Die angelsächsischen Kritiker überschlagen sich mit Lobeshymnen – und unser Autor pflichtet bei: «The Other Two» könnte der witzigste US-Neustart der Saison sein.
Cast & Crew
Produktion: Broadway Video und Jax Media
Schöpfer: Chris Kelly und Sarah Schneider
Darsteller: Drew Tarver, Heléne Yorke, Case Walker, Molly Shannon, Ken Marino, Beck Bennett u.v.m.
Executive Producer: Chris Kelly, Sarah Schneider, Lorne Michaels, Andrew Singer und Tony HernandezManche schaffen es eben früher als andere: So wie Chase Dubek alias ChaseDreams (Case Walker), ein dreizehnjähriger Justin-Bieber-Verschnitt, der einen YouTube-Rekord nach dem nächsten knackt, dessen Tracks gazillionenmal heruntergeladen und gestreamt werden, der von einer Talk-Show zur nächsten gereicht wird, dessen Konterfei die Hochhauswände am Times Square ziert.
Doch um ihn geht es dem Comedy-Central-Neustart gar nicht so. Im narrativen Zentrum stehen, wie es der Titel bereits vorwegnimmt, stattdessen «The Other Two». Will sagen: Seine beiden deutlich älteren Geschwister. Die gemeinsame aufmerksamkeitssüchtige Mutter hat auch sie mal ins Rampenlicht drängen wollen. Heute führen sie aber ein unscheinbares Versagerleben, auch wenn sie sich diesen bitteren Umstand noch schönreden:
Cary (Drew Tarver) schwänzt seinen Kellnerjob, um bei Fließband-Castings als „Mann, der einen Furz riecht“ für depperte Werbespots vorzusprechen, und ist im Privaten damit beschäftigt, seinen heterosexuellen Mitbewohner erotisch für sich zu begeistern. Schwester Brooke (Heléne Yorke), die mal ein bisschen getanzt hat, kampiert heute ob Gentrifizierung und Mietwahnsinn nachts in den Wohnungen, die sie tagsüber reichen Ausländern vorzuführen hat.
Die beiden Schöpfer dieses Formats, Chris Kelly und Sarah Schneider, haben mit ihrer Beobachtungsgabe schon bei der Festlegung des Grundsätzlichen voll ins Schwarze getroffen: Der spannendste Blick ist nicht der des dreizehnjährigen
next big white kid‘s, sondern jener der erwachsenen Geschwister, die das seltsame Ruhmesleben aus der Außenperspektive wahrnehmen, aufgrund ihrer eigenen sonderbaren Lebenssituationen aber auch nicht als
straight [wo]men durchgehen können.
Die Ideen der Autoren stimmen derweil bis in die Details und fallen im Zwiespalt aus Glaubwürdigkeit und komödiantischer Überzeichnung fast immer genau auf den perfekten Gleichgewichtspunkt:
Marry u at recess, der Titel von ChaseDreams‘ berühmtester Nummer, klingt so bescheuert, dass er tatsächlich aus dem Repertoire eines Justin-Bieber-ähnlichen Interpreten stammen könnte, und gleichzeitig grotesk genug, um diese Absurdität deutlich herauszustellen. Dass ältere Restaurantbetreiber bei ihren homosexuellen Mitarbeitern damit angeben, kürzlich «Brokeback Mountain» geguckt zu haben, bildet die letzten Kämpfe der urban-amerikanischen Progression ebenfalls wunderbar prägnant ab, während der Umstand, dass die nahezu wohnungslose Brooke nachts auf dem iPhone googlet, wie man Raumausstatterin wird, wie aus Abertausenden Millenial-Lebensläufen gerissen wirkt und gleichzeitig enorm viel über Perspektivlosigkeit, Resignation und das letzte Fünkchen Hoffnung in der Post-Post-Pubertät zu sagen hat. Diese Serie hat erkannt, dass «The Other Two» oft viel, viel spannender sind als die Person, auf die das Rampenlicht gelenkt ist – und zeigt bei allem Zynismus und satirischer Medienpersiflage dabei noch ein warmherziges Bild seiner Protagonisten.
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