Die einst visionäre Science-Fiction-Anthologie wird in immer mehr Rezensionen abgestraft. Wie gut sind die drei einstündigen neuen Folgen der Dystopie-Serie?
Facts zum Format:
- Genre: Science Fiction/Satire/Thriller/Drama/Schwarze Komödie
- Idee: Charlie Brooker
- Ursprungsland: Großbritannien
- Executive Producer: Charlie Brooker & Annabel Jones
- Episodenzahl: 22 (5 Staffeln)
- Laufzeit: 41-89 Minuten
- Weltpremiere: 4. Dezember 2011 (Channel 4)
- Bei Netflix seit: 2016
«Black Mirror» kennzeichnet in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme-Serie. Die ursprünglich 2011 beim britischen Channel 4 erschienene Produktion war eine der ersten Anthologie-Serien der neuen Generation, noch bevor dieses Sendeformat, in dem Sendungen pro Folge oder pro Staffel komplett neue Geschichten erzählen, so richtig an Beliebtheit gewann. Des Weiteren verfügte «Black Mirror» für eine Fernsehserie über eine erstaunlich niedrige Episodenzahl – nur je drei Folgen erschienen in den ersten zwei Staffeln. Der Inhalt war dafür umso reichhaltiger, denn das Format, in dem technische Entwicklungen in jeder Folge auf dystopische Art und Weise weitergedacht werden, galt unter Kritikern als visionär.
Die Episoden handelten von pervertierten Formen von Casting-Shows oder von Gerätschaften, die es erlauben, alle jemals erlebten Momente noch einmal abzurufen. Von Fernsehformaten, in denen Verbrecher für ihre Taten bestraft werden, von synthetischen Wiedergängern verstorbener Personen oder von Welten, in denen der Wert eines Menschen nur durch dessen Social-Media-Likes gemessen wird. Die teilweise sehr düsteren und abgedrehten Zukunftsvisionen stammten allesamt aus der Feder von Autor Charlie Brooker, der bald als Genie gefeiert wurde. Doch nach zwei Staffeln mit sechs Folgen und einem Special ging es bei Channel 4 nicht mehr weiter – auch weil die Serie mit stets hohem Produktionswert aber derart geringer Episodenzahl nicht wirklich für lineares Fernsehen taugte.
Netflix sprang in die Bresche und verdoppelte sogleich die Episodenzahl pro Staffel, was auch das Hit-und-Miss-Risiko des Formats erhöhte, denn durch den Anthologie-Charakter fing im Grunde jede Episode bei Null an und musste aus sich heraus überzeugen. Noch mehr Prämissen eines Formats zu entwickeln, das so sehr von innovativen Ideen lebt, führte zwangsläufig zu einzelnen Ausgaben, die nicht mehr überzeugen konnten. Spätestens seit dem Netflix-Start bewerteten viele Rezensenten die Serie immer weniger überschwänglich. Der Zenit der Kritik war schließlich erreicht, als Ende 2018 die interaktive Film-Auskopplung «Bandersnatch» erschien, die aus Formatsicht zwar erneut bahnbrechend war, aber inhaltlich nur wenige Zuschauer überzeugte.
Kritiker-Score der Staffeln
- Staffel 1: 97%
- Staffel 2: 87%
- Staffel 3: 94%
- Staffel 4: 86%
- Staffel 5: 64%
Rotten Tomatoes
Ein halbes Jahr dauerte es nach dem aufwendigen Film, bis die fünfte Staffel der Serie am 5. Juni endlich bei Netflix erschien. Diesmal erschienen wie damals bei Channel 4 nur drei neue Episoden, die dafür alle über eine Stunde Laufzeit innehatten. Zur Ernüchterung von Netflix nahmen Zuschauer diese neuen Folgen allerdings sehr gemischt auf, sogar kritischer denn je. «Black Mirror» habe nichts mehr zu sagen, hieß es häufig, und die Hit-Rate sei schlechter denn je. Ist die Kritik gerechtfertigt? Wir blicken in Kurz-Kritiken auf die drei neuen «Black Mirror»-Folgen.
“Striking Vipers”
Die mit «Avengers»-Star Anthony Mackie besetzte Auftaktfolge „Striking Vipers“ handelt von Liebe im digitalen Zeitalter. Die alten College-Freunde Danny und Karl treffen sich darin in der Neuauflage ihres Lieblingsspiels „Striking Vipers“ wieder, ein Pendant zu spielen wie „Street Fighter“, in deren Rahmen Spieler sich mit virtuellen Charakteren verprügeln müssen. Die Technik macht es mittlerweile allerdings möglich, dass die Spieler auch tatsächliche körperliche Gefühle beim Zocken verspüren, was beim Familienvater und dem Frauenheld zu einer ungeahnten Wendung führt - nämlich zu einer virtuellen Affäre der beiden Männer im Spiel…
Das Staffeldebüt ist toll produziert, kennzeichnet einen klassischen «Black Mirror»-Ansatz und regt zum Nachdenken an, was mithilfe von Virtual-Reality-Technik noch alles möglich sein könnte. Doch von diesem sehr spannenden Ausgangspunkt geht es stetig bergab, denn aus dem sehr ambitionierten inhaltlichen Ansatz macht die Episode viel zu wenig. Die Perspektive auf Midlife-Krisen, wie sie Filme wie «American Beauty» bereits um Welten besser ausgeführt haben und die Exploration, wie interpersonelle Sexualität in einem virtuellen Raum aussehen könnte, hätte weitere Facetten benötigt und hat innerhalb seiner langen Laufzeit viel Leerlauf, aber nur wenige Ideen, wie der Grundkonflikt der Geschichte einfallsreich aufgelöst werden könnte.
Note: 3-
“Smithereens“
„Smitheerens“ heißt die wohl am positivsten aufgenommene Episode der neuen Staffel, in der ein Taxifahrer in London den Mitarbeiter eines ungemein populären Social-Media-Konzerns als Geisel nimmt, um ein Gespräch mit dem Erfinder der Plattform zu erzwingen. Das Lob, das „Smithereens“ erhielt, rührt allerdings nicht von der außergewöhnlichen Prämisse der Folge her, denn diese ist tatsächlich sehr vorhersehbar und gewöhnlich – selbst der für «Black Mirror» charakteristische Twist lässt sich spätestens nach der Hälfte der Folge erahnen. Es geht um die Folgen von Social-Media-Sucht und um die Übermacht datensammelnder Social-Media-Firmen wie Facebook. Das wahre Highlight der Folge ist der grandios aufspielende Andrew Scott («Sherlock») als verzweifelter und unberechenbarer Taxifahrer mit tragischer Vergangenheit.
Die Serienwelt ist ohnehin gerade ein bisschen verliebt in Scott, nachdem er als Priester schon im britischen Hit «Fleabag» eine Paraderolle spielte. Gleichzeitig entfernt sich «Black Mirror» in der Folge aber von seinem typischen Technik-Bezug und zeigt, wie die Zukunft des Formats aussehen könnte, dem langsam die innovativen Ideen ausgehen. Deswegen ist „Smithereens“ auch wesentlich herkömmlicheres Fernsehen, das weniger auf Sci-Fi und mehr auf dramatische Intensität und gute Schauspielleistungen setzt, aber dennoch tolle Serien-Unterhaltung.
Note: 2
"Rachel, Jack and Ashley, too"
Die dritte Episode im Bunde erregte schon allein deshalb vorab das öffentliche Interesse, weil bekannt wurde, dass Popstar Miley Cyrus eine Rolle übernehmen würde. Passenderweise spielt sie Popstar, der ihrer echten Bühnenperson gar nicht so fremd ist: Eine schöne, liebliche Projektionsfläche für verunsicherte junge Frauen, die im Hintergrund von einem eiskalten Management zur Perfektion getrimmt wird. Auch eine verunsicherte Teenagerin ist ein großer Fan von Popstar Ashley O, von der bald ein besonderer Fanartikel erscheint – und zwar ein kleiner Roboter, dem das Bewusstsein des echten Popstars eingepflanzt wurde, damit Fans mit der Puppe kommunizieren können. Als die echte Ashley O in Lebensgefahr schwebt, wollen die entfremdeten Schwestern Rachel und Jack sie retten.
Der Staffelabschluss beinhaltet (zu) viele ansprechende Ideen und bringt Charlie Brookers Lieblingsthema zurück, nämlich menschlichen Verstand in digitaler Form zu kopieren. Letztlich kommt „Rachel, Jack and Ashley, too“ aber nur als chaotischer Mix aus verschiedenen unausgearbeiteten Ansätzen daher. Geht es um die exploitative Musik-Industrie, Identitätsfindung von Teenagern oder den Kampf um Autonomie in digitalen Zeiten? Keiner kann es wirklich sagen und nur vereinzelt gräbt sich die Folge in Themen ein, die es wirklich wert sind, verhandelt zu werden. Mit der Ausgabe setzte sich «Black Mirror» sicher auch zum Ziel, aus dem klassischen Episoden-Rezept auszubrechen. Denn statt des stets düsteren Untertons, der auf eine Katastrophe zusteuert, handelt es sich hierbei um ein häufig albernes Teenie-Sci-Fi-Abenteuer mit überzeichneten Bösewichten und Happy End. Immerhin versöhnen die Schauspielleistungen von Angourie Rice und Miley Cyrus für den Disney-Channel-artigen Ansatz, der nie spaßig genug oder reichhaltig genug ist.
Note: 4-
Fazit: Angesichts der niedrigeren Episodenzahl und einer noch schlechteren Trefferquote als zuvor, muss sich «Black Mirror» tatsächlich deutlich mehr Kritik gefallen lassen. Man merkt, dass es Autor Charlie Brooker zunehmend schwerfällt, neue Ansätze in einer technologischen und digitalen Welt zu finden, die sich seit dem Serienstart im Jahr 2011 inhaltlich nicht nur stark verausgabte, sondern teilweise auch von den tatsächlichen technologischen Entwicklungen eingeholt wurde. Daher ist es bezeichnend, dass die beste Folge der Staffel ein Kurzfilm ist, der mit dem klassischen «Black Mirror» gar nicht so viel gemein hat und dass die Meditation auf technologische Dystopien in den anderen Folgen unausgegoren wirken.
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