Kinder, sperrt eure Eltern ein und nehmt ihnen jede Möglichkeit des Fernsehempfangs weg – sonst besteht Gefahr, dass sie öffentlich-rechtlicher Panikmache zum Thema Gaming auf den Leim gehen!
Cast und Crew
- Regie: Philip Koch
- Drehbuch: Philip Koch, Hamid Baroua
- Cast: Emma Bading, Oliver Masucci, Victoria Mayer, Jonas Hämmerle, Louise Anna Jung, Genija Rykova und als Gast Ulrike C. Tscharre
- Kamera: Alexander Fischerkoesen
- Schnitt: Stine Sonne Munch, Hans Horn
- Musik: Michael Kadelbach
Irgendwo tief, tief, tief in «Play» steckt ein Film über (weibliche) sexuelle Befreiung: Die einzelgängerische Jugendliche Jenny (Emma Bading) kleidet sich dunkel, in weiten Klamotten, die ihre Körperform verhüllen, hat einen feschen Kurhaarschnitt und wird daher hinter ihrem Rücken als Lesbe bezeichnet. Als die schüchterne, unter mangelndem Selbstwertgefühl leidende (und mutmaßlich unerfahrene) Jenny ein Virtual-Reality-Spiel für sich entdeckt, bricht sie in den virtuellen Weiten der Fantasywelt aus ihrer Mauerblümchenmentalität aus, wird forscher und froher – und lernt so in der Gamingwelt einen Mitschüler besser kennen. Beim ersten realen Date bleibt sie dennoch scheu und unsicher. Im weiteren Filmverlauf verknüpft Regisseur Philip Koch bildliche und akustische Assoziationen zwischen digitalem Rollenspiel und Jennys sexueller Erkundungsreise, während Hauptdarstellerin Bading mit großer Wirkkraft eine erschöpfte, gefrustete, ausgegrenzte Teenagerin spielt, der beispielsweise die Tränen kommen, wenn sie verkrampft versucht, Lust zu empfinden.
Aber dieser metaphernbehaftete Film über sexuelle Selbstfindung erstickt. Er erstickt tief, tief, tief in behäbigen Assoziationsspielen und, was viel schlimmer ist, in einem Wust aus Videospielsucht-Panikmache. «Play» mag andere Elemente aufweisen, in erster, zweiter, dritter und vierter Linie ist es jedoch nur ein neuer Vertreter einer Filmgattung, wie sie in den 1980er-Jahren Überhand nahm: «Play» ist ein Film, der Elternängste über aktuelle Jugendphänomene massiv überspitzt und ein desolates Bild von jugendlicher Selbstkontrolle zeichnet:
Wie einst Tom Hanks in «Labyrinth der Monster» mit durchaus achtbarer schauspielerischer Ambition durch eine Handlung huschte und flennte, die postulierte, dass Pen-and-Paper-Rollenspiele süchtig machen, Aggressionen auslösen und empfindliche Teeniegeister so sehr vernebeln, bis sie nicht mehr zwischen Leben und Spiel unterscheiden können, kämpft sich hier Emma Bading durch eine ähnlich dick aufgetragene, aufscheuchende Eltern-Schreckensfantasie über die Gefahren von Virtual-Reality-Spielen.
Strukturell ist Philip Kochs und Hamid Barouas Drehbuch sogar grausig nah an Tom Hanks' Jugendsünde: Jenny ist einsam, findet im digitalen Rollenspiel einen erfüllenden Sinn und soziale Kontakte, wird prompt süchtig, verarbeitet reale Sorgen im Spiel, vermischt beide Welten, wird völlig lebensunfähig und provoziert spielend fatale, reale Probleme. Verständnis für Jennys Sicht der Dinge ist unfassbar rar gesät. Wenn etwa ihre Eltern das Internet abstellen, während sie gerade online ein Date ausmacht, weshalb die überrumpelte Tochter einen kleinen Wutanfall bekommt, bleibt die Kontextualisierung "Das war gerade so, als hätten Jennys Eltern das Telefon gekappt, während die einzelgängerische Stubenhockerin gerade Flirtfortschritte macht" aus. Für themenfremde Fernsehende bleibt also nur das Bild: Teenie ist süchtig, dreht daher durch, Eltern wollen die Sucht eindämmen, zum Dank werden sie belogen, beschimpft und geschubst.
Abgesehen davon, dass «Play» somit Gefahr läuft, den Haussegen in einigen Fernsehhaushalten schief zu hängen, indem der Film übertriebene Sorgen in Elternköpfe pflanzt, was passieren kann, wenn ein Virtual-Reality-Set im Kinderzimmer steht: Es ist auch dramaturgisch völlig überzogen. Mit Jenny lässt sich kaum mitfiebern, da sie bereits nach der ersten Spiele-Session so abhängig ist, als hätte sie soeben Heroin genommen. Mit ihren Eltern lässt sich dagegen nicht mitfiebern, weil sie nur besorgt dreinblickende Randfiguren in Jennys Absturzgeschichte sind. Eine lebensnahe Auseinandersetzung mit dem wirklich existierenden (wenngleich raren) Problem der Gamingsucht sieht anders aus – und ein karikierender Mediennutzungs-Thriller im Stile von «Black Mirror» würde vielleicht ähnlich zügig in die Nachwirkungen eintauchen, aber komplexere Aussagen über Jennys Spielesucht treffen als «Play».
Die dauerominös-unheilvolle Instrumentalmusik und die plumpen Dialoge tun da ihr Übriges – da hilft es auch nicht, dass Oliver Masucci als bemüht-freundlicher Vater in seinen wenigen Szenen so manchen spaßigen Spruch raushaut und Bading weit über dem Niveau des Stoffes spielt. Alle, die eine etwas andersartige, aufreibendere Coming-of-Sexual-Age-Story sehen wollen, sollten mit «Blue My Mind» oder «Raw» vorlieb nehmen. Und diejenigen, die einen guten Film über Virtual-Reality-Sucht sehen wollen – naja, die müssen halt warten, bis es solch einen Film gibt.
«Play» ist am 11. September 2019 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
11.09.2019 22:21 Uhr 1
11.09.2019 23:16 Uhr 2
12.09.2019 08:58 Uhr 3
ich fand ihn klasse!