«The Politician»: Oh my God, der Kaiser ist ja nackt!
«The Politician», eine neue Netflix-Serie aus der Feder des Erfinders von «Glee» und «American Horror Story», will eine beißende Polit-Satire sein, enthüllt uns aber nur, was wir längst wissen
Cast & Crew
Produktion: Fox 21 Television Studios und Ryan Murphy Productions
Schöpfer: Ryan Murphy, Brad Falchuk und Ian Brennan
Darsteller: Ben Platt, Gwyneth Paltrow, Jessica Lange, Lucy Boynton, Theo Germaine, Julia Schlaepfer, Laura Dreyfuss, Bob Balaban u.v.m.
Executive Producer: Ryan Murphy, Brad Falchuk, Ian Brennan und Ben Platt
Der Fast-Harvard-Student im letzten High-School-Jahr Payton Hobart (Ben Platt) weiß genau, wo er eines Tages hin will: als US-Präsident ins Weiße Haus. Die Voraussetzungen dafür stehen nicht schlecht: Er stammt aus stinkreichem Hause, seine leibliche Mutter ist jedoch eine Stripperin aus New Hampshire (was für eine großartige sob story in einem bedeutenden Swing State das mal werden wird), er sieht gut aus, ist gebildet und verständig, engagiert sich sozial, um den Lebenslauf bestmöglich zu pimpen, und besonders wichtig: Er hat keinerlei ideologische Grundüberzeugungen, Menschenfreundlichkeit oder Scham. Payton Hobart ist der perfekte Blender, der mit minimalem Aufwand und völliger Durchschaubarkeit, aber größtem Erfolg und schier grenzenlosem Charme jeden um den Finger gewickelt bekommt.
Bevor das Rennen ums Weiße Haus in einer der nächsten Staffeln dieses angedachten Mammutprojekts ansteht, muss Payton aber erst einmal zum Schulsprecher gewählt werden. Sein Nemesis ist ausgerechnet sein Mandarin-Nachhilfelehrer und Ex-Lover in Personalunion: Der noch charismatischere, attraktivere und charmantere River (David Corenswet), der nicht nur seinen depressiven Ist-Zustand deutlich aufrichtiger (und abgründiger) reflektiert als Payton, sondern im Schulleben und darüber hinaus ernsthaft etwas bewegen zu wollen scheint.
Aber der weichere, sanftere, klügere, aufrichtigere River ist in «The Politician» eine Randerscheinung. In dieser Serie geht es um den soziopathischen Blender Payton. Doch man weiß nicht so recht, warum. Wenn es dem Format um die Demaskierung politischer Prozesse und politischer Persönlichkeiten geht, kommt sie jedenfalls um Jahre zu spät: Denn was gibt es in Zeiten von Despoten und Demagogen im Stil von Boris Johnson und Donald Trump denn noch zu demaskieren? Wir wissen es doch alle: Der Kaiser ist nackt. Um in die höchsten öffentlichen Ämter gewählt zu werden, braucht es nicht einmal mehr den Anschein von Wahrhaftigkeit oder argumentativer Kohärenz, von Ehrbarkeit oder Aufrichtigkeit.
Da hilft es auch nichts, dass «The Politician» – im üblichen Stil der «American-Horror»- und «American-Crime-Story»-Schöpfer Ryan Murphy und Brad Falchuk – von der ersten Szene an die Flucht in die Parodie antritt: Die Figur Payton Hobart genügt sich als übersteuerte Persiflage auf den Leerlauf-Politik-Bubi, seine zweiten Geigen, die bereits bei schulinternen Wahlkämpfen Umfrageauswertungen und Strategieanalysen vornehmen wie die Profis bei öffentlichen Spitzenämtern auf Bundesebene, sollen als personifizierte Kritik am machtbesessenen und gedankenfreien Hinterzimmerwesen fungieren. In Randfiguren treten auf: die perfekte Frau, die perfekte Vize-Kandidatin, der perfekte Gegner, die perfekten Eliten.
Die Quintessenz des Formats ist dabei so einfach gestrickt wie ihre Hauptfigur, sofern man sie von den aufgesetzten Elogen trennt, in der sie kommuniziert: Alles Anständige und Ehrenhafte, womit sie in der Öffentlichkeit auftritt, ist nur Show. In Wahrheit ist sie die Geschmacklosigkeit in Person, eine menschliche Zumutung, eine inhaltliche Luftnummer, die aber durch kluges Berechnen und Kalkulieren ans Ziel kommt.
Doch die ethisch verwerflichste Figur in diesem Konstrukt ist nicht einmal der abstoßende und gemeine Blender Payton, sondern der Zuschauer dieser Sendung, der dieses offensichtliche Spiel im Fall Payton nur durchschaut, weil die Autoren ihn hinter die Kulissen mitnehmen. In der Realität des tatsächlichen Politbetriebs fallen sie aber immer wieder darauf rein, wobei ihnen die Logik dieser Serie gleichzeitig jede Alternative versperrt. Ob links oder rechts, nationalistisch oder internationalistisch, kapitalistisch oder sozialistisch: Es gibt niemand anderen als Payton Hobart.
Das erinnert an den 1976 erschienenen Film «Network» von Sidney Lumet und Paddy Chayefsky, die in ihrer Diagnosestellung aber weit über The world is a business, Mr Beale hinaus gingen. «The Politician» hingegen lässt nur ein weiteres Mal den Vorhang herunter, um uns vorzuführen, was wir alle schon wissen. Dabei bleiben viele Fragen offen. Allen voran: Worin besteht der Sinn dieser Serie, außer im Schüren von Entmutigung und Desillusionierung?
«The Politician» ist ab dem 27. September bei Netflix zu sehen.
26.09.2019 11:31 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/112473
Julian Miller
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