Darsteller: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Claudia Michelsen, Britta Hammelstein, Robert Stadlober
Produktion: Till Derenbach, Michael Souvignier
Kamera: David Slama
Schnitt: Alexander Dittner
Musik: Walter Mair, Kurt Schwertsik
Laufzeit: 130 Min
FSK: ab 6 Jahren
Drei Akte, 21 Songs und unzählige Zitate, die in die Popkultur eingingen. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ ist eines von ihnen. Es beschreibt einen Zustand, der heute genauso aktuell ist, wie 1928, als Berthold Brechts wohl bekanntestes Theaterstück seine Uraufführung im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin feierte. «Die Dreigroschenoper» ist seither Lehrstoff für unzählige Schülergenerationen gewesen, von vielfältigen Interpretationen, Adaptionen für die Bühne und den Fernsehschirm sowie nicht zuletzt Lieferant unzähliger zeitloser Ohrwürmer. Sogar „Die Toten Hosen“-Sänger Campino hat sich 2008 bereits in einer umstrittenen Variation des Stoffes versucht, ganz zu schweigen von den skandalumwitterten Rockern von Rammstein, deren Song „Haifisch“ auf der weltberühmten „Morität von Mackie Messer“ basiert. All das sind nur Beispiele dafür, wie stark «Die Dreigroschenoper» viele Künstler in ihrem Schaffen geprägt hat.
Mit dem Stoff wurde schon so gut wie alles angestellt, in qualitativer Bandbreite von überragend bis katastrophal. Noch eine weitere moderne Adaption, auch wenn es die erste bedeutungsvolle für die Kinoleinwand werden könnte, braucht es da nicht unbedingt. Regisseur Joachim A. Lang (inszenierte auch schon die Bertold-Brecht-Doku «Brecht – Die Kunst zu leben») wählt für seinen «Dreigroschenfilm» den besten Ansatz, den man sich nur wünschen kann, um die Modernität des Stoffes hervorzuheben und sich gleichzeitig nicht zu wiederholen. Er inszeniert den Stoff als eine Art Fake-Making-Of, indem er hinter die Kulissen einer fiktiven Verfilmung blickt, die von niemand Geringerem als Bertolt Brecht höchstpersönlich begleitet und angemessen kommentiert wird. Das Ergebnis ist exzentrisch und nicht immer ganz ausgereift. Aber es ist eben auch in höchstem Maße unterhaltsam.
Für «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» wählte Regisseur und Drehbuchautor Joachim A. Lang eine höchst smarte Erzählstruktur, um im Grunde zwei Filme in einem zu inszenieren. Auf der einen Seite handelt sein Leinwanddebüt von Brechts Kampf gegen die Filmindustrie, die skeptisch ist, was die Adaption von seinem damaligen Bühnenwelterfolg angeht ("Die Dreigroschenoper ist ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken!“). Auf der anderen Seite stellt Lang aber auch klassische Motive der Vorlage 1:1 und unter Zuhilfenahme modernster inszenatorischer Mittel nach, die der wie für die Rolle gemachte Hauptdarsteller Lars Eidinger («Personal Shopper») immer wieder kommentierend durchbricht. Wer also noch nie etwas von der Dreigroschenoper gehört hat, bekommt von dieser Adaption durchaus ein Gefühl dafür, ob ihm wohl irgendeine der klassischen Film- oder Bühnenvariationen, vor allem aber die Musik zusagen dürfte. Sie sind und bleiben das Herzstück der Dreigroschenoper und können sich auch im dazugehörigen Dreigroschenfilm voll entfalten. Ob man mit den Stimmen der allesamt live singenden Darstellerinnen und Darsteller etwas anfangen kann, bleibt bis zuletzt Geschmackssache. Doch durch die angenehme Imperfektion entsteht auch bei den berauschendsten Gesangsperformances immer eine gewisse Nähe zu den Figuren, die es vollkommen verschmerzbar macht, dass eine Hannah Herzsprung («Who Am I») oder ein Tobias Moretti (spielte seine Rolle des Macheath bereits in einer TV-Adaption der «Dreigroschenoper») nicht mit den aller stärksten Stimmen gesegnet sind.
Die passend zum Kontext sehr theaterhafte Ausstattung versprüht den Charme und den Prunk eines gleichermaßen modernen wie perfekt in die damalige Zeit passenden Bühnenstücks. An der Seite von Lars Eidinger, der den intellektuellen, strebsamen und perfektionistischen Berthold Brecht ohne jede Spur von falscher Arroganz verkörpert (in der Regel weiß er es tatsächlich besser als die Umstehenden und tut nicht bloß so), bricht Joachim A. Lang jedoch immer wieder aus dem theateresken Problemkontext aus und macht das Stück selbst zum Objekt der Diskussion. Die einzelnen Ausschnitte aus „Die Dreigroschenoper“ dienen lediglich der Veranschaulichung dessen, worüber Brecht und die Geldgeber der Medien diskutieren. Der Konflikt zwischen diesen beiden Instanzen ist viel interessanter und greift zeitgleich dieselben Themen auf, die schon der Ursprungsstoff beleuchtete.
Immer wieder überkreuzen sich diese beiden Erzählebenen und münden schließlich in ein zwar zu keinem Zeitpunkt subversives, jedoch brandaktuelles Finale, in dem endgültig nicht mehr klar ist, was hier Fiktion und was (filmische) Realität ist. «Brechts Dreigroschenfilm» ist ein Meta-Film wie er im Buche steht, der darüber hinaus nicht mit Anklagen geizt. Vom dummen Publikum über die noch dümmeren Geldgeber bis hin zu den Schauspielern bekommen alle ihr Fett weg. Und auch hier gilt: Subtil ist das nicht, aber gleichzeitig trifft Lang in seinem Skript so zielgenau die Töne, dass man Brecht kaum etwas entgegenzusetzen hat. Dass er sich dadurch auch noch clever der aktuellen Feuilleton-Kritik entzieht, ist ein weiterer Pluspunkt, dem wir ihn ob der puren Dreistigkeit nur zu gern zugestehen.
Als Lars Eidinger sämtliche Szenen an sich zu reißen, bedarf in diesem Fall noch nicht einmal großer Arbeit. «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» ist durch und durch auf die Attitüde eines der markantesten deutschen Schauspielgesichter heutiger Zeit zugeschnitten. Um ihn herum gelingt es dem Ensemble perfekt zwischen einem eher offensiv-theaterhaften Spiel und zurückhaltend-filmischem Agieren zu changieren. Als Zuschauer weiß man immer schon anhand des Schauspiels, ob man sich nun gerade in der Realität des Films befindet, oder aber auf der Theaterbühne, wo sich Proben zur Dreigroschenoper und später auch zu anderen Stücken abspielen. Je weiter «Brechts Dreigroschenfilm» voranschreitet, desto weniger deutlich vermischt Joachim A. Lang die verschiedenen Erzähleben und greift schließlich auch auf Stilmittel zurück, die im Moment ihres Auftretens mit der innerfilmischen Logik zu brechen scheinen. Als etwa Malerfarbe auf einer Filmkamera landet, wo in jenem Moment eigentlich gar keine existieren dürfte, weil wir uns in ebenjener Szene nicht am Filmset befinden, sondern im echten Leben, macht Lang endgültig klar, dass letztlich das ganze Leben einer einzigen Inszenierung unterliegt. Das mag auf den ersten Blick theatralisch wirken, aber letztlich ist es genau das, was Bertold Brechts Intention am besten beschreibt. Denn schließlich setzt sich am Ende nur so viel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen.
«Mackie Messer: Brechts Dreigroschenfilm» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie unter anderem via Amazon, maxdome, Sky Store, Videoload und Rakuten TV abrufbar.
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