In den USA widmen sich eigene Sender 24 Stunden am Tag nur wahren Kriminalfällen. Wie die Anbieter an ihre Geschichten kommen und an die Fälle herantreten.
Seite 2
Netflix
Das Streaming-Portal Netflix erfreut seine Fans meist mit Zweitverwertungen anderer Fernsehstationen im Bereich True-Crime. Wenn es um Netflix Originals geht, wählt der On-Demand-Riese einen anderen Weg. Während die Zuschauer von ID und Oxygen massenweise Inhalte schauen können, war die Zahl der Netflix-Programme in der Vergangenheit eher überschaubar. „Wir haben uns in eine Richtung bewegt, in der sehr kühn und breit erzählt wird, statt der Sensation zu folgen oder Handlungen oberflächlich darzustellen“, sagte Lisa Nishimura, Leiterin der Programmplanung Dokumentation und Comedy bei Netflix.
Dass man keine Quotenvorgaben erfüllen müsse, verleihe dem Anbieter die Freiheit, komplexe und gewundene Geschichten zu präsentieren, die reich an Details und Nuancen sind. „Wir werden von der Qualität der Handlung getrieben und haben den Luxus der Zeit. Storys brauchen diese Zeit, damit man sie in ihrer ganzen Komplexität erzählen kann und so wie es meiner Meinung nach der Zuschauer auch verdient, sie zu erfahren“, so Nishimura. Sie setzt dabei nicht auf das Gut-gegen-Böse-Klischee, sondern stellt Geschichten mit moralischen Unklarheiten in den Fokus, bei denen der Zuschauer selbst entscheiden muss, was richtig und was falsch ist.
Netflix hat die Form der lang erzählten Krimiserie freilich nicht erfunden, HBO strahlte «The Jinx» schon Anfang 2015 aus, während das Unternehmen aus Los Gatos erst kurz vor Jahreswechsel damals den Markt erschloss, doch hat die Plattform einen erheblichen Vorteil: Binge-Watching. Dem Zuschauer ist es möglich, sich in wenigen Tagen komplett auf eine Handlung einzulassen und zudem kann er besondere Details nochmals anschauen. Statt sich auf die Sensationen in den Schlagzeilen zu stürzen, nehmen sich die Filmemacher Zeit, um ihre porträtierten Personen zu verstehen und nachzuvollziehen. Die Umstände werden genauso beleuchtet wie die Verbrechen selbst.
Ob sich Netflix auf dem True-Crime-Gebiet noch weiter vergrößert? Davon kann man durchaus ausgehen. Um weiteren Content zu generieren, schaut sich das Unternehmen auch auf dem Globus um, ein Beispiel ist hierfür die kürzlich angelaufene Serie aus Indien
«Delhi Crime», in der es um eine Vergewaltigung mit Todesfolge geht.
Lifetime
Anders als die Konkurrenten konzentriert sich Lifetime auf Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen und dabei häufig fiktionalisiert wurden. Somit sind ungelöste Fälle eher unpassend für den Sender. Mit
«The Keepers» produzierte der Sender aber auch eine Serie, die 20217 sehr erfolgreich lief und für einen Emmy nominiert wurde. Zuvor war Tanya Lopez, Head of Movies bei Lifetime, am gezeigten Fall der 1969 in Baltimore gestorbenen Nonne Cathy Cesnik interessiert, wusste jedoch nicht wie sie die ungelösten Ermittlungen in einen Film verpacken solle. „Es war faszinierend und funktioniert perfekt als Dokumentation, weil es dann mehr um die Ermittlungen ging, genau wie in Podcasts“, so Lopez. „Wenn man aber einen Film bei Lifetime schaut, hat man das Wissen, dass es ein Ende geben wird.“
Anders als ID und Oxygen beschränkt sich Lifetime nicht nur auf das Krimi-Genre, sondern zeigt unter anderem auch inspirierende glaubensbasierte Filme oder Musik-Filmbiographien. Trotzdem liegt der Film aus dem Jahr 2012
«Drew Peterson: Untouchable» mit Rob Lowe und Kaley Cuoco an der internen Senderspitze. Dieser erreichte ein Publikum von 5,75 Millionen Zuschauern. Lopez ist bei der Suche nach neuen Projekten immer auf neue Blickwinkel aus, aus der man das Geschehene betrachten kann. So nehmen die Filme des Öfteren die Opfer genauer unter die Lupe, statt die meist bekannten Täter in den Vordergrund zu stellen.
Interessanterweise war Lopez jedoch gegen die Aufnahme von
«New York Prison Break: The Seduction of Joyce Mitchell» in den Programmplan. „Wir haben gerungen, aber schlussendlich hat die Gruppe ja gesagt. Der Grund, warum ich desinteressiert war, ist, dass sie (die Großmutter, die zwei Sträflingen half zu entkommen, Anm. d. Red.) einfach dumm war. Ich finde es nicht schlimm, wenn eine Frau schlechte Entscheidungen trifft und daraus ihre Lehren zieht. Aber ich möchte nicht in einem Geschäft sein, in dem Geschichten über Frauen erzählt werden, die einfach dumm sind.“
Fazit: Ein Ende des True-Crime-Hypes ist nicht in Sicht, zu gut kommen die Formate bei den Zuschauern an. Festzuhalten ist zudem, dass das Genre sehr ergiebig ist und diverse Herangehensweisen zulässt. Es gibt eine unglaubliche Fülle an Geschichten und diese rufen trotz teilweise hohen Alters mancher Fälle noch einige Kontroversen auf. Bestes Beispiel dafür ist die Netflix-Doku-Reihe
«Conversations with a Killer: The Ted Bundy Tapes», welche Ende Januar an den Start ging. Die Zuschauer dürfen weiterhin gespannt sein, welche Fälle die Macher der Sender ausgraben und aufbereiten werden. Der Stoff wird wohl niemals ausgehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel