Am Wochenende stehen richtungsweise Wahlen in Brandenburg und Sachsen an. Freunde der Demokratie können sich nicht über starke Ergebnisse der AfD freuen. Warum punktet die Partie besonders im Osten? Um das zu verstehen, ist ein Blick auf den Lebensalltag und die Gestaltung von freier Zeit sinnvoll. Worin unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche? Wie nutzen sie Medien? Wofür interessieren sie sich?
Landtagswahlen Sachsen/Brandenburg - so berichten die Sender
- RTL-Gruppe: n-tv ab 17 Uhr mit Moderator Christopher Wittich und Experte Heiner Bremer. Geplantes Ende gegen 20.15 Uhr. RTL im Rahmen seiner Hauptnachrichten um 18.45 Uhr und in einem etwa zehn Minuten langen Special um 18 Uhr mit Moderator Maik Meuser.
- WELT: Ab 17.30 Uhr bis zirka 20 Uhr. Moderiert von Tatjana Ohm, mit den Gästen Robin Alexander und Michel Friedman.
- Das Erste: Ab 17.30 Uhr und bis 19.20 Uhr: Jörg Schönenborn wird über die aktuellen Hochrechnungen von infratest dimap informieren. Wiebke Binder und Sascha Hingst sprechen in den Wahlstudios in den Landtagen mit Politikern aus Bund und Ländern über die Folgen und Konsequenzen des Wahlausgangs.
- ZDF: 17.35 bis 19 Uhr (anschließend befasst sich «heute» mit den Wahlen). Bettina Schausten, Bettina Warken und Matthias Fornoff moderieren.
- MDR: Der MDR berichtet zwischen 17.45 und 21.45 Uhr mit Unterbrechungen (etwa um 19.50 Uhr für «Kripo live») von der Wahl in Sachsen.
- rbb: Der rbb berichtet 17.45 bis 21 Uhr von den Wahlen aus Brandenburg, schaltet um 20 Uhr aber zum Beispiel zur «Tagesschau» aus Hamburg
Ganz Deutschland blickt in wenigen Tagen nach Ostdeutschland. Am kommenden Sonntag wird es richtungsweisende Wahlen geben – und glaubt man zur Zeit den Meinungsforschern, dann könnten die Auswirkungen dieser Landtagswahlen weit über die Grenzen der Bundesländer bis nach Berlin und auch darüber hinaus spürbar sein. Die umstrittene AfD, zuletzt immer wieder aufgefallen durch markige Sprüche tief unterhalb jeglicher Gürtellinie, aber auch mit vemeintlich maximal einfachen Lösungen für hochkomplexe Probleme, wird ziemlich sicher als großer Gewinner aus den Wahlen hervorgehen.
Am 1. September wird in Brandenburg und Sachsen gewählt. Die AfD wird – neuesten Umfragen zufolge – wohl ein Viertel der Stimmen bekommen und rückt somit sehr knapp an die Christdemokraten heran. Somit kann eigentlich nicht mehr davon gesprochen werden, dass die AfD lediglich ein Phänomen ist, das aus dem reinen Protest heraus entsteht, und das mit ein bisschen Abwarten womöglich wieder verschwindet. Was aber macht die rechts einzuordnende Partei, die sich einst als Euro-Kritiker etablierte, inzwischen aber recht offen gegen Ausländer und andere Minderheiten hetzt, in Bundesländern wie Sachsen so populär? Und woher kommt der doch deutlich spürbare Hass auf die Mediengesellschaft?
Denn ein Teil der AfD-Forderungen bezieht sich auch auf eine Reform unseres Rundfunks. Die AfD in Sachen etwa machte gezielt gegen die von ihnen so benannten „TV-Zwangsgebühren“ mobil. Partei und ihre Anhänger fühlen sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für den bekanntlich monatliche Rundfunkgebühren anfallen, nicht mehr abgeholt. Medien wird eine linke Unterwanderung – O-Ton – vorgeworfen. Das alles führt zu Fragen. Kann es sein, dass Ostdeutschland selbst nach 30 Jahren noch nicht komplett in Deutschland angekommen ist? Wie groß sind die Unterschiede in der Mediennutzung, wie anders das Denken?
Studien darüber gibt es einige – ähnlich groß wie die Anzahl an Studien scheint bei den Systemkritikern auch das Misstrauen in Journalismus oder unabhängige Berichterstattung zu sein. Es muss die Frage gestellt werden: Kennt Westdeutschland die Verhältnisse in Ostdeutschland gut genug, um die Bedürfnisse, Sorgen und Ansprüche dort wirklich verstehen zu können? Ist der Ansatz, deutsche Schulklassen aus dem Westen vermehrt in den Osten auf Klassenfahrt zu schicken den einige Politiker zuletzt wählten, wirklich falsch oder vielleicht genau richtig?
2015 gab es die letzte große Studie über Fernsehnutzung und Freizeitgestaltung im Osten. Die Unterschiede zwischen den sogenannten neuen und alten Bundesländern waren damals schon auffallend. Die Grundaussagen: Ostdeutsche schauen mehr fern als Westdeutsche und sie schauen vor allem mehr private Sender als Westdeutsche. Sie haben zum Teil auch andere Erwartungen an die Programme und sie zeigten sich schon damals in Bezug auf ARD und ZDF enttäuscht, weil sie sich wünschten, mehr Protagonisten aus Ostdeutschland zu sehen, die ihren Identitätsbedürfnissen entsprechen.
Wurden ostdeutsche Probleme in den zurückliegenden Jahren also wirklich zu selten thematisiert?
Ein paar Zahlen, die meisten sind inzwischen etwa fünf Jahre alt, erlauben aber trotzdem einen Einblick in den Prozess, der nun offenbar weiter voran geschritten ist. Damals kamen ARD und ZDF im Westen Deutschlands zusammengerechnet auf 26,7 Prozent Marktanteil. Im Osten waren es nur 22,5 Prozent – ein gewaltiger Unterschied. RTL schnitt mit 10,6 Prozent im Osten derweil um vier Zehntel besser ab als im Westen. Sat.1, wahrlich nicht für jedwede Infokompetenz bekannt, stand im Osten mit 9,2 Prozent sogar massiv besser da als im Westen mit 7,6 Prozent Marktanteil.
Einer damals durchgeführten Langzeitstudie zum Image von öffentlich-rechtlichem Fernsehen ist zu entnehmen, dass ARD und ZDF in allen Punkten im Osten niedrigere Zustimmungswerte kassierten als im Westen. Die Einstufung als „kompetent" fiel im Osten um 4,5 Prozentpunkte niedriger aus als im Westen, die Einstufung als „kritisch“ sogar um 7,8 Prozentpunkte.
Zudem wurde in einer vor fünf Jahren veröffentlichten Studie auch klar, dass die Informationsgewinnung im Osten weniger stark auf das deutsche Nachrichten-Flagschiff «Tageschau» fokussiert ist als im Westen. In den sogenannten alten Bundesländern kam die 20-Uhr-Sendung des Ersten auf 19,0 Prozent Marktanteil, im Westen nur auf 13,2 Prozent. Anders sieht es bei «RTL Aktuell» aus, der meistgesehenen Hauptnachrichtensendung der deutschen Privatsender. Während das Format mit Peter Kloeppel und anderen im Westen bei 14,9 Prozent lag, holte die Sendung im Osten 18 Prozent. Sat.1 kam mit seinen News im Osten auf 6,7 Prozent, im Westen lag die Wert um 1,7 Punkte niedriger. Das ZDF-«heute-Journal» kam 2014 im Osten auf „nur“ 10,3 Prozent Marktanteil, im Westen aber auf 14,3 Prozent.
Auch was politische Primetime-Magazine von Das Erste und ZDF angeht, fiel in der damaligen Studie die Nutzung im Westen fast immer höher aus als im Osten. Einzige Abweichung: Bei «Fakt», eine Produktion des MDR, liegen Ost und West nahezu gleichauf. Die ostdeutschen Länder sind dabei für die deutschen TV-Programme, ganz speziell für die Werbefinanzierten, von großer Bedeutung. Nach wie vor ist die TV-Nutzung dort deutlich höher. 2017 lag die durchschnittliche TV-Sehdauer in Deutschland nach Angaben des Verbandes VPRT bei 238 Minuten der Zuschauer über 14 Jahren und bei 221 Minuten der Zuschauer ab drei Jahren.
Ein Blick auf die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen zeigt: 2017 sahen Ostdeutsche dieses Alters pro Tag im Schnitt 355 Minuten lang fern, 70 Minuten mehr als Westdeutsche. 2018 steigerte sich diese Differenz sogar auf 76 Minuten. In keiner Altersklasse war die TV-Nutzung im Westen höher als im Osten, es war immer andersherum. Selbst bei den Jüngern, etwa den 20- bis 29-Jährigen, fiel die TV-Nutzung im Osten um 32 Minuten länger aus als im Westen. Bei den 30- bis 39-Jährigen stieg die TV-Nutzung entgegen dem Gesamtdeutschen Trend sogar an.
Woher kommt dieses Phänomen? Offenbar daher, dass die Freizeitgestaltung in Ostdeutschland anders geprägt ist als in Deutschland? Eine Befragung aus dem Jahr 2015 zeigt, welchen Aktivitäten oder Hobbys deutsche Bundesbürger gerne und regelmäßig nachgehen. Und sie zeigt Unterschiede zwischen Ost und West. Eindeutig geht daraus hervor, dass Aktivitäten abseits der eigenen vier Wände, die vielleicht auch noch Geld kosten, im Osten weniger (oft) stattfinden als im Westen. Beispiel Kinobesuche: Gaben damals im Westen rund 70 Prozent an, überhaupt mal ins Kino zu gehen, waren es im Osten nur rund 65 Prozent. Der Besuch von Sportveranstaltungen steht für 48,4 Prozent in Ostdeutschland hin und wieder auf dem Plan, im Westen bei 54,1 Prozent. Der Unterschied im Bereich Sport/Fitness liegt bei 6,1 Prozentpunkten, bei 4,1 Prozentpunkten der Besuch von Bars, Restaurants oder Kneipen. Was machen die Ostdeutschen mehr als Westdeutsche? Bücher/Zeitschriften lesen, Basteln oder Handwerken, oder generell Zeit mit der Familie verbringen.
Es ist kein Geheimnis, dass selbst heute, 30 Jahre nach der Wende, zahlreiche Regionen im Osten noch als strukturschwach gelten. Dass junge Menschen in die florierenden Großstädte ziehen, während ländliche Gebiete abgehängt werden. Dass dadurch Frust entsteht. Und vielleicht auch, dass diese Probleme in der medialen Öffentlichkeit, zuletzt wirklich nicht ausreichend beachtet wurden. Allerdings sowohl von privaten als auch öffentlich-rechtlichen Sendern.
Das nährt allerdings doch die Vermutung, der aktuelle Höhenflug der so genannten Alternative für Deutschland, sei eher auf eine Protesthaltung zurückzuführen. Vermutlich ist das zu kurz gegriffen. Denn es ist schon richtig, dass die AfD im Osten auch mit sehr lebensnahen Themen Wahlkampf macht und Populäres verspricht - auf dem Arbeitsmarkt, bei Windrädern, um es bei zwei Beispielen zu belassen. Stets in einfacher Sprache gehalten. Ein bisschen die Methode Trump halt. Und dass das bei den Bürgern gut ankommt. Vermutlich greifen beim derzeitigen AfD-Erfolg jedoch sehr unterschiedliche und viele Faktoren. Um die zu erwartenden Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg aber im Ansatz zu verstehen, ist es nicht schlecht, zu wissen, dass die Uhren in Ostdeutschland in einigen Bereichen eben doch anders laufen.
«Deutschland-Bilanz - Ein Land, zwei Seelen» wurde vor Kurzem vom ZDF ausgestrahlt. Die zweiteilige Doku ist auch hier verfügbar.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
29.08.2019 22:05 Uhr 1
31.08.2019 00:21 Uhr 2
Der Erfolg der AFD ist auf einen simplen Nenner zu bringen: 30 Jahre mehr oder weniger leere Versprechungen, der etablierten Parteien haben ihre Spuren hinterlassen! Neben den Leuten, die sich subjektiv abgehängt fühlen, hat die Mehrheit einfach die Nase voll, da die etablierten Parteien 30 Jahre nach der Wende überhaupt nix dazu gelernt haben! Dies den Parteien vor Augen zu führen, ist derzeit am einfachsten, in dem man "Protest" sprich AFD wählt.
Viele tatsächlich abgehängte AFD-Wähler würden zwar dumm aus der Wäsche schauen, wenn die wirklich an die Macht kommen und ihr Parteiprogramm durchziehen würden, das in vielen Punkten extrem neo-liberal ist, allerdings ist die Chance derzeit so gering, dass sich die Partei perfekt zur Protestwahl eignet!