Hugh Jackman spielt einen Politiker, der nicht bewusst die Welt verändert hat, dessen Karriere die Welt jedoch beendete: Dies ist keine konventionelle Biopic-Erfolgsgeschichte …
Filmfacts «Der Spitzenkandidat»
- Regie: Jason Reitman
- Produktion: Helen Estabrook, Aaron L. Gilbert, Jason Reitman
- Drehbuch: Matt Bai, Jason Reitman, Jay Carson; basierend auf "All the Truth Is Out: The Week Politics Went Tabloid" von Matt Bai
- Darsteller: Hugh Jackman, Vera Farmiga, J. K. Simmons, Alfred Molina, Sara Paxton, Mamoudou Athie, John Bedford Lloyd, Spencer Garrett
- Musik: Rob Simonsen
- Kamera: Eric Steelberg
- Schnitt: Stefan Grube
- Laufzeit: 113 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Es mag eine Selbstverständlichkeit sein, und dennoch wollen wir es kurz festhalten: Die meisten Biopics handeln davon, wie eine Person ein Ziel erreicht. «Die dunkelste Stunde» erzählt, wie Winston Churchill
zu Beginn seiner Amtszeit als Premierminister das Vertrauen des Kabinetts gewinnt und es davon überzeugt, dass man nicht mit Nazi-Deutschland verhandeln kann, sondern gegen die Faschisten in den Krieg ziehen muss. «Ballon» bringt die Geschichte auf die Leinwand, wie zwei Familien aus der DDR geflohen sind. «Bohemian Rhapsody» erzählt (mit vielen historischen Freiheiten) davon, wie aus einer Gruppe höchst unterschiedlicher Musiker die Sensationsband Queen wurde. «The King's Speech» verfilmt, wie König Georg VI. sein Stottern überkam. Und so weiter, und so weiter – die Beispiele sind beinahe endlos.
«Der Spitzenkandidat» unterdessen ist ein auf wahren Begebenheiten basierender Film, der dadurch interessant wird, was sein Protagonist
nicht erreicht hat: Die neuste Regiearbeit des «Tully»- und «Up in the Air»-Machers Jason Reitmans dreht sich um Gary Hart, der 1984 als naheliegendster Tipp für die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gilt, jedoch von Vizepräsident Walter Mondale geschlagen wird. Bei der nächsten Wahl, so der Optimist, werde er nicht nur diese Niederlage wieder wett machen. Nein, er werde auch ins Weiße Haus einziehen. Doch «Der Spitzenkandidat» ist keine Erfolgsgeschichte, wie man sie so oft im Kino gesehen hat, sondern eine Misserfolgsgeschichte. Der eloquente sowie telegene Politiker, der mit überzeugendem Eifer den Diskurs darauf lenken will, wie sich die Probleme der Vereinigten Staaten lösen ließen, liegt 1987 in den Umfragen meilenweit vor der Konkurrenz. Aber innerhalb von drei Wochen sollte sich nicht nur dies ändern. Er wird am Ende dieser drei Wochen seinen endgültigen Rückzug aus der Politik mitteilen …
Reitman geht «Der Spitzenkandidat» als trocken-humoriges Drama mit Spannungselementen an: Für jene, die den nahezu einmaligen Umfrageabsturz Harts entweder nicht miterlebt haben oder sich schlicht nicht mehr erinnern, lassen Reitman und seine Ko-Autoren Matt Bai sowie Jay Carson nach einem kurzen Prolog ein Damoklesschwert über Hart schweben. Er wird als unumstößliche, genretypische Gewinnerperson dargestellt, doch eine Texteinblendung macht früh klar: Dies wird sich dramatisch ändern. Wieso, weshalb, warum? Und was wird es mit Hart machen? Das entfaltet sich innerhalb von weniger als zwei Filmstunden …
Gleichzeitig ist «Der Spitzenkandidat» allerdings mehr als nur eine Nacherzählung der Ereignisse: Reitman entwirft seinen Polit- und Journalismusfilm zudem als Analyse der Mechanismen, die zu Harts politischem Niedergang geführt haben. Zugleich ist diese ausdifferenzierte Auseinandersetzung mit den Ereignissen einer dreiwöchigen Zeitspanne im Jahr 1987 ein nachdenklich stimmender, spröde-satirischer Spiegel der Gegenwart. Nein, «Der Spitzenkandidat» ist kein Film über die Ära Trump im Gewand einer filmischen 80er-Anekdote. Reitman macht keine punktuellen Bemerkungen über exakt diesen jetzigen Moment in der US-Politik, sondern bezieht sich auf tiefer im (nicht nur) US-amerikanischen Politzirkus und journalistischen System verankerte Fehlstellungen.
Im Jetzt ist es längst alltäglich, dass selbst gemeinhin seriöse Publikationen große Mühen in Boulevardberichterstattung stecken. Wer beispielsweise 2018 über Ariana Grandes Beziehung mit Komiker Pete Davidson am Laufenden bleiben wollte, musste kein einziges Promi-Klatsch-und-Tratsch-Magazin frequentieren – die 'Los Angeles Times' und ähnliche Portale haben sich mit Freude auf dieses Thema gestürzt.
In einem solchen journalistischen Klima dreht sich ebenso der Politjournalismus um Banalitäten – so war der "politische" Diskurs in den USA erst kürzlich, in der Zeit "zwischen den Jahren", wie besessen davon, dass die Kongress-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez zu Collegezeiten eine kurze «Breakfast Club»-Hommage gedreht hat. Statt Fragen über den Finanzhaushalt zu stellen, die immer maroder werdende Außenpolitik der USA oder darüber, dass Kinder sterben, während sie sich in US-Gewahrsam befinden, war das Gesprächsthema schlechthin: "Darf die das? Und wenn nein: Wieso bitte?"
«Der Spitzenkandidat» zeigt einen der Wendepunkte, die uns auf diesen Pfad geführt haben, auf dem wir uns befinden. Er zeigt, wie sich ernstzunehmende US-Institutionen der vierten Gewalt dazu durchgerungen haben, nicht weiter ausschließlich nach Themen, Inhalten und Lösungsansätzen zu fragen, sondern alles aufzuwühlen, was für Irritation sorgen könnte. Reitman zäumt «Der Spitzenkandidat» dennoch nicht als flammenden Protestfilm auf. Stattdessen bleibt Reitman seinem grundlegenden Plädoyer in «Der Spitzenkandidat», dass bewegenden Themen und die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihnen wichtiger sein sollten als Aufregung und das Drumherum im Politdiskurs: Obgleich sein Film keinerlei narratives Fett aufweist und konsequent auf seinen argumentativ perfekt gewählten Schlusspunkt hinarbeitet, sind die einzelnen Szenen dieses kurzen, prägnanten Biopics ruhig erzählt und lassen Raum für eigene Abwägungen.
Als würden wir Mäuschen spielen, setzt sich «Der Spitzenkandidat» aus mehreren aufeinander aufbauenden, Harts Situation immer weiter eskalierende Momenten zusammen, die Reitman mit Geduld ausspielt. Wir sehen ausgiebige Redaktionskonferenzen, strategische Krisensitzungen in Harts Team oder auch Augenblicke, in denen Journalisten auf ihren Flieger warten, während Hart in der Nähe ein Telefongespräch führt, das bei ihnen kritische Neugier weckt. Reitmann füllt diese Passagen mit Kontext und Atmosphäre, das Sounddesign ist bewusst unfokussiert: Wir hören nicht nur die gerade zentralen Figuren, sondern auch die komplette Umgebung, sind mittendrin in diesen Momenten, während Kameramann Eric Steelberg («(500) Days of Summer») die grobkörnige Bilder liefernde Kamera so führt, als säße er unabdinglich auf heißen Kohlen.
«Der Spitzenkandidat» ist daher kein Film der erzürnten Parolen, sondern der situativen Beobachtung und des Abwägens. Das geschliffene Drehbuch überlässt es dem Publikum, widersprüchliche Selbstbilder von Journalisten und Politikern einzuordnen, und so sehr Reitmann den Verfall an Seriosität in der Politberichterstattung bedauert, schlägt er sich nicht vollauf auf die Seite seines Protagonisten. Hart begeht zweifelsohne mehrere Fehler, die es ihm erschweren, sich aus dem ihm zerfleischenden medialen Diskurs raus zu lavieren, und es gibt neben einigen scheinheiligen Argumenten, die seine Gegner anbringen, auch Momente, in denen nachvollziehbare Kritik geäußert wird. Ebenso suggeriert Reitman, dass US-Politjournalisten einst zu freundlich den Politikern gegenüber eingestellt haben, nur um dann ins andere Extrem überzuschlagen.
Gestützt durch eine griffige Performance von Hugh Jackman in der jovialen, aber auch starrsinnigen Hauptrolle, sowie einen solide aufspielenden Cast, darunter Vera Farmiga als geduldige Ehefrau, deren Sicht auf die Ereignisse Reitman gerne ausführlicher hätte ausbreiten können, um ein runderes Bild zu liefern, ist «Der Spitzenkandidat» ebenso kurzweilig wie diskursanregend. Es ist bittere Ironie, dass «Der Spitzenkandidat» nach kurzem Vorabhype in Sachen Award-Saison ähnlich untergegangen ist wie Gary Hart einst.
«Der Spitzenkandidat» ist ab dem 17. Januar 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
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