Der US-Kritikerliebling «Sorry to Bother You» ist hierzulande nahezu unbekannt. Nur weshalb?
Worum geht es?
Filmfacts «Sorry to Bother You»
- Regie und Drehbuch: Boots Riley
- Produktion: Nina Yang Bongiovi, Kelly Williams, Jonathan Duffy, Charles D. King, George Rush, Forest Whitaker
- Cast: Lakeith Stanfield, Tessa Thompson, Jermaine Fowler, Omari Hardwick, Terry Crews, Patton Oswalt, David Cross, Danny Glover, Steven Yeun, Armie Hammer
- Musik: Tune-Yards, The Coup
- Kamera: Doug Emmett
- Schnitt: Terel Gibson
Cassius (Lakeith Stanfield) und seine Freundin Detroit (Tessa Thompson) leben aus wirtschaftlicher Not in der Garage von Cassius' Onkel Sergio. Um endlich finanziell Fuß zu fassen, nimmt Cassius einen Job als Telefonverkäufer an. Da er bei den ersten Versuchen, ins Verkaufsgespräch zu kommen, sofort abgewürgt wird, nutzt Cassius fortan am Telefon seine "weiße" Stimme – und wickelt einen Verkauf nach dem nächsten ab. Während sich in der Firma ein Konflikt zwischen der Chefetage und den "normalen" Verkäufern zusammenbraut, bei dem es um Bezahlung und Arbeitsbedingungen geht, erhält Cassius die Gelegenheit, aufzusteigen: Er könnte als "Powercaller" an Firmen ein neues Industriemodell verkaufen, das jedoch hoch umstritten ist. Detroit wiederum macht als Aktionskünstlerin auf sich aufmerksam, womit Cassius seine Probleme hat …
Aber worum geht es wirklich?
Regisseur und Drehbuchautor Boots Riley wagt sich an einen Rundumschlag, der sich gewaschen hat: In «Sorry to Bother You» spricht er mehrere unschöne Wahrheiten (nicht nur) über die Vereinigten Staaten von Amerika an. Er persifliert mit spitzer Feder den gelebten US-amerikanischen Kapitalismus in einem freien Markt, in dem die Wert eines Menschen an seinem Lohn und seiner Arbeitsleistung gemessen wird. Er kritisiert den Mangel an sozialen Absicherungen in den USA, den schlechten Stand von Gewerkschaften und die Willigkeit, nach unten zu treten, sollte es einem einen minimalen Aufstieg auf der Karriereleiter erlauben.
Dies vermengt Riley mit einer satirischen Darstellung der "Black Experience": Es geht um Code Switching, das Verleugnen der eigenen Identität, das Formen eines Kunstfigur-Ichs, das die eigenen Charakteristiken doppelt und dreifach betont, um das Unterdrücken der eigenen Persönlichkeit in vielen Situationen zu kompensieren, sowie die rassistischen Erwartungen Weißer an schwarze Mitmenschen. Selbst die simpelste Szene in «Sorry to Bother You» streut Salz in offene Wunden und zeigt, wie auf einer Party reiche Weiße von einem Schwarzen erwarten, dass er zu ihrem vergnügen einen Rap hinlegt – "denn das könnt ihr doch".
Wie eklatant ist der Unterschied zwischen den USA und dem Rest der Welt?
Nachdem «Sorry to Bother You» auf dem Sundance Film Festival 2018 seine umjubelte Weltpremiere feierte, sicherte sich das mittelgroße US-Label Annapurna Pictures die nordamerikanischen Auswertungsrechte. Begleitet von einem sehr positiven Kritikerecho, selbst wenn einige Pressestimmen das unbedarfte Publikum davor warnten, dass der Film sehr exzentrische Formen annimmt, nahm die 3,2 Millionen Dollar teure Produktion in ihrem Heimatmarkt 17,5 Millionen Dollar ein.
Für den Rest der Welt sicherten sich Universal Pictures und dessen Tochter Focus Features die Verwertungsrechte. Davon wurde im Kino jedoch kaum Gebrauch gemacht: Es kam nur zu limitierten Einsätzen in wenigen Märkten, darunter Island, Australien, Frankreich und Norwegen sowie (erst kürzlich) die Niederlande. In den meisten Ländern, darunter in Deutschland, wanderte «Sorry to Bother You» prompt ins Heimkino – und das auch oft als rein digitaler Titel. An den Kinokassen nahm «Sorry to Bother You» abseits Nordamerikas bloß rund 792.000 Dollar ein und das Presseecho fiel aufgrund der halb verborgenen Auswertung auch überschaubar aus.
Weshalb geht «Sorry to Bother You» abseits der USA so unter?
Rein praktisch gesehen spielt natürlich die lieblose Auswertung eine Rolle: Ohne Kinostart oder wenigstens einer mit solidem Werbebudget begleiteten Blu-ray-Premiere mangelt es «Sorry to Bother You» am Rummel, der die Presse und Filmbegeisterte wachrüttelt und so eine Mundpropaganda provozieren kann. Doch auch die kulturellen Unterschiede spielen wahrscheinlich eine große Rolle, ist «Sorry to Bother You» doch eine sehr amerikanische Satire.
Aber nicht nur die Themen sind es ...
Abgesehen davon, dass das internationale Publikum oftmals keine enge Bindung mit den Kritikpunkten hat, die Boots Riley an seinem Heimatland äußert, hat wohl auch die Herangehensweise Rileys damit zu tun, weshalb es Universal Pictures schwer erscheint, «Sorry to Bother You» zu vermarkten. Denn Riley äußert seine satirischen Spitzen auf sehr verquere, absurde und kompromisslose Art und Weise. Das lässt sich noch relativ sorglos mit dem britischen Humor vereinen – im Heimatland von «Monty Python» nahm «Sorry to Bother You» fast 319.000 Dollar ein, womit Großbritannien der größte internationale Markt der Kapitalismus- und Rassismussatire ist.
Aber nehmen wir als Beispiel den deutschen Humor: Hierzulande wird politischer Humor noch immer primär in Form von stocksteifem Kabarett geäußert – oder alternativ im Volkstheater-Singsang der Marke «Die Anstalt». Skurrile, verquere Satire, die die gesamte Gesellschaft in moralische Generalhaft nimmt, zündet in Deutschland einfach nicht. Da ist es egal, ob nun der US-amerikanische Kapitalismus und der Stand der schwarzen Bevölkerung durch den Kakao gezogen wird oder auch Themen, die hierzulande intensiver besprochen werden, auf der Liste stehen. Mike Judges Verdummungs- und Konsumkritik «Idiocracy» ging in Deutschland ja auch völlig baden, ebenso wie etwa Bobcat Goldthwaits bitterböse Kulturkampf-Satire «God Bless America».
Und auch bei unseren eigenen Themen tendiert das Publikum dazu, das wahnwitzig-fiese Material links liegen zu lassen, um sich der zugänglicheren Satire zu nähern: Unter den großen Rechtsruck-Satiren war es nicht etwa Dietrich Brüggemanns rundum austeilender Fieberalbtraum «Heil», der zum Blockbuster wurde, sondern «Er ist wieder da», der einzelnen Momenten der Bitterkeit zum Trotz seinem Publikum die Hand reichte und Adolf Hitler zwischendurch sympathische Witzlein über schlechtes TV-Programm, Blitzreinigungen und Verhaspler hat machen lassen. Wer will denn schon eine Satire sehen, die durchweg Kritik äußert, wenn man auch mit dem Charlie-Chaplin-Bartträger lachen kann, wenn er Passanten irritiert? Das ist doch so viel optimistischer!
«Er ist wieder da»-Hauptdarsteller Oliver Masucci bekam des Deutschen Abneigung gegenüber wirklich feiste Satire dann auch 2018 zu spüren, als der mit ihm besetzte, deutlich kompromisslosere «Herrliche Zeiten» damit kämpfte, überhaupt die Marke von 25.000 verkauften Tickets zu nehmen – «Er ist wieder da» brachte es rund auf das Hundertfache. Wie soll da eine harte, schräge, thematisch dichte US-Satire über (mehrheitlich) US-amerikanische Themen hier ankommen?
Und nun?
«Sorry to Bother You» anschauen und selber urteilen, ob er mehr Ruhm in deutschen Landen verdient hat. Amazon Prime hat den Film aktuell im Portfolio.
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