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Die Kritiker: «Lautlose Tropfen»

Im neuen Sat.1-Film spielt Stefanie Stappenbeck ein Vergewaltigungsopfer, das leider durchwegs in seiner Opferrolle bleiben muss. Denn aus einem psychologischen Stoff macht dieser Film ein laues Finde-den-Täter-Spiel.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Stefanie Stappenbeck als Franziska Wellmer
Mira Bartuschek als Suse
Oliver K. Wnuk als Chris Kraus
Max von Pufendorf als Freddy Wellmer
Lisa Bahati Wihstutz als Julia Wellmer
Steffen Groth als Jens
Theresa Henning als Kommissarin Nesbö

Hinter der Kamera:
Produktion: Frische Film GmbH
Drehbuch: Mirko Schulze und Jochen Ketschau
Regie: Holger Haase
Kamera: Uwe Schäfer
Die Gymnasiallehrerin Franzsika (Stefanie Stappenbeck) ist bei einem Klassentreffen durch KO-Tropfen handlungsunfähig gemacht und anschließend vergewaltigt worden: die ideale Grundlage für eine hochpsychologische Geschichte. Doch schon in den ersten Szenen wird deutlich, dass sich «Lautlose Tropfen» mit diesen psychologischen Aspekten nur im Rahmen des unbedingt Erforderlichen beschäftigen will, und auch dann nur unter stoischer Abarbeitung verhackstückelter Allgemeinplätze.

In pathetischen verschwommenen Close-ups und Totalen samt verzerrter Akustik und verlangsamter Bildabfolge schleift sich Franziska durch einen Hotelflur, und schon hier hat man die Logik dieses Films vollumfänglich begriffen. Die nächsten Einstellungen, von leeren Flaschen, einem zerrupften BH, bedrohlichen schwarzen Schuhen unter einer Toilettenabtrennung und dem eklig surrenden Geräusch von Fliegen, machen diesen Eindruck nur noch deutlicher, wie alle Eindrücke in diesem Film immer überdeutlich sein müssen.

Der weitere Handlungsverlauf wird nicht komplexer: Franzsika bricht wiederholt zusammen, in Wein- und Schreikrämpfen, während aus ihrem Ehemann weniger Verzweiflung als Wut bricht, als sie ihm von der Tat erzählt: Die Frau brüllt sich die Seele aus dem Leib, der Mann zertrümmert rasend den Gartentisch und murmelt, „Wenn ich das Schwein kriege…“ So einfach – und perfide – funktionieren in «Lautlose Tropfen» Verbrechen und Trauma.

Denn die ganze Laufzeit über bleiben das Psychologische, die Geschichte des Verkraftens und Verarbeitens, des Findens von neuer Stärke und Mut, bestenfalls zweitrangig. Das erzählerische Rückgrat dieses Films soll nicht die Aufarbeitung des Traumas sein, sondern die psychologisch uninteressante Suche nach dem Täter in uninspiriertester Mitknobel-Manier, für die schon früh eine Handvoll Profile von alten Schulkameraden eingeführt wird: Chris (Oliver Wnuk), der heute ganz anders aussieht als damals und mit dem die letzten zwanzig Jahre so gut wie niemand Kontakt hielt, und Jens (Steffen Groth), der schon immer auf Franziska stand, aber mit seiner zurückgezogen-beobachtenden Schweigsamkeit heute gruseliger wirkt als je zuvor. Wer war’s denn nun?

Für den emotionalen Hook sollen derweil allerhand bildliche Übersteuerungen sorgen, wobei es den Film nicht im Geringsten zu stören scheint, wenn er hier schamlos ins Voyeuristische abdriftet: Franziskas Rape-Kit-Untersuchung muss in stechendes gleißendes Licht getaucht sein, samt extremen Close-ups von ihren Schenkeln auf dem Gynäkologenstuhl und ihrem Aufstöhnen bei der Entnahme des Abstrichs. Wirklich alles muss dieser Film pathetisch deklamieren und vorführen, und während er dazu visuell voyeuristische Slowmotions und entwürdigende Nahaufnahmen wählt, bedient er sich im Verbalen abgestandener Nichtsätze und ausgedachter Gefühligkeiten.

Als Franziska an den Ort des Verbrechens zurückkehren will, fragt ihre Freundin: „Ist das nicht zu emotional für dich?“ – „Das geht schon.“ – „Ok.“ Oder mit etwas gekünsteltem Entsetzen, als Exposition zum Thema KO-Tropfen abgeladen werden muss, um so zu tun, als wolle man auch seiner selbstgestellten gesellschaftlichen Aufgabe zur Aufklärung nachkommen: „Das is‘ ja Wahnsinn. Das kann jeder kaufen, einfach so im Baumarkt.“ Dieser Film kennt keine Gnade.

Doch das wirklich Erschreckende ist, dass sich «Lautlose Tropfen» einen sexuellen Übergriff nur im Duktus der Überstilisierung vorstellen kann, in einer visuellen Verzerrung und einer Übersteuerung der Sinneseindrücke, und seine Aufarbeitung nur im Abspulen eines endlosen Blablas und dem Finden des Schuldigen als einzigen Ausweg aus dem völligen Zusammenbruch. Wo vergewaltigt wird, surren die Fliegen und warten die schwarzen Lackschuhe.

Die primäre Ambition des Films ist dabei ebenso aufdringlich wie seine Stilmittel: Er will wachrütteln und sensibilisieren, für die diffuse Gefahr von KO-Tropfen im Konkreten und die toxische Maskulinität, die sich in Männerkomplotten zusammenrottet, im Allgemeinen. Doch gerade weil er all seine visuellen und erzählerischen Motive so überreizt und übersteuert, weil ihm jedwede Subtilität zuwider ist und jede emotionale Regung ins Unermessliche multipliziert werden muss, scheitert er dabei auf ganzer Linie. Und so ist «Lautlose Tropfen» am Schluss weder eindringliche Mahnung noch ergreifende Geschichte, sondern eine lächerliche, überdrehte, unterkühlte Luftnummer. Zwei Formate mit ähnlicher Stoßrichtung, die vormachen, wie es ginge: der Film «Elle» (Paul Verhoeven, F 2016) und die zweite Staffel der US-Serie «American Crime» (ABC, 2016).

Sat.1 zeigt «Lautlose Tropfen» am Montag, den 25. März um 20.15 Uhr.
24.03.2019 14:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/108138
Julian Miller

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Tags

Lautlose Tropfen Elle American Crime

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