Lange mussten sich die Marvel Studios die Kritik gefallen lassen, dass ihre Filme kaum denkwürdige Originalmusik beinhalten. Wir unternehmen eine musikalische MCU-Zeitreise, um zu überprüfen, ob (und wenn ja: wann) es aufwärts ging.
Seite 2
«The First Avenger – Civil War» (2016, Komponist: Henry Jackman)
Im August 2015 wurde innerhalb des Disney-Konzerns umstrukturiert, so dass die Marvel Studios nicht weiter Marvel Entertainment Bericht erstatten, sondern Disneys Filmsparte. Grund dafür waren die großen Spannungen zwischen Marvel-Studios-Chef Kevin Feige und Marvel-Entertainment-CEO Ike Perlmutter. Perlmutter galt als der Grund, weshalb Marvel nicht schon früher Heldinnen und Figuren mit nicht-weißem ethnischen Hintergrund in den Fokus gestellt hat, zudem hatte er den Ruf eines engstirnigen Pfennigfuchsers inne – letzteres soll sich, wie manche Stimmen aus der Fachpresse mutmaßen, auch Auswirkung auf die Musik der Marvel-Filme, da den Komponisten nur ein enger Rahmen gesteckt wurde. «Civil War» ist jedoch nicht anzumerken, dass er der erste Film nach diesem Bruch ist: Henry Jackman dreht nicht ganz so frei wie bei «The Return of the First Avenger». Dennoch ist ihm ein adrenalinreicher sowie dramatischer Score gelungen, der diesem Superheldenkonflikt gerecht wird.
4 von 5 internen Streitigkeiten
«Doctor Strange» (2016, Komponist: Michael Giacchino)
Oscar-Preisträger Michael Giacchino betritt die Bühne des MCU und spendiert den Marvel Studios nicht bloß eine neue Eröffnungsfanfare, sondern baut zudem «Doctor Strange» einen Score, der aus mehreren Leitmotiv-Bausteinen besteht und diese mit zuweilen exzentrisch-esoterisch angehauchtem Arrangement umsetzt. Wie oft hört man schon ein Cembalo in einem Big-Budget-Actionfilm?
4 von 5 grünen Augen
«Guardians of the Galaxy Vol. 2» (2017, Komponist: Tyler Bates)
Tyler Bates' zweiter Ausflug in James Gunns knallige Galaxie voller sarkastischer Helden und Anti-Helden ist nicht mehr ganz so lasch wie der erste: Bates variiert das «Guardians of the Galaxy»-Leitmotiv verspielter und dennoch markanter, ein Actionbeat sticht mit einer dichten, herabgleitenden Streicherpassage hervor und Tyler spielt hier genüsslich mit der Intensität der Bassnoten. Es verwischt zwar alles auf Dauer zu einem großen Klangbrei, dennoch ist es eine klare Verbesserung gegenüber dem Erstling.
3 von 5 Joysticks
«Spider-Man: Homecoming» (2017, Komponist: Michael Giacchino)
Michael Giacchino, die Zweite. Das unvergessliche «Spider-Man»-Trickserien-Intro wird von ihm hier wundervoll auf episches Kinoniveau gehoben und die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft wird zudem mit einer tapsigen, neuen Erkennungsmelodie versehen, die zu Tom Hollands Interpretation passt. In den wilderen Actionmomenten changiert Giacchino diese Tapsigkeit vergnüglich mit dem üblichen Klangbombast, unterm Strich hat dieser Score allerdings wieder deutlich weniger Verve und Charakteristik als etwa der zu «Doctor Strange».
3 von 5 LEGO-Todessternen
«Thor – Tag der Entscheidung» (2017, Komponist: Mark Mothersbaugh)
Was für ein Spaß: Bewusst-billiges Synthie-Gedudel, alberne Elektrohymnen im 80er-Stil und waghalsige Verschmelzungen aus dynamischem Orchesterklang und verspielten New-Age-Abwandlungen.
5 von 5 Orgienschiffen
«Black Panther» (2018, Komponist: Ludwig Göransson)
Folkloristische Percussion, nuancierte Leitmotive für die entscheidenden Figuren und eine Prise R'n'B-Coolness: Der Schwede Ludwig Göransson erschuf einen komplexen, stilvollen Score, der den König Wakandas klanglich ganz vorne im Marvel Cinematic Universe mitspielen lässt.
5 von 5 Sneakern
«Avengers | Infinity War» (2018, Komponist: Alan Silvestri)
Energiereich, dynamisch, treibend und klanglich satt: Alan Silvestri kehrt zurück ins Marvel Cinematic Universe und lässt sich dieses Mal nicht weiter zurückhalten. Der «Zurück in die Zukunft»-Komponist nutzt die volle Wucht eines Orchesters, um die treibende, atemlose Action dieses Superheldenepos zu unterstreichen. Doch Silvestri kleistert «Avengers | Infinity War» klanglich nicht zu, sondern findet auch Wege, um fließend verletzlichere Akzente einzubringen. Und das «Avengers»-Thema klang nie gänsehautwürdiger als hier.
5 von 5 Infinity-Handschuhen
«Ant-Man and the Wasp» (2018 Komponist: Christophe Beck)
Christophe Beck baut auf seinem «Ant-Man»-Score auf, verleiht den alten Themen mehr Dynamik und mischt die etablierte Klangwelt zudem mit einem neuen, energiereichen Leitmotiv für Evangeline Lillys Hope van Dyne auf. In seinen schwächeren Momenten ist dieser Score noch immer etwas austauschbar-fluffig, aber in seinen besten Phasen fängt er die Attitüde seiner Hauptfiguren sehr griffig ein.
3,5 von 5 Ameisen
«Captain Marvel» (2019, Komponistin: Pinar Toprak)
Ich habe den Verdacht, dass «Krypton»-Komponistin Pinar Toprak, die auch am «Justice League»-Score mitgewirkt hat, schlicht einen zweiten Anlauf benötigen wird, um ihre musikalischen Ideen für Brie Larsons Superheldin auszuarbeiten. Denn ähnlich wie schon bei einigen der anderen ersten Solofilme im MCU gehen auch in «Captain Marvel» die musikalischen Motive ein Stück weit unter. Teils durch den Soundmix, teils, weil die markanten Passagen nur angedeutet werden, ehe erst wieder effiziente, doch akzentlose Hintergrundmusik die «Captain Marvel»-Klangwelt dominiert. Aber die Ansätze sind schon da: Captain Marvel bekommt ein simples, variantenreiches, dennoch starkes Hauptmotiv verliehen und die akustische Brücke, die Toprak zwischen den galaktischen und irdischen Elementen des Films schlägt, hat durchaus Achtung verdient.
2,5 von 5 Lunchboxen
Und jetzt bleibt uns nur noch, auf «Avengers: Endgame» zu warten.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel