TheCW kann mehr als «Dynasty»-Abklatsche und endlose Superheldenserien. Der Beweis: «All American» über einen ambitionierten High-School-Footballer zwischen Armut und Bandenkriminalität.
Cast & Crew
Produktion: Berlanti Productions, April Blair's Company, CBS Television Studios und Warner Bros. Television
Schöpfer: April Blair
Darsteller: Daniel Ezra, Bre-Z, Greta Onieogou, Samantha Logan, Taye Diggs, Michael Evans Behling, Cody Christian u.v.m.
Executive Producer: April Blair, Greg Berlanti, Sarah Schechter, Rob Hardy und Nkechi Okoro CarrollAls Peter Bergs Serie «Friday Night Lights» über eine High-School-Football-Mannschaft in einer Kleinstadt irgendwo in Texas im Herbst 2006 bei NBC startete, hat man nicht sonderlich viel erwartet. Die ersten Minuten schienen dieser Haltung recht zu geben. Denn der Pilot etablierte nichts als Klischees: der zugleich kräftige und sinnliche Schulschwarm als Quarterback, die
Beautyqueen als seine Freundin, der versoffene
White-Trash-Typ, der ambitionierte Schwarze, die resignierte Außenseiterin, das tiefe stille Wasser, das nur auf seine Chance wartete, und der ehrbare Familienvater als Coach. Was man nicht erwartet hatte: Wie konsequent das Format all diese Klischees dekonstruieren und sich seinen Figuren mit aufrichtigem Interesse öffnen würde. So entstand keine beliebige Soap, sondern eine einnehmende spannende Serie, die mit wachem Auge eine intensive Milieustudie betrieb und zugleich intensive, starke Charaktere präsentierte.
Auch als letztes Jahr «All American» startete, blieben die Erwartungen verhalten. Schließlich läuft die Serie bei TheCW, dem Sender, wo sich ein überkandideltes «Dynasty»-Revival und ein inkompetent erzählter «Charmed»-Reboot die Klinke in die Hand geben. Doch auch «All American» belehrte die Zuschauerschaft schon im Piloten eines Besseren. Wie NBCs bis heute geschätztes «Friday Night Lights» spielt das Format im High-School-Football-Milieu: Das
Wide-Receiver-Talent Spencer James (Daniel Ezra) gewinnt an seiner Schule im heruntergekommenen und von Gangs dominierten South-Central-Viertel von Los Angeles mühelos ein Spiel nach dem anderen und besteht jeden Kurs mit Bestnote, ohne auch nur ein Buch in die Hand zu nehmen. So wird auch der Coach der elitären High School von Beverly Hills auf ihn aufmerksam – und will ihn abwerben. Seine Mutter besteht darauf, dass Spencer das Angebot annimmt.
Dort warten freilich die ersten Konflikte mit den
Rich Bitch Kids. Die Standards sind immens: Eine Schulkollegin verbringt mit ihren Eltern seit Jahren jedes Thanksgiving mit den Obamas, eine andere bekam von ihrer Familie erst einen fünfundsiebzigtausend Dollar teuren Aufenthalt in einer Entzugsklinik spendiert, nachdem sie nicht mehr konnte, in der Cafeteria gibt es Sushi-Tage, auf dem Schülerparkplatz sieht es aus wie beim Ferrari-Händler. Beverly Hills eben.
Doch während sich Young-Adult-Serien im Stil von «The O.C.» immer darin genug waren, die wechselseitigen Vorurteile des Unterprivilegierten gegenüber den Altreichen und andersherum in erschöpfender Wiederholung durchzudeklinieren, macht sich «All American» langsam, aber unerbittlich an die Dekonstruktion: Klassen- und Schichtzugehörigkeit, so will die Serie in ihrer titelgetreuen sehr amerikanischen Auffassung transportieren, sind eher eine Frage der
Attitude als der Herkunft. Wer will und dafür kämpft, kommt auch nach oben und passt dann auch da hin. Eine illusionäre Vorstellung – keine Frage. Aber Spencer ist das lebende Beispiel: Denn trotz erster Berührungsängste und Fettnäpfchen passt er gut in die McMansion-Gesellschaft mit ihren Gazpacho-Abenden und Böden aus italienischem Marmor.
Trotz einer unbestreitbaren CW-isierung bleibt das Format weitgehend bei den interessanten Themen – und gerät dabei erstaunlich authentisch
ethnic. Obwohl Spencer und sein Beverly-Hills-Coach gebürtig aus derselben Ecke kommen, tappen sie in den Details immer wieder in Missverständnisse: Zu unterschiedlich sind ihre sozialen Codes und Selbstverständlichkeiten – von den Reibungen zwischen Spencer und den gleichaltrigen Kindern seines Trainers ganz zu schweigen. Dass Afroamerikaner keine homogene gesellschaftliche Masse bilden, sondern sich in unterschiedlichsten Milieus mit verschiedensten Lebensrealitäten – selbst innerhalb derselben Stadt – bewegen, haben noch nicht viele Serien mit hinreichendem erzählerischen Talent und gesellschaftlichen Verständnis gezeigt. «All American» gelingt es hervorragend. Manch beliebiges High-School-Klischee und das Thema Sport sind nur der Überbau dieser Geschichte – wie damals, als Coach Taylor bei «Friday Night Lights» den amerikanischsten aller Motivationssprüche prägte:
Clear eyes. Full hearts. Can’t lose, nur um ihn sofort wieder infrage zu stellen. «All American» scheint da ähnlich ambitioniert.
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