasst:

Disneys Remake-Welle haben wir nicht Bob Iger zu verdanken


Viele Disney-Fans und Filmvernarrte heben drohend und wütend ihre Faust gen Himmel, wann immer eine neue Disney-Realverfilmung eines Zeichentrickklassikers angekündigt wird, und rufen zornig: "Igeeeeeer!" Na gut. Vielleicht sind das doch nur Einzelfälle. Dennoch: Allgemein wird Disney-CEO Bob Iger dafür verantwortlich gemacht, dass Disneys Realfilmsparte neuerdings ein Spielfilm-Remake eines Zeichentrickfilms nach dem anderen in die Kinos schleudert. Und nicht wenige sehnen sich jene Zeit zurück, als noch unter Iger-Vorgänger Michael Eisner der Posten des Disney-Studiochefs von Dick Cook ausgefüllt wurde. Immerhin war es Cook, der Disney mit «Fluch der Karibik» neue filmische Horizonte hat erschließen lassen.

Doch, Überraschung: Es war auch Cook, der den Remake-Stein ins Rollen gebracht hat. Jahrelang gängelte er sein Kollegium, das Zeichentrickarchiv Disneys für Spielfilm-Remakes freizugeben. Mehrmals wurde dieses Ersuchen abgeschmettert – bis Cook mit «Alice im Wunderland» einen der vergleichsweise kleineren Zeichentrickklassiker ins Auge fasste. Cooks Langzeitplan: Mit solchen Remakes anfangen und sich zu den großen Disney-Zeichentrickerfolgen hocharbeiten, um die Disney-Realfilmstudios für eine eventgesteuerte Kinozukunft, in der Filme bekannte Namen und Studios (sowie deren Subsparten) eine klare Identität benötigen, bereit zu machen. Obwohl dieser Plan weitestgehend nach Cooks Zeit bei Disney so richtig aufblühte – Cook säte das Saatkorn.

Disney ist der anpassungsfähige Überlebende, nicht der Verursacher


Manche Zyniker, Berufsmeckerfitzen und Halbinformierte jammern gerne: Disney macht das Kino kaputt, es läuft ja nur noch Disney-Kram. Was ich von diesen Sprüchen halte, habe ich schon in einer anderen Kolumnenausgabe geschrieben. Trotzdem ist es spannend, zu lesen, was Ben Fritz dazu sagt. Und er schlägt tatsächlich in eine ähnliche Kerbe: Fritz skizziert einen Ablauf des Hollywood-Wandels, in dem nicht Disney der Verursacher ist, der die Explosion an Mega-Popcorn-Filmreihen verschuldet hat und mittelgroße Dramen verschwinden lässt. Fritz zeichnet Disney, trotz mancher (auch mitunter gerechtfertigter) Kritik an vereinzelten Business-Entscheidungen, als den anpassungsfähigen Überlebenden, der sich aus einer Katastrophe herausmanövriert.

Die Disney-Verantwortlichen hätten die Zeichen rechtzeitig erkannt und auf Methoden gesetzt, um mit dem drohenden Nachlassen des Mid-Budget-Kinos klarzukommen. Deutlicher ausgedrückt: Nach einem Flugzeugabsturz war es das Maus-Haus, das aus den Wrackteilen einen Schlitten gebaut hat, um ins nächste Dorf zu rodeln, und so dem Gefriertod zu entkommen. Aber klar, zeigt ruhig auf Micky und Co. und sagt: "Ey, ihr habt das Flugzeug kaputt gemacht!"

TV killed the mid budget movie star


Sucht ihr den Schuldigen, der das von Stars, statt von Markennamen getragene Kino, sowie das Geschäft mit mittelgroßen Dramen, Komödien und Romanzen für ein Erwachsenenpublikum getötet hat, blickt nicht zur Maus. Die hat ja auch jahrelang damit Geld gemacht. Schaut auf eure Glotze – oder auf das Gerät, auf dem ihr das hier gerade lest. Denn die erzählerischen Veränderungen in der Serienlandschaft und das Aufkommen von Streamingportalen sind die Täter! Wie Fritz sehr eindringlich schildert, ging das Mid-Budget-Kino zugrunde, weil immer mehr Menschen lieber gratis oder für einen kleinen Preis ein 12-, 20-, 60-, 80-Drama schauen, statt sich ein Zwei-Stunden-Passionsprojekt eines Filmstars im Kino anzugucken. Wer früher in ein Gesellschaftsdrama mit Tom Cruise gegangen wäre, binged heute lieber eine Netflix-Serie und hebt seinen Hintern für Tom Cruise nur noch gen Kino, wenn er sich in einem «Mission: Impossible»-Film in Lebensgefahr begibt.

Kurios. Man könnte fast glauben, dass eine so kostspielige Kunstform wie Kinofilme davon mitgesteuert wird, was Gewinn macht. Sagt bloß, es würden mehr Dramen, Thriller, Erwachsenenkomödien und Romanzen entstehen, wenn die Menschen dafür wieder mehr Geld lassen würden? Ist Hollywood etwa kein Wohltätigkeitsverein, der sich neuerdings nur aus Lust und Laune auf Bombastfans eingeschossen hat? CRAZY!
21.10.2019 07:26 Uhr Kurz-URL: qmde.de/113051
Sidney Schering

super
schade


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Tags

Popcorn X-Men Dark Phoenix Fluch der Karibik Alice im Wunderland Mission: Impossible

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
21.10.2019 10:58 Uhr 1
Ja, vielleicht haben Netflix und Amazon Mit Schuld dran, dass viel weniger Menschen ins Kino gehen!! Aber, bevor Netflix und Amazon Serrien und Filme auf unsere Glotze gebracht haben, kann ich mich sehr gut erinnern, dass, als die großen Glotzen Mode wurden, es schon in vielen Foren und/oder auch facebook von vielen Kino Gängern hiess, was soll ich noch im Kino, ich habe meine eigene Kino Leinwand im Wohnzimmer zu stehen mit einer irren Sound Anlage.
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