Zur Seite mit dir, «Bohemian Rhapsody»: So würdigt man einen schillernden, talentierten Musiker!
Filmfacts «Rocketman»
- Regie: Dexter Fletcher
- Produktion: Adam Bohling, David Furnish, David Reid, Matthew Vaughn
- Drehbuch: Lee Hall
- Darsteller: Taron Egerton, Jamie Bell, Richard Madden, Bryce Dallas Howard
- Musik: Elton John, Bernie Taupin, Matthew Margeson
- Kamera: George Richmond
- Schnitt: Chris Dickens
- Laufzeit: 121 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Das musikalische Biopic «Bohemian Rhapsody» über Queen-Frontman Freddie Mercury mag mit über 900 Millionen Dollar Einspielergebnis und sogleich mehreren Oscar-Gewinnen (darunter für Rami Malek in der Hauptrolle) ein stattlicher Erfolg sein. Jedoch gab es nicht wenige Stimmen, die «Bohemian Rhapsody» dafür kritisiert haben, dass ausgerechnet jemand so exzentrisches und geniales wie Freddie Mercury ein erzählerisch und handwerklich so steifes, stereotypes Filmwerk gewidmet bekam. Jetzt folgt mit «Rocketman» ein weiteres Biopic über einen britischen Exzentriker, der der Musikwelt seinen schillernden Stempel aufgedrückt hat – und erneut saß Dexter Fletcher auf dem Regiestuhl. Während der «Eddie the Eagle»-Regisseur bei «Bohemian Rhapsody» allerdings nur in den letzten Zügen der Produktion für den gefeuerten Bryan Singer eingesprungen ist, hatte Fletcher bei «Rocketman» durchweg die Zügel in der Hand. Und dieses Mal lieferte er ein denkwürdiges sowie schillerndes biografisches Musical ab, das dem Mann, dem Musiker, dem Paradiesvogel Elton John vollauf gerecht wird.
Bereits die allererste Szene gibt für den Rest von «Rocketman» den Takt an: Der von «Kingsman»- und «Eddie the Eagle»-Hauptdarsteller Taron Egerton verkörperte Elton John stolziert im glitzernden, funkelnden Teufelskostüm einen Gang entlang. Einen Gang, der ihn zu einer Selbsthilfegruppe führt, mit der er einen Drogenentzug vollziehen will. Damit macht Fletcher deutlich, dass «Rocketman» trotz der Beteiligung Elton Johns als Produzent nicht zimperlich mit seinem Protagonisten umgeht, sondern auch die Schattenseiten seines Rockstarlebens aufzeigt – ohne dabei seine bunte Seite unter den Teppich zu kehren. Auf Basis eines Drehbuchs aus der Feder von Lee Hall spinnt Fletcher viel mehr ein aus Elton-John-Songs bestehendes Jukebox-Musical, das nach den inneren Gesetzen eines Musicals von Johns Raketenstart ins Showgeschäft und seinem kometenhaften (zwischenzeitlichen) Absturz berichtet.
Vor allem die zweite Filmhälfte gleicht einer emotionalen Tortur: Der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene, leicht pummelige Reginald Dwight und seine Bühnenpersona Elton John wachsen auseinander – während er auf der Bühne den schimmernden, grinsenden Clown gibt, ist er abseits der Bühne ein nervliches und emotionales Wrack, das sich mit Drogenexzessen durch den Tag rettet und seine enge Freundschaft zu seinem Texter Bernie Taupin (Jamie Bell) aufs Spiel setzt, bloß weil er mit gut gemeinten Ratschlägen sein elefantöses Ego verletzt hat.
All dies vermittelt Fletcher in einer Vielzahl an oftmals kurzen, aber sehr prägnanten Musicalsequenzen, die Elton-John-Hits neu interpretieren. Die Filmsequenz zum titelgebenden Kassenkracher "Rocketman" etwa komprimiert Johns dunkle Phase des traurigen Popclowns zu einem hypnotischen Sog hinein in seine verzerrte Wahrnehmung: Innerhalb weniger Augenblicke wird aus einem Suizidversuch und anschließendem Krankenhausaufenthalt ein umjubelter Stadionauftritt in Glitzertrikot, den er mit gewinnendem Lächeln hinter sich bringt. Allein schon die, anders als im zuweilen heillos hektischen Oscar-Gewinner «Bohemian Rhapsody», meistens rhythmisch gehaltene Schnittarbeit von Chris Dickens, verstärkt die erzählte Achterbahnfahrt eines Rockstarlebens. Nicht zuletzt auch, weil sie in gezielt gewählten, einzelnen Musikeinlagen (wie etwa "Rocketman" und dem Johns ungehaltene Jugendjahre repräsentierenden "Saturday Night's Allright (For Fighting)") völlig unsichtbar wird.
Noch mehr ist es aber Taron Egertons Performance, die uns so unmittelbar an Elton Johns tumultartigsten Jahren teilhaben lässt: Der junge Brite liefert eine magnetische Darbietung ab, die mit großer Ausdruckskraft verdeutlicht, wie zermarternd, erfüllend, süchtig machend und auch befreiend das Leben im Scheinwerferlicht sein kann. Aber nicht bloß in den zerrissenen Momenten, auch in den losgelöst-frohen und den gelegentlichen kleinlauten Augenblicken begeistert Egerton, der obendrein sämtliche Musiknummern selbst eingesungen hat und dabei erstaunlich nah an Elton Johns Originale herankommt.
Neben Egerton fallen auch Jamie Bell, Richard Madden als schmieriger Manager und Johns vorübergehende Affäre John Reid sowie Bryce Dallas Howard als seine stets zwischen Fürsorglichkeit und Ignoranz changierende Mutter besonders auf. Der Rest des Ensembles macht derweil nicht auf sich aufmerksam, hätte dazu aber auch eh nicht die Gelegenheit, weil die wunderbar exzentrischen Kostüme, die stilisierte Farbpalette und die energiereichen Choreografien deutlich stärker im Mittelpunkt stehen. Die erste Filmhälfte bietet dahingehend die größere Anzahl an beeindruckenden Anblicken, dafür fällt sie eher einer kleinen Handvoll an Musiker-Biopic-Konventionen anheim, wie etwa dem Zigarren fast schon mampfenden, ahnungslosen, aber großspurigen Plattenboss.
Im Großen und Ganzen aber tänzelt «Rocketman» dank seiner träumerischen Musicallogik um die typischen Makel von Musiker-Biopics herum: Wenn hier ein Konzertpublikum erstmals einen späteren Welthit hört und prompt total ausflippt und unisono im Takt tanzt, ist das
nicht mit dem in «Walk Hard» parodierten Genreklischee gleichzusetzen, da wir uns in einem Film befinden, in dem sich Massen sowieso perfekt choreografiert zu Musik bewegen und die Texte zu gerade angestimmten Lieder in- und auswendig kennen. Und anders als bei «Bohemian Rhapsody», wo sich manche Queen-Fans sowie Teile der Kritikerzunft über historische Ungenauigkeiten beklagt haben, dürfte sich bei diesem überdeutlich fiktionalisiertem "Elton Johns Leben, erzählt in Elton-John-Liedern"-Konzept niemand beschweren, wenn Elton John "Saturday Night's Allright (For Fighting)" bereits als kleiner Bube in einem Pub spielt oder "Candle in the Wind" lange vor seinem Durchbruch als spontanen instrumentalen Einfall anstimmt.
Und besser könnte «Rocketman» wohl kaum ein filmisches Denkmal für Elton John setzen. Statt spröde sein Leben von Kindheit bis heute nachzuerzählen, fängt es die Essenz seines Bühnenwesens und seines wilden Lebens ein, indem es seine und Bernie Taupins Songklassiker stolz und voller ansteckender Energie hinaus schmettert. Kurzum: «Rocketman» ist ein Fest für Elton-John-Fans und für alle, die seinem Schaffen noch nicht verfallen sind, ein mitreißender Anstoß für eine Neuentdeckung des Superstars.
Es gibt 8 Kommentare zum Artikel
05.04.2021 16:51 Uhr 6
06.04.2021 09:53 Uhr 7
06.04.2021 10:25 Uhr 8
Boris Becker bekommt ja auch eine Art von Biopic und der gute BummBumm lebt ja auch noch... Und zu Deiner Beruhigung: er war definitiv kein homosexueller Knabe...