Eine Frage, die endlich gestellt werden muss: Weswegen floriert ein Kulturdiskurs, der einer stilisierten Romanze vorwirft, sie sei nicht lebensnah und gesellschaftskritisch genug?
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Mit großem Werkzeugkasten wird auf eine Pizza eingedroschen, weil sie kein Steak ist
Zusätzlich zum binären "Anspruch gut, Leichtfüßigkeit schlecht"-Denken, das die deutsche Kritik sich zwar bei internationalen Produktionen mühselig abtrainiert hat, jedoch weiterhin "unseren" Kunstschaffenden auferlegt, kommt also genau dies: Die «Traumfabrik»-Verrisse offenbaren, wie häufig ein Film nicht als das besprochen wird, was er ist. Statt zu analysieren, wie sehr «Traumfabrik» als deutlich markierte Liebesfilmhommage auch wirklich aufgeht, wird «Traumfabrik» in die Schublade mit Politgeschichte aufbereitenden Dramen gesteckt und dann als zu seicht gescholten. Vereinzelt wird «Traumfabrik» wiederum als Liebesfilm erkannt, gleichwohl wird der stilistische, nostalgische Überbau ausgeblendet, der die Aufbereitung bekannter Stilmittel aus dem in «Traumfabrik» angerissenen Genre der Verwechslungskomödie sowie aus altmodisch schmachtenden Liebesgeschichten nicht bloß rechtfertigt, sondern sogar notwendig macht.
Selbstredend macht sich «Traumfabrik» weder durch sein Genre, noch durch seinen narrativen Überbau gegen jegliche Kritik immun. Statt aber zu klagen, dass in «Traumfabrik» unwirklich große Liebesgesten getätigt werden und das Thema Liebe über allem steht, wäre es viel angemessener, darüber zu philosophieren, wie gelungen das visuelle Imitieren von DEFA-Filmen in «Traumfabrik» denn nun ist, ob die Rahmenhandlung ausreichend Kontext liefert oder ob die Instrumentalmusik in «Traumfabrik» nicht vielleicht zu lasch ist, wenn der Rest des Films sich doch an der Intensität seiner Vorbilder bedient, sich auf Klangebene aber kein genüsslich-pathetisches Leitthema herauskristallisiert.
Stattdessen wird aber die Nase gerümpft und geklagt, dass am Ende dieses Drei-Gänge-Menüs eine Süßspeise folgt, was ja völlig vorhersehbar sei, und dass die Nudeln beim Hauptgang aus Weizen bestünden, obwohl doch Linsennudeln viel origineller wären. Und wieso, bitte, gab es bei diesem Italiener keine Gratisflasche Jamaika-Rum zum Hauptgang?
Oder, um es anders auszudrücken und obendrein von den kulinarischen Metaphern wegzukommen: Bestimmte Filmkritiker brüsten sich mit ihren Regalwänden an Sekundärliteratur und ihrem perfekt einstudierten Vokabular an filmischen Fachbegriffen – was oberflächlich von wissenschaftlicher Beflissenheit zeugt. Doch ob all jener beim flüchtigen Blick imposanten Zurschaustellung des eigenen Wissens, und etwaiger Prahlerei durch Schachtelsätze, die in jeder vernünftigen Germanistikprüfung als unnötig kompliziert angestrichen würden, verlieren sie das Elementare aus dem Blick: Die zielgerichtete, praxisnahe Aneignung dieses theoretischen Wissens. Sofern sie sich den praktischen Einsatz ihres Könnens je beigebracht haben.
Und das ist fatal: Das größte Wissen der Welt nützt nichts, wenn es am Verstand und der Beobachtungsgabe mangelt, es einzusetzen. Ohne gehässig auf gewisse Kollegen herabblicken zu wollen, so wirken sie doch auf mich wie Hobbyhandwerker, die mit ihrer 108-teiligen Werkzeugkiste prahlen – und dann mit dem Blatt einer Kreissäge versuchen, eine Kreuzschlitzschraube in ein Regal zu drehen. Woraufhin sie dann beim Versandhandel ihres Misstrauens eine vernichtende Kritik hinterlassen, weil er unmöglich aufzubauende Regale veräußert. So ein Betrügerverein!
Kurios, dass sich diese Filmkritiker eine sie vergötternde Gefolgschaft aufgebaut haben, weil sie ja so wundervoll ungeschönt kritisch seien und mit ihrem Fachwortgebrauch beweisen, wie belesen sie seien – während deutlich smartere, noch belesenere Kollegen, die zwecks Verständlichkeit ihrer Beiträge den erlernten Fachsprech drosseln, ob ihres Optimismus verlacht werden. Aber, echt, wie können sie es wagen, «Traumfabrik» aufgrund des wundervollen Spiels einer sich dem Stil des Films fügenden, gleichwohl modern-aufgeweckten und somit alte Genderklischees vermeidenden Emilia Schüle zu loben? Wie kommt man nur auf die Idee, einem Film, der von vergangenen Kinotagen träumt, dafür Respekt zu zollen, wie er es schafft, in unseren zynischen Zeiten eine unsarkastische Liebesgeschichte aufzubereiten, indem er ihre Altbackenheit explizit zum Thema macht?
Wo kommt er nur her, dieser jeglichen zielgerichteten Filmdiskurs zerstörende Gedanke, nur grantige, harte Kritiken seien professionell sowie von Wert? Nein, Kritikerinnen und Kritiker sind nicht dadurch relevant, dass sie nur zwei Typen von Filmen dulden und alles, was leicht zu konsumieren ist, als Beweis für den kulturellen Niedergang sehen. Denn "negativ" bedeutet nicht sogleich "fein beobachtet". «Traumfabrik» beweist, dass es zuweilen deutlich weniger Gedankenarbeit verlangt, einen Film in Grund und Boden zu schreiben, weil er an der äußersten Oberfläche seicht und anspruchslos erscheint, statt sich intensiv und vollumfänglich mit seinen Stilmitteln auseinanderzusetzen und Anlässe zu finden, ihm ein stimmiges Gesamtbild zu attestieren.
Keineswegs soll dies bedeuten, dass nur eine positive Kritik eine gute Rezension ist, oder dass Unterhaltungsfilme allein auf ihren Unterhaltungswert abgeklopft werden sollten. Die argumentative Stärke und die Beobachtungsschärfe sind entscheidend.
Der Sci-Fi-Romantikfilm «Passengers» darf beispielsweise für sein fragwürdiges Frauenbild kritisiert werden, denn einer Romanze, die nicht mehr romantisch, sondern verstörend ist, sobald man kritisch über sie nachdenkt, begegnet man damit noch immer auf thematischer Augenhöhe. Den Film wegen vermeintlicher Logiklöcher in der fiktionalen Technologie zu zerpflücken, die seinen Plot anstößt, ist derweil eine eher uninteressante Kritik, die vor der Essenz der Erzählung die Augen verschließt.
«Traumfabrik» wiederum für sein liebevolles Spiel mit Genreerwartungen zu loben, indem manche Klischees vermieden, andere neu platziert sowie gedämpft werden, ist als Kritik nicht etwa wohlwollend-nett, sondern ordnet diesen Film-über-Filme mit versiertem Auge ein. Selbstredend darf man auf derselben argumentativen Schiene zu einem anderen Schluss kommen. Entscheidend ist indes: Ihn in der Luft zu zerreißen, weil man davon genervt war, dass Klischees vorkommen, kann zwar eine unverfälschte Feststellung sein – aber ist sie es wirklich wert, veröffentlicht zu werden? Oder sollte man sich da als Verfasserin beziehungsweise Verfasser einen Ansatz suchen, der auf ergiebigeren Beobachtungen fußt?
Denn: Dass ich meinen Bücherschrank nicht allein mit einem Kugelschreiber und Kaugummi aufgebaut bekommen habe, ist eine ebenso wahre Beobachtung. Genauso wie das Niederschreiben des Umstands, dass die Pizzeria aus meiner Nachbarschaft keine afghanischen Spezialitäten anbietet, was ja echt mies ist, wenn ich genau darauf Appetit verspüre. Doch ob ich für diese bitterbösen Verrisse Applaus erhalte, wenn ich sie nur mit ausreichend Handwerker- respektive Küchenlatein versehe? Ich hoffe nicht …
Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
16.07.2019 06:59 Uhr 4
Noch schlimmer als Babylon Berlin.
Haben hier zum Jahrestag Harry&Sally gesehen.
So gehen echte Romanzen.
16.07.2019 14:11 Uhr 5
Kleine Kritik: Es hätte dem Artikel echt geholfen, wenn man die Kritiker zitiert hätte. Ich finde solche Repliken ansich nachvollziehbar, habe aber keine solcher Kritiken, auf die Du (Sid) Bezug nimmst, gelesen. Deshalb wären manche Verweise von Vorteil. Wer sind denn diese Kritiker, die in dieser Form darüber schrieben und die alle so toll finden?
Ist natürlich wieder blöd über einen Film zu schreiben, den ich nicht gesehen habe und nie sehen werde, weil ich mir auch recht sicher bin, dass ich den nicht mag, weil halt nicht mein Genre und der Trailer auch so "Gemacht" daherkam. Das schaut halt aus wie Hollywood spielen und alles zusammenklöppeln, was irgendwie groß ist und Eindruck schinden soll und da mich so ein Liebes-Kitsch-Zeug nur selten catcht, gibts keinen Grund den anzusehen. Die deutsch-deutsche Geschichte scheint nur Mittel zum Zweck zu sein und das finde ich auch okay und nicht wirklich kritikwürdig.
Weshalb du mit Wes Anderson und seinem Grand Budapest Hotel um die Ecke kommst, erschließt sich mir nicht. Klar, kannst darauf hinweisen, dass die Kritiken in deinen Augen viel zu gut waren und man sich da nicht an mit einem anderem Maß misst, aber der Vergleich scheint mir in so so vielen Dingen einfach wahnsinnig schief zu sein. Mal davon abgesehen, dass Anderson einer von wenigen Regisseuren ist, die ihren ganz eigenen Stil prägen und man da wirklich keine Vergleiche zu anderen ziehen kann.
Grand Budapest Hotel war ein derartiges Feuerwerk und auf so vielen Ebenen perfekt. Diese unglaubliche Bildgewalt, Detailliebe, Konseqeunz in der Umsetzung, die unfassbar genial ge- und überzeichneten Charaktere, dem perfekten Timing und ja, auch der Geschichte, die gänzlich auf den Baukasten verzichtet. Viel zu viel kann und muss man als Kritiker gut finden. Da ist doch jegliche Kritik an einer Vertiefung von Geschichte obsolet, weil es das nicht braucht und auch nicht passt. Traumfabrik hingegen scheint eben etwas blank dazustehen. Wieso nicht eine andere Romanze aufführen, die gelobt wurde und sich deiner Meinung nach nicht großartig von Traumfabrik unterscheidet?
btw: Liest sich jetzt so, als ob Grand Budapest Hotel für mich das non plus ultra wäre, aber nein, definitiv nicht.
16.07.2019 17:04 Uhr 6
Für mich ist "Traumfabrik" übrigens definitiv einer der interessanteren deutschen Kinofilme der letzten Zeit, gerade weil ich das Setting sehr spannend finde - aber ich muß zugeben, daß mich die sehr gemischten Kritiken dann doch verunsichert haben. Trotzdem hätte ich ihn letzte Woche fast angeschaut, als ich mit einer Freundin ins Kino ging, aber ihr war an dem Abend mehr nach Lachen als nach Romanze und so haben wir uns für "Long Shot" entschieden (und das nicht bereut) - wobei der ja leider auch jeden zusätzlichen Zuschauer dringend nötig hat ...
Mal schauen, ob ich es noch alleine in "Traumfabrik" schaffe, aber dummerweise bin ich momentan sowieso ziemlich im Rückstand (heute immerhin endlich "Rocketman" geschafft).