Die Vorwürfe gegen Michael Jackson sind nicht neu. Doch es hat Jahrzehnte gedauert, bis es zu größeren popkulturellen Reaktionen darauf kam.
Obwohl er immer wieder in die Schlagzeilen geriet: Die Popkultur verneigte sich lange vor Michael Jackson. Als musikalisches Wunderkind, das später als Solokünstler mit aufwändigen Musikvideos und zahlreichen Hitsingles auf sich aufmerksam machte, waren Film und Fernsehen voll mit Referenzen auf ihn. Und mit Auftritten von ihm: 1978 trat er in der «Der Zauberer von Oz»-Hommage «The Wiz» auf, 1986 zeigten die US-Disneyparks erstmals den 3D-Film «Captain EO», der seinerzeit den Rekord für den Film mit den höchsten Produktionskosten pro Minute aufstellte. Dieser Film wurde später auch ins Tokyo Disneyland und ins Disneyland Paris importiert. Zwei Jahre später drehte er seinen eigenen, episodenhaften Kinofilm namens «Moonwalker», «Die Simpsons» nahmen Anfang der 1990er-Jahre mit ihm ein Album auf und gaben ihm eine Episoden-Gastrolle (
was die Serienmacher heute bereuen). Jackson war einfach ein weltweiter Megastar – und daran konnten zunächst auch Ermittlungen gegen ihn nichts rütteln:
1993 wurde erstmals wegen mutmaßlichem sexuellen Missbrauch Minderjähriger gegen Michael Jackson ermittelt – aber dies tat seiner Karriere keinen Abbruch. Und es gab keine nennenswerte mediale Abstandsnahme von ihm. Disney etwa zeigte weiter seinen 3D-Film, ersetzte ihn erst später aus unpolitischen Gründen gegen modernere Effektfilme, Shows weltweit sahen ihn weiter gerne als Gast – sein legendärer «Wetten, dass ..?»-Auftritt etwa fand 1995 statt.
Erst Anfang der 2000er, als auch sein musikalischer Stern nicht mehr so hell glänzte, kippte das Bild Michael Jacksons in den Medien: In der britischen Dokumentation «Living with Michael Jackson» wurde 2002 gezeigt, wie er mit einem Jungen Händchen hält und offen darüber spricht, mit ihnen das Bett zu teilen – auf vermeintlich harmlose Weise. Daraufhin wurden die Ermittlungen gegen Jackson wieder aufgenommen, zumal der Junge aus der Dokumentation Vorwürfe gegen ihn erhob. Anders als in den frühen 90er-Jahren, als diese Vorwürfe in der popkulturellen Darstellung Jacksons quasi verpufften, gingen die Unterhaltungsmedien dieses Mal darauf ein.
Doch anders als nun, wo im Zuge der HBO-Doku «Leaving Neverland» popkulturelles Unbehagen bezüglich Jackson herrscht und den (mutmaßlichen) Opfern seiner Taten Gehör geschenkt wird, reagierte die Popkultur mit Hohn, Spott und Sarkasmus auf Jackson. Spätere «Scary Movie»-Filme machten ihn zur Kinder entführenden Witzfigur und auch Comedians zogen die Vorstellung eines kinderschändenden Jackson eher ins Lächerliche, statt Erschütterung zu zeigen.
Das alles war in den Medien jedoch schlagartig vergessen, als Michael Jackson starb: Michael Jackson war plötzlich wieder hoch populär. Radiosender erhöhten die Dosis an Jackson-Musik in ihrer Rotation, Fernsehsender änderten Michael Jackson zu Ehren ihr Programm.
Sogar Sonderschichten wurden eingelegt.
Die geplante Konzertdoku «This Is It» kam als großer Tribut an den Popsänger auf die große Leinwand, die Disney-Parks führten den 3D-Film «Captain EO» nach jahrzehntelanger Pause wieder auf
und auch ein Jahr nach seinem Tod wurde Michael Jackson im TV-Programm Platz unkritisch freigeräumt. Zudem wurde 2011 eine Cirque-du-Soleil-Show mit Michael-Jackson-Thema uraufgeführt.
Selbst mit größerem Abstand zu Jacksons Tod fanden sich immer wieder Anlässe, ihm im Fernsehen zu ehren. VOX zeigte 2012 zum 25-jährigen Jubiläum des Albums «Bad» eine vierstündige Jackson-Doku, 2018 war Jackson erneut stundenlang Themenschwerpunkt bei VOX, dann aufgrund seines 60. Geburtstags. Auch ProSieben, der Sender, der nun «Leaving Neverland» zeigt,
strahlte ein Gedenkprogramm aus. Zudem wurde in ausgewählten Märkten die 3D-Aufführung von Eli Roths Familienkomödie «Das Haus der geheimnisvollen Uhren» von einer 3D-Neuabtastung des Michael-Jackson-Musikvideos «Thriller» begleitet.
Erst kürzlich ließ die unreflektierte Jackson-Verehrung wieder nach. Neben der Missbrauchsdoku «Leaving Neverland» äußert sich dies auch im Horrorfilm «Wir», der unter anderem Michael-Jackson-Motive dafür nutzt, wie naive Vorstellungen und Ideen der 80er-Jahre sich heute als etwas völlig Anderes entpuppen. Ob dieser Wahrnehmungswandel Jacksons haften bleibt, das muss uns die Zukunft zeigen.
Es gibt 36 Kommentare zum Artikel
12.04.2019 02:42 Uhr 34
Für mich macht das keinerlei Unterschied. Wenn er als unschuldig zu gelten hat, dann ist er auch unschuldig. Punkt. Da hätte man sich diese unsägliche Doku sparen können und Michael Jackson und seinen Angehörigen, diesen Unsinn der da verzapft worden ist auch sparen können. Aber anscheinend war das "Opfer" in Geldnot, weil er ja von Michael Jackson schon lange nix mehr abstauben konnte.
12.04.2019 13:53 Uhr 35
Na das ist aber auch ne harte Aussage. :shock:
Schuld/Unschuld ist ein ziemlich heikles Thema bei nicht astreiner Beweislage.
Soweit ich das lese sagt hier niemand, dass Michael Jackson schuldig ist - nur sagen wir halt auch nicht, dass er es nicht ist. Weil wir es nicht wissen und es für beide Seiten Aussagen gibt ohne konkrete Beweise, was auch der Grund ist, warum "im Zweifel für den Angeklagten" gesprochen wurde. Und jeder gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist.
Im heutigen Zeitalter von Smartphones, etc. wäre es vielleicht leichter solche Dinge zu beweisen - in beide Richtigungen. Aber damals war das eben nicht so.
11.08.2021 18:30 Uhr 36