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Die Kritiker: «Brecht»

Heinrich Breloer, der Übervater der deutschen Doku-Fiction, zeichnet in seinem neuen Werk das Leben von Bertolt Brecht nach. Leider macht es sich auch dessen Blickwinkel zu eigen.

Cast & Crew

Hinter der Kamera:
Produktion: Bavaria Fiction GmbH, Bavaria Filmproduktion GmbH und Mia Film
Drehbuch und Regie: Heinrich Breloer
Kamera: Gernot Roll
Produzenten: Michal Pokorny, Heinrich Ambrosch, Jan S. Kaiser, Corinna Eich und Georg Höss

Vor der Kamera:
Teil 1:

Tom Schilling als Bertolt Brecht
Mala Emde als Paula Banholzer
Franz Hartwig als Caspar Neher
Friederike Becht als Marianne Zoff
Lou Strenger als Helene Weigel
Leonie Benesch als Elisabeth Hauptmann
Anatole Taubman als Ernst Josef Aufricht

Teil 2:
Burghart Klaußner als Bertolt Brecht
Trine Dyrholm als Ruth Berlau
Adele Neuhauser als Helene Weigel
Ernst Stötzner als Caspar Neher
Maria Dragus als Regine Lutz
Anna Herrmann als Käthe Reichel
Laura de Boer als Isot Kilian
Ich kann nun einen großen Teil der Frauen beim Namen nennen, die mit Bertolt Brecht mal etwas hatten. Dieses unnütze Wissen verdanke ich Heinrich Breloer und seiner dreistündigen Doku-Fiction «Brecht», die das Erste in zwei Teilen back to back am Mittwochabend senden wird. Unter Aussparung der Exiljahre, die den Zeitsprung zwischen den beiden Filmblöcken markieren, zeichnet sie umfangreich das Leben des Dramatikers nach, von den jugendlichen Anfängen in Augsburg bis zum Spätwerk am Berliner Ensemble unter dem Hammer-und-Sichel-Regime.

Nun ist es sicherlich nicht verwerflich, die Persönlichkeit, die man zum Untersuchungsfeld eines dokumentarischen Projekts macht, zu schätzen oder zu mögen. Problematisch wird es jedoch, wenn bei einer kontroversen Figur die Grenze zur überzogenen Verklärung überschritten wird – und diesen Vorwurf muss sich «Brecht» zumindest phasenweise gefallen lassen.

Das betrifft weniger den zweiten, politischeren Teil, der sich mit klarer Haltung, wenn auch vielleicht nicht mit letzter intellektueller Konsequenz mit Brechts Verhältnis zur SED-Diktatur beschäftigt. Dass Brecht als überzeugter Kommunist im Nachkriegsdeutschland nichts von einer bürgerlich-liberalen Demokratie wissen wollte, sondern eine Diktatur des Proletariats anstrebte, macht der Film schonungslos deutlich. Ebenso den Umstand, dass Brecht auch nach der blutigen Niederschlagung der Aufstände vom Juni 1953 (mit wenigen Einschränkungen) weiter zum SED-Regime hielt. Ein schändlicher Verrat an den eigenen (literarischen) Idealen wird es schließlich, als Brecht sich in seinen letzten Lebensmonaten gegen eine Veröffentlichung der ihm zugespielten Dokumente vom XX. Parteitag der KPdSU ausspricht, in denen Nikita Chruschtschow in schockierendem Detail die Folterungen und Massenmorde des stalinistischen Russlands schildert. Und das obwohl – was der Film Brecht nur wenige Szenen später vortragen lässt – die große Tragik seines Galilei darin liegt, dass er das „befreiende Wissen“ dem Volk nicht zuteilwerden ließ. Angenehm subtil und doch überaus klar offenbart sich hier Breloers differenzierte und zugleich deutliche Haltung zum Politikum Brecht.

Es ist vielmehr der erste Teil dieser Biographie, der mitunter sauer aufstößt. Sinnig wäre gewesen, der zweiten politischen Hälfte eine erste künstlerische voranzustellen, die sich mit Brechts frühem Schaffen als Dramatiker hätte beschäftigen sollen. Stattdessen jedoch widmet sich der Film ausgiebig seinen zahlreichen romantischen Eskapaden, wobei er Brechts misogyne Anwandlungen ob aus überzogener Genieanbetung oder blauäugiger Adelung seltsam unkommentiert lässt und zu Randnotizen deklassiert.

Nahezu allen weiblichen Figuren – von der jungen Paula Banholzer (Mala Emde) bis zur späten Helene Weigel (Adele Neuhauser) – wird jedwede eigenständige Handlungsmacht abgesprochen. In ihren psychologisch ergiebigsten Momenten sind sie Handlanger für Brechts künstlerisch-kommunistische Visionen, in den oberflächlichsten die Objekte seiner Begierde. Breloer versucht diesen Eindruck einzudämmen, indem er die realen Personen in Form von Zeitzeugeninterviews ihre damaligen Haltungen und Erlebnisse reflektieren lässt. Doch dies ändert wenig am mitunter erschreckenden Urteil: Ein dreiviertel Jahrhundert später wirft dieser Film denselben Blick auf sie wie der misogyne Egozentriker Brecht.

Das Erste zeigt «Brecht» am Mittwoch, den 27. März um 20.15 Uhr.
26.03.2019 10:44 Uhr Kurz-URL: qmde.de/108185
Julian Miller

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Brecht

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