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Die Kritiker: «Smile»

Entspannung, Spaß und Zerstreuung auf einem Technofestival? Nein. «Smile» erzählt von einem Horrortrip.

Cast und Crew

  • Regie: Steffen Köhn
  • Buch: Silke Eggert, Steffen Köhn, Prodromos Antoniadis
  • Cast: Mercedes Müller, Hanna Hilsdorf, Mehmet Sözer, Christoph Bach, Julia Dietze, Catherine Flemming, Roland Korponovics
  • Kamera: Mario Krause
  • Schnitt: Leonardo Franke, Andrea Pek
  • Musik: Johannes Klingebiel
Jahr für Jahr zeigt das ZDF im Sommer mit der Programmreihe "Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten" eine Handvoll von Produktionen aus der ZDF-Redaktion "Das kleine Fernsehspiel", die von jungen Talenten erschaffen wurden und mit der Leinwand im Sinn entstanden sind. Die Bandbreite der Kinoauswertungen variiert allerdings. Während aus dieser "Shooting Stars"-Staffel etwa die Komödie «Lucky Loser» einen regulären Kinostart erhielt, blieb dies «Smile» verwehrt. Die etwa 75-minütige Techno-Schauermär, entstanden im Jahr 2017, lief zwar auf dem "Achtung Berlin"-Festival im Wettbewerb, doch dem allgemeinem Publikum wird der Film erst jetzt, durch seine TV-Ausstrahlung, zugänglich gemacht.

Die Geschichte des eingangs semi-dokumentarisch inszenierten Films beginnt, als die junge, überarbeitete Mercedes beschließt, ihrem Leben endlich wieder etwas Freude und Glück einzuverleiben, indem sie zum ersten Mal das sagenumwobene, deutsche Technofestival "Heimat" besucht. Insbesondere geht es ihr darum, einen DJ wiedersehen, den sie bei einem Gig in ihrer Heimatstadt kennengelernt hat.

Doch Mercedes verliert ihn rasch im Festivalgedränge aus den Augen, genauso, wie sie alsbald ihre Geduld mit dem komplizierten Bezahl- und Ränkesystem innerhalb der scheinbar perfekten Partywelt verliert. Zufällig lernt Mercedes jedoch die wilde und faszinierende Bella kennen, die Mercedes verspricht, mit ihr zur "Secret-Backstage" zu gehen, um DJ Boy zu suchen. Aber vorher tanzen sie, trinken, lachen und verlieren sich im Rhythmus der Beats – so sehr, dass Wirklichkeit, Traum und Drogentrip verschwimmen …

"Große Musikfestivals sind immer Utopien, eigene Welten, temporäre autonome Zonen, in denen all das Wirklichkeit werden soll, was wir im Alltag so schmerzlich vermissen: Zauber, Intimität, Kontrollverlust. Aber letztlich sind sie dann doch nur ein potenziertes Spiegelbild unseres Alltags", erläutert Regisseur und Ko-Autor Steffen Köhn seinen Film, der wie eine Doku über eine Festival-Erstbesucherin beginnt und sich nach und nach zu einem Techno-Mix aus «Alice im Wunderland» und «Dantes Inferno» entwickelt.

«Smile» vermischt dabei auch Elemente des Thrillers, da wir der unschuldig-naiven Mercedes dabei zusehen, wie sie sukzessive den Verstand verliert, und der Satire. Es gibt Seitenhiebe auf typische Festival-Charakterköpfe, die sich beim Feiern in wandelnde Klischees verwandeln, sowie auf die kommerzielle Ausnutzung dessen, dass ein Festival eine eigene, kleine Welt ist. Denn damit sind die Festivalbesuchenden den Festivalregeln hilflos ausgesetzt. Oder anders gesagt: Man muss auf einem Festival einfach für alles blechen.

Ein Element einiger Festivals, zunehmend aber von Technofestivals, ist auch die Einteilung der Besucherinnen und Besucher in verschiedene Klassen. Diesen Umstand behandelt «Smile» sowohl mit bissig-süffisanten Gags, als auch dramatisch, indem er zur Triebfeder für Mercedes' Höllentrip wird, die so verzweifelt Geborgenheit sucht, dass sie jegliche inneren Mechanismen aufgibt, die wir Menschen zur Erhaltung der eigenen Sicherheit (und somit des Wohlbefindens) besitzen.

Mercedes Müller spielt ihre Namensvetterin mit Charme, einer glaubwürdigen Unbefangenheit und überzeugender Verlorenheit, so dass man der Protagonistin abkauft, dass sie nicht energischer die Reißleine zieht, als die Stimmung auf dem Festival umkippt. Dennoch wird Mercedes' Irrfahrt gegen Beginn des dritten Akts durch einige Wiederholungen und die sehr gemächliche Schnittarbeit, die konträr zum rasanten Tempo der Musik steht, ermüdend. So sehr, dass sich «Smile» selbst mit weniger als 80 Minuten etwas gestreckt anfühlt. Die Bildsprache Köhns und seines Kameramanns Mario Krause ist allerdings berauschend und macht Lust auf mehr Projekte dieser jungen Talente.

«Smile» ist am 15. Juli 2019 ab 23.55 Uhr im ZDF zu sehen.
14.07.2019 11:06 Uhr Kurz-URL: qmde.de/110712
Sidney Schering

super
schade


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Lucky Loser Smile Alice im Wunderland Dantes Inferno

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