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Popcorn und Rollenwechsel: Drei «Avengers || Endgame»-Spoilergedanken

Nach dem Rekorde in ihre Atome zerlegenden «Avengers || Endgame»-Startwochenende ist es Zeit, offener auf das Superheldenepos einzugehen. Also: Vorsicht, Spoiler, diese Kolumne erst nach dem Kinobesuch lesen!


Marvel hat sein Publikum verzogen


Filmfacts: «Avengers || Endgame»

  • Regie: Joe & Anthony Russo
  • Drehbuch: Christopher Markus & Stephen McFeely
  • Produktion: Kevin Feige
  • Darsteller: Robert Downey junior, Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Joahnsson, Jeremy Renner, Don Cheadle, Paul Rudd, Brie Larson, Karen Gillan, Danai Gurira, Bradley Cooper, Gwyneth Paltrow, Josh Brolin
  • Kamera: Trent Opaloch
  • Schnitt: Jeffrey Ford, Matthew Schmidt
  • Musik: Alan Silvestri
  • Laufzeit: 182 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
«Avengers || Endgame» hat entgegen der Gewohnheit für Marvel-Studios-Filme keine Bonusszenen, sei es mitten im oder nach dem Abspann. Es ist nicht das erste Mal, so kommt in «Der unglaubliche Hulk» das, was eine typische Post-Abspann-Szene wäre, als Nachklapp unmittelbar nach dem Ende der Haupthandlung, also noch vor dem Abspann. Abseits der USA und Kanda kam der erste «Avengers» noch ohne die nunmehr legendäre Shawarma-Szene in die Kinos und «Avengers: Age of Ultron» hat eine Bonusszene in der Mitte des Abspanns, aber keine nach ihm. Diesen Ausnahmen zum Trotz haben die Marvel Studios ihrem Publikum antrainiert, den Abspann zu gucken und dafür eine Bonusszene zu erhalten. Diese Konditionierung sorgt nun vereinzelt für Enttäuschung: Im Kino habe ich mehrmals ein paar enttäuschte Ausrufe vernommen, dass es Verarsche sei, dass nichts mehr kommt.

Das ist Schwachsinn: «Avengers || Endgame» erzählt eine (insbesondere für dieses Genre) emotionsgeladene Geschichte und rundet mehrere figurenbezogene Handlungsstränge ab, der Film beendet lang ausgeführte Konflikte innerhalb des Marvel Cinematic Universe. Diese erzählerische Schwere zu verwässern und irgendeinen Comedy-Nachklapp oder einen Vorgeschmack auf kommende Filme in den Abspann zu klatschen, würde «Avengers || Endgame» kreativ schmälern. Aber Teile der Marvel-Fanbase sind durch die bisherige Masse an Bonusszenen verzogen und quengeln daher nach einem erzählerischen Mammutwerk von einem Film, dass sie auch noch einen Lolli geschenkt bekommen müssen. Seufz. Schade drum.

Türen, die offen gehalten werden


Obwohl «Avengers || Endgame» ein Ende darstellen soll, und sich darin zu Höhen aufschwingt, die einem Serienfinale würdig wären, ist es schlussendlich "nur" ein MCU-Staffelfinale. Die Saga rund um die Infinity Steine, Thanos und die ursprüngliche, sechsköpfige Heldengruppe, die sich um Iron Man gebildet hat, ist abgeschlossen. Aber Phase vier steht bereits auf der Matte, Black Panther, Spider-Man, Doctor Stange, Captain Marvel und Co. warten auf ihren zweiten Solofilm innerhalb des Marvel Cinematic Universe, die Guardians of the Galaxy derweil auf den Abschluss ihrer Trilogie. Kurzum: Marvel will die Fallhöhe eines großen Finales und dennoch das erschaffene Filmuniversum in Bewegung halten. Wie elegant lässt sich das lösen?

Das wird natürlich stark im Auge der Betrachterin und des Betrachters liegen, aber ich zumindest bin eh ein Freund davon, wenn Geschichten enden, nicht aber den Eindruck erwecken, als würde somit auch der gesamte Serien- oder Filmkosmos in eine Starre verfallen. Es ist in meinen Augen schöner, zu sehen, dass eine Erzählung abgerundet wird, sich aber Dinge, die leicht außerhalb des narrativen Schwerpunkts liegen, weiterhin bewegen. Es darf sich nur nicht wie ein billiger Cliffhanger anfühlen. «Avengers || Endgame» schafft diese Balance: Die Reise für Tony Stark und Steve Rogers, die beiden Stützpfeiler des bisherigen MCU, hat ihr Ende gefunden, der Kampf um die Infinity-Steine ist ebenfalls beendet, und Oberschurke Thanos ist besiegt, was die Russos alles mit Finalität inszenieren und die Autoren McFeely & Markus auch schön sowie deutlich abrunden.

Dass nach dem emotionalen Hammer des «Avengers || Endgame»-Finales gezeigt wird, dass Thor nun mit neuen Freunden unterwegs ist, die Asgardianer eine neue Person an ihrer Spitze haben und dass die Guardians of the Galaxy weiterhin eine sarkastisch, fast zynische, aber auf schräge Art funktionierende Familie sind, ist natürlich ein Wink, in welche Richtung Phase vier des MCU gehen wird. Aber würde man nach «Avengers || Endgame» nie mehr in einen Marvel-Film gehen, hätte man dennoch ein definitives Ende, statt den Nachhall unbeantworteter Fragen zu vernehmen. Wir müssen Thors weitere Abenteuer und das kommende Chaos der Guardians nicht sehen – theoretisch lassen sich diese Szenen auch als "Und sie neckten sich bis an ihr Lebensende" verstehen, was für diese Figuren ein passender Abschluss ist.

Ein bisschen mehr Respekt für die Autoren, bitte


Nun gut, wollen wir es nicht dramatischer machen als es ist: «Avengers || Endgame» gehört zu den am besten bewerteten Superheldenfilmen bei Rottentomatoes und nicht wenige Kolleginnen und Kollegen loben in ihren Reviews auch explizit das Skript. Dessen ungeachtet gibt es noch immer einige Stimmen, die «Avengers || Endgame» als lautes, dummes Spektakel abtun, bei dem Effekte und Action, nicht aber das Drehbuch zählen. Was die Frage aufwirft: Was haben diese Leute während der ersten Stunde dieses Films bitte getan? Noch in der Lobby gequatscht?

Es existiert einfach ein Bias: Wenn auffällig kostümierte Menschen und sprechende, nicht-menschliche Wesen über absurde, unrealistische Dinge diskutieren und das alles in eine große Schlacht mündet, kann es große Kunst sein, wenn es auf einem Klassiker der Fantasyliteratur basiert. Stützt es sich auf Superheldencomics, ist es erstens kindisches Gewäsch und zweitens läppisch geschrieben. Unfug! Wie Christopher Markus & Stephen McFeely in diesem Film ein großes Ensemble bewegen und wie sie ausbalancieren, der desaströsen Gefühlslage ihrer Figuren gerecht zu werden und dennoch Spaß aus einem absurden Sci-Fi-Konzept zu ziehen – das fällt nicht vom Himmel. Das ist minutiöse, schwere Skriptarbeit. Allein die dialoggetriebene Kompetenzabsteckerei in der Szene, in der sich die verbliebenen Avengers und Captain Marvel besser kennenlernen, ist überaus stark geschrieben:

Sehr effizient werden die großen Egos aller beteiligten Figuren bedient, ihrer unterschiedlichen Zugänglichkeit neuen Teamkollegen gegenüber Tribut gezollt und eine effiziente, inhaltlich plausible Lösung dafür gefunden, weshalb eine zielstrebige Zweck-Teamgemeinschaft erstellt wird. Würden nur ein paar Halbsätze in dieser Szene fehlen oder aber harscher oder freundlicher ausfallen, würde sie in sich zusammenfallen und damit auch die nächsten paar Sequenzen.

Rein strukturell ist es dagegen unter anderem beeindruckend, wie Markus & McFeely das Zeitreisekonzept aufbauen und damit wiederum ihre optimistische Auflösung des niederschmetternden «Avengers | Infinity War»-Endes rechtfertigen: Wir sehen die Überlebenden deprimiert, alles zu diesem Zeitpunkt in ihrer Macht stehende tun, um Thanos zur Rechenschaft zu ziehen. Sie versuchen danach, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen. Dann wird der Gedanke einer Zeitreise erst von den Figuren selbst als Quatsch abgetan, dann genau analysiert, daraufhin wird sie erst emotional verankert (dadurch, dass Hawkeye ein Beinahewiedersehen mit seiner Familie feiert) und dann als aus reiner Entertainmentsicht lohnenswert gezeigt (da wir als nächstes zurück zu einer ikonischen «Avengers»-Szene reisen). Es folgen immense Komplikationen für unsere Helden und selbst nach dem erfolgreichen Abschließen der Zeitreise kommen weitere Rückschläge.

Wenn es dann endlich zum Wiedersehen mit verloren geglaubten Heldinnen und Helden kommt, ist es nicht etwa das feige Rückgängigmachen des «Avengers | Infinity War»-Schocks. Es ist ein immenser emotionaler Payoff; unsere Figuren haben es sich redlich verdient, ein großes Stück ihres Kummers zu verlieren und wir im Saal haben so sehr mitgelitten, dass selbst jemand wie ich, der nach «Avengers | Infinity War» so sehr hoffte, dass dieser Status quo Bestand hat, diese Wende zum Glücklichen gefeiert hat. Aber, klar, alles nur Lärm, bei dem sich die Autoren keine Gedanken machen mussten …
29.04.2019 14:03 Uhr Kurz-URL: qmde.de/108947
Sidney Schering

super
schade

72 %
28 %

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Tags

Popcorn Marvel Avengers Avengers: Age of Ultron Avengers || Endgame Der unglaubliche Hulk Avengers | Infinity War

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Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
dirkberlin
30.04.2019 09:01 Uhr 4
Die Frage ob das nen guter Film ist, kann nur der beantworten, der diesen Film unabhängig von der Serie schauen kann. Sonst kann man nur beantworten, ob das ein guter (Zwischen?)abschluss der Serie ist.



Ich finde das ganze MCU einfach nur noch furchtbar, war aber nie der große Fan und von den Comicvorlagen habe ich keine Ahnung. Meistens ist es die übliche Heldenreise von Zero to Hero und am Ende - oh Wunder - wird ein übermächtiger Gegner geschlagen. Wow. Was für Innovation.



Interessant wird sein, ob das hohe Einnahmenniveau gehalten wird. Oder Disney wie bei Star Wars den Bogen überspannt. Für 20 Filme hat James Bond 60 Jahre gebraucht, die keine 20. Will man jetzt nochmal in so ein 20er Pack investieren? Tun es neue Generationen? Freitag lief im Schlefaz Captain America von 1990. Denke es könnte auch wieder da hin gehen...
Nr27
30.04.2019 12:04 Uhr 5


Och, ich kenne noch mindestens einen weiteren Fan von ihr, so extrem selten können wir also nicht sein ... Ich finde jedenfalls seit ihrem ersten Auftritt, daß sie die visuell eindrucksvollsten (sprich: coolsten) Superkräfte aller bisherigen MCU-Mitglieder hat - und natürlich spielt Elizabeth Olsen sie ausgesprochen sympathisch. Ich schätze, in meiner Lieblings-Rangliste ist sie inzwischen sogar auf Platz 2 oder 3 hinter Thor und vielleicht noch Loki.




Danke für diese aufschlußreiche Information. Ohne die hätte ich bestimmt nicht weiterleben können!
Anonymous
30.04.2019 16:13 Uhr 6


Sofern bis zur nächsten Ausgabe von "Popcorn und Rollenwechsel" nicht irgendwas dazwischen kommt, wird das ein Thema sein: Eigentlich wären mir Figuren wie Vision, Carol und Wanda zu mächtig, als dass ich sie spannend anzuschauen fände. Aber bislang fand Marvel stets einen Weg, mich doch rumzukriegen - im Fall von Wanda etwa, dass sie nicht einfach komische rote Plasmateile verschießt, sondern visuell interessante Bewegungen macht, um ihre Kräfte zu steuern. Und Olsen legt so einen Dauerschmerz in ihre Rolle, dass die Figur sehr spannend bleibt. Bei Vision war es diese nachdenklich-nervöse Art und Carol scheint Post-"Captain Marvel" (wo sie ja noch den gut gespielten Selbstfindungs- respektive Zusichselberstehkonflikt hatte) in eine "Ich habe zwar viel Macht, aber leider ein viel zu großes Einsatzgebiet"-Richtung zu steuern, woraus sich was machen lässt.



Dafür, dass ich einst, als das MCU kosmischer und knalliger wurde, Angst hatte, nur noch die Nahkampfleute Steve, Natasha und Bucky könnten mich reizen, hat sich doch gut was getan.
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