«The Kitchen»: Gangsterdrama – mit Frauen, von DC und 'in egal'
Drei Frauen übernehmen in den späten 70er-Jahren das organisierte Verbrechen in Hell's Kitchen, während ihre Männer im Knast sind. Was folgt, ist austauschbar.
Filmfacts «The Kitchen»
Regie: Andrea Berloff
Produktion: Michael De Luca, Marcus Viscidi
Drehbuch: Andrea Berloff; basierend auf der Comicvorlage von Ollie Masters, Ming Doyle
Cast: Melissa McCarthy, Tiffany Haddish, Elisabeth Moss, Domhnall Gleeson, James Badge Dale, Brian d'Arcy James, Margo Martindale, Common, Bill Camp
Musik: Bryce Dessner
Kamera: Maryse Alberti
Schnitt: Christopher Tellefsen
Laufzeit: 103 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Unter dem Label 'Vertigo Comics' (das mittlerweile in 'DC Vertigo' umbenannt wurde) veröffentlicht der Comicriese DC Comicreihen, Comic-Miniserien und Graphic Novels, die sich nicht mit dem DC-Alltag vereinen lassen. Nicht wenige dieser Reihen sind grafisch-brutale Dramen wie der gesellschaftskritische «V wie Vendetta», die Special-Forces-Geschichte «The Losers» und das Kriminaldrama «The Kitchen», das in Anlehnung an frühe Martin-Scorsese-Filme vom organisierten Verbrechen im New York der 70er-Jahre erzählt – nur mit Frauen in der Hauptrolle.
Mit der Verfilmung des Stoffes wurde Andrea Berloff betraut, die Drehbuchautorin hinter dem packenden, aussagekräftigen Hip-Hop-Biopic «Straight Outta Compton». Zunächst wurde Berloff allein fürs Drehbuch angeheuert, schlussendlich entschied man sich aber, ihr auch die Regie anzuvertrauen. In ihrem Regiedebüt zeigt sich Berloff auch szenenweise als Regisseurin, die mit wachsender Erfahrung noch Größeres leisten wird.
Denn aus dem (für heutige Hollywood-Verhältnisse) schmalem Budget von 38 Millionen Dollar holt Berloff eine detaillierte 70er-Kulisse heraus und eine atmosphärisch-abgegriffene Filmästhetik. Zumindest über weite Strecken – gegen Ende des Films scheint es fast so, als wäre «The Kitchen» die Luft (respektive: das Geld) ausgegangen und die authentischen 70er-Kleider und die verwinkelten, ausgiebig ausgestatteten Schauplätze weichen alltäglichen Anblicken, genauso wie der bräunlich-gilbliche Stich aus Maryse Albertis Bildern entfleucht.
Berloff weiß auch szenenweise, Gewaltspitzen pointiert zu inszenieren, genauso wie sie es versteht, aus einem trocken-dramatischen "Wie entsorge ich eine Leiche?"-Lehrkurs nach und nach einen pervertiert-amüsanten Flirt zwischen Elisabeth Moss («The Square») und Domhnall Gleeson («Star Wars – Die letzten Jedi») zu formen, ohne dass dieser tonale Wechsel lächerlich wird. Dennoch mangelt es Berloff in «The Kitchen» noch am Händchen dafür, so etwas wie Konstanz zu erreichen – denn abseits seiner gelegentlichen Höhepunkte plätschert «The Kitchen» trivial vor sich her.
Das hat sowohl erzählerische als auch filmische Gründe. Die im New York des Jahres 1978 beginnende Geschichte zeigt, wie Kathy Brennan (Melissa McCarthy), Ruby O’Carroll (Tiffany Haddish) und Claire Walsh (Moss), die Ehefrauen dreier irischer Gangster, das Geschäft ihrer Gatten übernehmen, als diese in den Knast wandern. Eingangs wird das Trio angepflaumt, es solle sich aus der Sache raus halten, doch mit einer Mischung aus List, Tücke, Vehemenz und Einfühlungsvermögen gegenüber den richtigen Leuten mausern sie sich zügig zu Gangster-Chefinnen. Die Unterstützung von Vietnamveteran und Profi-Killer Gabriel O'Malley (Gleeson) kommt ihnen aber auch recht …
Berloff scheint sich in den Extremsituationen komfortabel zu fühlen: Wenn die Ladys ihren Verstand und ihr freundliches Äußeres nutzen, um Gangster-Konventionen gegen den Strich zu bürsten und so das zu bekommen, was sie wollen, gehen auf. Berloff findet den richtigen Duktus, um diese Szenen beiläufig-amüsant zu gestalten, so dass sie nicht als Parodie mit der Aussage "Warum wird sonst so viel geschossen? Die Frauen schaffen das auch friedlich!" wirken, und die Dialoge sind zwar nicht prägnant, aber kurzweilig-funktional. Moss', McCarthys und Haddishs in diesen Szenen zurückhaltend-süffisantes Spiel tut da sein Übriges. Ähnlich treffsicher sind die Gewaltspitzen und plötzlichen Wendungen ins Dramatische.
Die Zwischentöne sind es, die in «The Kitchen» nicht funktionieren – und davon hat der Film viele, weil Berloffs Drehbuch gleichzeitig hetzt (Figuren drehen sich charakterlich blitzschnell um 180°) wie es zäh ist (aufgrund der mangelnden Nuancen in der Charakterzeichnung trampeln figurenzentrische Filmpassagen auf der Stelle). Auch fehlt es «The Kitchen» völlig an Perspektive über das Gangsterdasein: Weder wird der "Suchtfaktor Verbrechen" greifbar vermittelt, wie es nicht nur ein «Scarface» oder «Goodfellas» vollbringen, sondern auch viele Nachahmer. Und ebenso wenig werden die Verstrickungen zwischen Geschäft und Familie minutiös beleuchtet, um so dramaturgische Fallstricke zu erzeugen und den Figuren moralische Dilemmata zu stellen.
Und so wird «The Kitchen» trotz eines Retro-Hitsoundtracks und der engagierten Hauptdarstellerinnen letztlich nur zu unbedeutendem Fluff, der aus seinem Gangsterdrama nichts schöpft, das von Belang wäre. Verdammt schade drum.
«The Kitchen» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel