«127 Hours»-Regisseur Danny Boyle erzählt mit seinem neuen Film «Yesterday» von einer Welt, in der sich niemand an die Beatles erinnern kann – abgesehen von einem Hobbymusiker. Wir trafen Boyle in Hamburg, um über seine Bindung zu den Pilzköpfen zu sprechen.
Zur Person
- 1956 in England geboren
- Hatte seinen globalen Durchbruch mit «Trainspotting»
- Belebte 2002 mit «28 Days Later» das Zombiegenre neu
- Sein Film «Slumdog Millionär» räumte acht Oscars ab
- Unter anderem drehte er auch «Steve Jobs» und «127 Hours»
Seichte Frage zum Einstieg: Wie gefällt es Ihnen in Hamburg?
Oh, sehr gut. Es ist toll, dort zu sein, wo die Beatles ihr Können an ihren Instrumenten feingeschliffen haben. Denn das war wichtig, damit sie ihre Künste als Songschreiber entwickeln. Das tat Elvis ja nie: Wenn man an Leute denkt, die die Welt verändert haben, indem sie die Popmusik groß machten, würden ja viele, vor allem Amerikaner, Elvis sagen. Aber: Elvis hat nie selber geschrieben. Er war ein
Performer. Die Beatles hingegen haben als Performer begonnen und wurden zu
den Popmusikschreibern, auf denen alle anderen aufbauen. Und das hat alles hier seinen Anfang genommen. Ich finde das spannend!
Sehen Sie sich eigentlich als Beatles-Fan?
Richard Curtis, der Drehbuchautor von «Yesterday» – der ist ein Beatles-
Narr! Er weiß
alles über sie. Wenn Sie mir nun eine Straße nennen, in der die Beatles in Hamburg mal übernachtet haben, er würde Ihnen einen Schwank darüber erzählen. Ich dagegen, wenn ich ehrlich bin: Ich war stets mehr ein Bowie- und Led-Zeppelin-Typ. Die waren es, die mich in meiner Jugend geformt haben. Und von denen fand ich zum Punk, was mich später in meinem Leben enorm beeinflusst hat.
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Sie kennen doch sicher dieses Foto von vier schreienden Mädels, die die Beatles anhimmeln? [...] Diese vier Mädchen haben die Geschichte verändert. Sie sind genau so wichtig, wie sie damals als hysterisch beschimpft wurden. Denn sie waren es, die die Musik der Beatles in die Schlagzeilen drängten.
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Danny Boyle
Aber ich habe sehr wohl Kindheitserinnerungen an die Beatles. Ich war sieben Jahre alt, als sie in Großbritannien ihren Boom hatten, und meine Eltern haben sie viel gehört. Und meine Zwillingsschwester war in Paul McCartney verknallt, weshalb sie ihn immer gespielt hat, während wir die Musik gehört haben. Ich war John Lennon, meine jüngere Schwester spielte immer George oder Ringo. Und ich erinnere mich, dass ich sie später mehr gemocht habe, als ihre Musik komplexer, kultivierter wurde. Aber ich lernte etwas, während ich diesen Film gemacht habe: Sie kennen doch sicher dieses Foto von vier schreienden Mädels, die die Beatles anhimmeln? Wir zeigen das Bild in «Yesterday» auch kurz, und mir wurde während der Produktion bewusst: Diese vier Mädchen haben die Geschichte verändert.
Sie sind genau so wichtig, wie sie damals als hysterisch beschimpft wurden. Denn sie waren es, die die Musik der Beatles in die Schlagzeilen drängten. Dadurch, dass das Verhalten dieser Mädchen in den Nachrichten kritisiert wurde, zwangen sie die Gesellschaft dazu, dass sie die Musik der Beatles intensiv behandelt. So veränderten sie die Gesellschaft. Das ist außerordentlich. Es mag vermessen klingen, aber sie sind in meinen Augen so einflussreich wie der Fall der Mauer. In einer umfassenden Geschichte der Welt, sollten diese Mädels eine Kapitelüberschrift sein. Sie brachten eine Bewegung ins Rollen, durch die sich Jugendliche weigerten, zur Armee zu gehen, sich den Eltern unterzuordnen und die für sie vorgesehenen Jobs zu übernehmen. Themen wie Liebe und Kunst wurden gesellschaftlich wichtiger und geschätzter – und so entstand eine ganze Industrie rund um Kunst, die seither global enormen Einfluss hat. Faszinierend, nicht?
In der inneren Logik des Films: Existiert dort der Rolling-Stones-Song "I Wanna Be Your Man"? Denn die Stones existieren in «Yesterday» noch, aber dieser Song wurde von John Lennon und Paul McCartney geschrieben …
(lacht) Das Konzept der Geschichte ist schon ein lustiges Gedankenexperiment, oder? Wenn man das ernst nimmt – dann ist das ein unmöglicher Mindfuck.
Würden Sie als Filmemacher sagen, dass Musik Dinge bewegen kann, die Filme nicht bewegen können?
Ich muss meine Vorliebe zur Musik enthüllen, um ehrlich zu sein: Musik kann dich so transformieren, dass du dich nicht dagegen wehren kannst – Film kann das nicht, jedenfalls nicht derart intensiv. Es klingt albern, auch wenn ich es ehrlich meine: Ich glaube, dass Musik schon in unserer DNA schlummert. Überlegen Sie mal: Wenn man ein wichtiges, großes Musikstück wie Mozarts Klarinettenkonzert oder Beethovens Neunte erstmals hört, fühlt man, dass man es schon immer gekannt hat, dass es zu einem gehört. Vielleicht findet man in 200 Jahren heraus, dass das so ist, dass gewisse kulturelle Werke schon immer in uns schlummerten – ich könnte mir das vorstellen.
Jedenfalls: Daher, dass ich das glaube, ist es wohl einleuchtend, dass ich Musik für wesentlich mächtiger halte als Filme. Daher habe ich in meiner gesamten Karriere Musik sehr großzügig verwendet, um etwas dieser Kraft der Musik in meine Filme zu bringen. Musik beeinflusst nicht nur die Szene, in der du sie nutzt. Sie beeinflusst deine ganze Filmästhetik und deine Herangehensweise an deine Themen. Punk und britische Housemusik sind weiterhin meine wichtigsten Inspirationsquellen als Filmschaffender.
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Ich denke erst dann bewusst über die Filme nach, wenn ich danach über sie spreche. Es ist wie verhext: Man versucht, sehr intelligent darüber zu reden, was man gemacht hat, haarklein seine Entscheidungen zu analysieren. Und dann geht man an sein nächstes Projekt heran – und alles ist weg.
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Danny Boyle
Ist es daher eine andere Erfahrung, mal einen Film über Musik zu inszenieren statt einen Film mit Musik zu drehen?
Ja. aber ich kann kaum sagen, inwiefern. Es ist eine unterbewusste Sache. Ich denke erst dann bewusst über die Filme nach, wenn ich danach über sie spreche. Es ist wie verhext: Man versucht, sehr intelligent darüber zu reden, was man gemacht hat, haarklein seine Entscheidungen zu analysieren. Und dann geht man an sein nächstes Projekt heran – und alles ist weg, du entscheidest wieder rein intuitiv. Jetzt bei «Yesterday» zum Beispiel: Es kommen 15 Beatles-Songs prominent im Film vor, und ich wollte nicht, dass es langweilig wird. Beim Casting war dem aber so: Egal, wer die Lieder gesungen hat, irgendwann wurde es öde. Nur bei Himesh Patel ist das nicht passiert, weshalb ich ihm die Rolle gegeben habe. Aber ich kann nicht erklären, weshalb es bei ihm anders ist.
Ich würde Ihren Regiestil üblicherweise als sehr kinetisch beschreiben – «Yesterday» dagegen ist eher ruhiger geraten. War das eine bewusste Entscheidung von Ihnen oder hat sich das auch intuitiv ergeben?
Beides, würde ich sagen. Ich denke, dass es sich ganz natürlich aus dem Skript ergeben hat, aber ich habe es mir auch vorgenommen. Die Sache mit Romantikkomödien ist: Sie sehen mühelos aus – aber das liegt daran, dass es so sein muss. Man genießt sie nicht, wenn man sich nicht bei ihnen entspannen kann. Und Richard Curtis hat das perfektioniert: Er hat eine ganze Karriere in dieser tonalen Zone verbracht, dieser köstlichen Mischung aus Humor und Romantik. Und davor muss man einfach den Hut ziehen. Es ist so unfassbar schwer, das so hinzubekommen, wie Richard. Und daher wusste ich, dass ich mich bei «Yesterday» in diese Zone begeben muss, was mir große Freude bereitet hat.
Aber was auch ich erst beim Dreh realisiert habe: Etwas, was dir dieses Gefühl der Entspannung verschafft, ist es, viele Two Shots und Three Shots zu verwenden, in denen die Figuren zusammen im Bild sind und es ihnen gestattet ist, miteinander zu sprechen. Diese Einstellungen dürfen dann auch gern länger sein. Was Sie meinen, was ich meistens mache, drängt dagegen: Mehr, und auffällige Schnitte, aufregendere Blickwinkel. Das ist schon eine ganz andere filmemacherische Werkzeugkiste, und damit umzugehen, musste ich mir durchaus während des Drehs drauf schaffen. Und was ich gehofft habe, ist, dass ich Richards märchenhafter Tonalität gerecht werde, ihr aber auch etwas Neues abzugewinnen verstehe. Aus ähnlichem Grund möchte ich unbedingt auch eines Tages ein richtiges Musical inszenieren.
«Yesterday» ist ab dem 11. Juli 2019 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
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05.07.2019 17:58 Uhr 1