Eine junge Frau erbt eine baufällige Bude im Harz. Im Dorf hasst man sie – und nur langsam erfährt sie, warum. Was ein schaurig-okkulter Thriller hätte werden können, degeneriert jedoch zum lauen Mitfühlfilm.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Josefine Preuß als Nicola Wagner
Steve Windolf als Leon Urban
Oliver Stokowski als Zach Urban
Tanja Schleiff als Trixi Urban
Daniel Zillmann als Maik
Marie Anne Fliegel als Zita Urban
Oliver Stritzel als Pfarrer Gero
Hinter der Kamera:
Produktion: Constantin Television GmbH
Drehbuch: Elisabeth Herrmann (nach ihrem gleichnamigen Roman)
Regie: Dror Zahavi
Kamera: Gero Steffen
Produzentin: Kerstin SchmidbauerNicola Wagner (Josefine Preuß) verbringt den Großteil ihres Tages damit, am Telefon frustrierte Kunden einer Staubsaugerfirma zu besänftigen: ein unspektakulärer Job in einem privat ebenso unspektakulären Leben. Bis sie von einem Notar zu einem Termin zitiert wird. Sie hat geerbt: einen Stein, eine Streichholzschachtel, einen Reisigbesen – und das alte, ziemlich verfallene Haus ihrer Großtante im Harz. Sofern sie den Nachlass ausschlägt, hat die Erblasserin verfügt, soll ihr Grund und Boden bis auf die Fundamentmauern abgebrannt werden. Der Notar ermutigt Nicola, das Erbe anzunehmen. Sie könne das Grundstück ja immer noch verticken.
Sie tut wie geheißen und tuckert eines völlig verschneiten Tages in die Mittelgebirgslandschaft. Nach und nach weckt das düstere Erinnerungen, die sie seit ihrer Kindheit nie völlig abschütteln konnte: Immer wenn es schneit, kriegt Nicola Albträume. Und als sie schließlich nach einer Ochsentour durch gesperrte Straßen und gemeingefährliche Schneemassen im beschaulichen, aber düsteren Harz-Dorf angekommen ist, wird sie dort mit schier universeller Ablehnung empfangen. Der Ort hasst sie. Das muss Gründe haben.
Zum Glück ist da Leon (Steve Windolf), ein attraktiver Typ in ihrem Alter, der sie die letzten paar Kilometer mit in den Ort genommen und sie mitten in der Nacht vor der baufälligen geerbten Bude abgesetzt hat. Zugleich beginnt er, ihre Erinnerungslücken zu füllen: Sie weiß noch, dass sie als Kind während der Ferien oft ihre Tante besucht hat, bis sie dabei einmal schwer erkrankt ist, woraufhin sie nie wieder zurück in den Ort durfte. Sie sei damals weggelaufen, mit einem Mädchen aus dem Ort, erklärt ihr Leon: in der kältesten Nacht seit Menschengedenken. Nicola kam heile zurück; das Mädchen nicht. Seitdem macht die ganze Gegend sie für ihren schrecklichen Tod vor zwei Jahrzehnten verantwortlich.
In Siebenlehen – so der eigentümliche Name des Ortes – gelten eigene Gesetze, die sich verschworene Gemeinschaften eben irgendwann geben, wenn sie lange genug weitgehend abgeschottet von der Außenwelt vor sich hin existiert haben: Man spricht nicht über die alte Tragödie; sie ist vielmehr ein allgemeines Gefühl geworden, auf die nur solche anspielen dürfen, denen man es ob ihrer persönlichen Defizite durchgehen lassen kann: alte, tatterige Frauen, die schwarz tragen, oder geistig behinderte Kohleschlepper, die als Kind im nahegelegenen Bergwerk verschüttet worden sind.
Das kommt der Dramaturgie dieses Films auffallend gelegen: Denn sie versteift sich sehr darauf, dieses obskure Rätsel – Was ist damals passiert? – lösen zu wollen. Das stattet sie mit einer verlässlichen Erzählstruktur aus, verhindert aber gleichsam eine tiefgreifende Begegnung mit den Figuren und den etablierten Motiven. Erst ganz am Schluss darf endgültig der Groschen fallen, als nur noch Zeit ist, das kollektive Entsetzen über das lange Schweigen und das verschworene Vertuschen darzustellen. Doch damit bleibt «Schattengrund» unter den intellektuellen Möglichkeiten eines solchen Stoffes, und vernachlässigt dabei all die Themen, die zuvor mühsam etabliert worden waren.
Zu Beginn spielt der Film noch mit Motiven des Okkulten, die nach und nach als Sublimierungen der Hauptfigur dechiffriert werden. Genauso wie die verschrobenen Figuren des schaurig-abgeschiedenen Ortes Stereotypen bleiben, bleibt auch das Okkulte weitgehend Gimmick. Das könnte man als weitgehend belanglos verzeihen, wenn sein dramaturgischer Zweck – ein Auslöser für die Hauptfigur, ihr altes Trauma aufzuarbeiten – auch zu erzählerischer Schärfe führen würde.
Doch auch hier flüchtet sich «Schattengrund» in eine eklatante Beliebigkeit. Die Motive und Trigger – der Schnee; eine seltsame Figur, die bei einer jährlich stattfinden Prozession durch das Dorf getragen wird; alte Tragödien unter Tage – bleiben unterkomplex, sind arm an narrativer Gerissenheit und lassen nur die offensichtlichsten Schlüsse zu. Dass aus der tatterigen Spinnerin am Schluss die weise Mahnerin wird, ist schon der erzählerische Höhepunkt. Schade: Denn der Stoff bot genug an klugen Ideen und packender dramatischer Grundsituation, um daraus einen psychologisch dichten, schaurig-okkulten Thriller zu spinnen.
Das ZDF zeigt «Schattengrund» am Montag, den 10. Dezember um 20.15 Uhr.
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