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«The House That Jack Built»: Selbstanalyse, Kritiker-Demontage, Mordsspaß

Massenflucht in Cannes, breit gestreutes Kritiker-Echo und eine gerade so erhaltene FSK-Freigabe ab 18 Jahren: «The House That Jack Built» ist eine ebenso missverstandene wie starke Komödie.

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Gewalt und Groteskes


Aufgesetzt scheue Schmunzler, nervöses Spielen an der Brille und in freundlicher Kadenz vermittelte Selbstbeweihräucherung machen diesen Serienmörder aus, der ja so, so, kultiviert ist. Es ist saukomisch. Wenn man sich erst einmal gestattet, diesen Film als Komödie zu erkennen. Als Ansammlung finsterer Sketche, die Killerfilme in ihrer "Ihr wollt es doch sehen, um es dann zu verurteilen!"-Metalogik übersteigern, sie visuell aber herunterbrechen. Als parodistischer Zerrspiegel dessen, was wir dem dänischen Autorenfilmer zutrauen. Als "Ihr wisst eh, was kommt"-Anti-Witze, die dadurch lustig werden, wie unverblümt sie nach ausführlichen Bitten um Humanität die gebotenen Gräueltaten darstellen.

In diese Humormentalität muss man erst rein finden, ganz gleich, wie ausgiebig von Trier anfangs die Hilfestellung macht. Denn sein Rollenspiel, in dem er den menschenverachtenden Troll gibt, zieht von Trier eben doch nicht komplett durch. Was aber, wie die Zitate zu Beginn dieser Kritik belegen, nicht alle erkennen können oder wollen. Um es mit Jacks Arroganz zu sagen: Beschämend, diese Kleingeistigkeit.

Angesichts dieser absurd-makaberen Perspektive, aus der von Trier auf seine eigene Filmografie und das Serienkillergenre blickt, und angesichts dessen, wie sehr «The House That Jack Built» aus der kaputten Weltsicht seiner Titelfigur erzählt wird, ist die Gewaltdarstellung in diesem Film so herrlich doppelbödig. Jack agiert, wenn er mordet, eiskalt und mechanisch. Und von Trier hält drauf. Er zeigt, wie sich Jack auf eine Witwe stürzt und ihr die Kehle zudrückt, bis ihr Röcheln verstummt. Wir sehen, wie Gewehrmunition in Menschen eintritt und deren Körper durch den wuchtigen Aufprall deformiert werden. Wir sehen, wie Jack bläulich-blasse Leichen verformt, um seine gekühlten Erinnerungsstücke zu Kunst zu erheben. Und doch ist all dies, dem naturalistischen, unvermittelten inszenatorischen Stil zum Trotz, überaus absurd.

Ja, Gemüter, die noch nicht durch mehrere Dutzende an Exploitationfilmen, splattriger Horrorfilme und betont brachialer Actionkracher abgestumpft sind, dürfen, ja, sollen sich im Kinosessel winden. Denn von Trier lässt Jacks Opfer nicht wie eine reine Statistik dastehen. Ja, sie alle sind flach skizziert, wir betrachten sie immerhin aus Jacks gefühllosen Augen. Und dennoch menscheln sie. Da gibt es die ironische Nervensäge (Uma Thurman). Die naive, aber liebevolle Mutter (Sofie Gråbøl). Und die Herzensgute, die Jack für saudumm hält (Riley Keough). Wenn ihnen was passiert, sind sie für uns kein Kanonenfutter wie in so manchen Folterhorror. Aber wieso dann ist das alles ein reiner Witz?

Der Witz ist die enorme Diskrepanz.

Ethik und Provokation


Semi-dokumentarische Inszenierung einerseits, weltfern überzeichnete Nebenfiguren andererseits. Ein sich selbst beweihräuchernder Serienmörder, der minutenlange Monologe über Kunst, Kultur und Geschichte halten kann, der sich für raffiniert und hochbegabt hält – und der grobschlächtig an sein Werk herangeht. Der mit mehr Glück als Verstand davonkommt und der eine abartig entstellte Leiche zufrieden grinsend anblickt und sich denkt: "Das sieht täuschend echt aus." Minutenlang zaudert dieser Film, dessen zweite Erzählerstimme nach Menschlichkeit schreit, um dann doch teuflischen Voyeurismus zu betreiben und Gewalt sowie Menschenverachtung so dick aufgetragen festzuhalten als befänden wir uns in einem Buster-Keaton-Slapstickfilm, der mit Eli Roths Horrormentalität gekreuzt wurde.

Grauen und Grenzüberschreitung in «The House That Jack Built» sind grotesk, überhöht, plump – ganz gleich, wie sehr wir nach «Sieben», den Hannibal-Lecter-Filmen und Dutzenden von anderen Filmen und Serien dazu geneigt sind, Jack zu glauben, wenn er sich als verkanntes Genie beweihräuchert. Und darüber dürfen wir lachen. Es ist ein entwaffnendes, die Aura der Ehrfurcht zerstörendes, das Bild des beeindruckenden Soziopathen dekonstruierendes Lachen. Und eben kein menschenverachtendes. Selbst wenn wir dazu eingeladen werden, zu kichern, wenn einem Menschen der Kopf weg gepustet wird.

Und so diffus teils die Trennlinie zwischen "Hier ist Jack Lars von Triers Avatar", "Hier ist Jack eine Karikatur dessen, was von Trier glaubt, wie seine Kritiker ihn sehen" und "Hier ist Jack eine verächtlich skizzierte, zappendüstere Persiflage des Bildes eines kultivierten Killers" ist: In den entscheidenden Momenten ist sie eben doch rasiermesserscharf. Etwa in der vierten Episode innerhalb des Filmes, wenn Jack seine Freundin mit dem (von ihr gehassten) Spitznamen Simple als nächstes Opfer auserkoren hat. Denn ein sich wiederholender Tanzschritt in «The House That Jack Built» ist, dass Jack seinen Redeschwall nachvollziehbar beginnt und dann ins Verabscheuungswürdige umkippt – und sich dabei selber widerspricht. Beispiel: Er sei kein Frauenhasser, nur, weil er von weiblichen Opfern erzählt, sagt Jack dem ihn kritisch hinterfragenden Bruno Ganz. Ein fiktives Zwiegespräch von Triers mit seinen Kritikern, die es übersehen, wann immer Männer in seinen Filmen leiden, und sich allein auf seine gequälten Frauenfiguren stürzen? Möglich.

Wenn aber Jack gallig, mit Wutspucke, die ihm entfleucht, Simple erklärt, er als Mann sei viel bedauernswerter, weil er ja als Täter geboren wurde, und Frauen es als naturgegebenes Opfer so viel leichter hätten, widerspricht das Monstrum seiner kühlen Behauptung, kein Frauenfeind zu sein. Ein Wechselspiel nimmt in diesem Moment seinen Lauf. Und es wäre daher kurzsichtig, durchweg Jacks Aussagen mit den Positionen von Triers gleichzusetzen.

Denn so perfide unter anderem die Simple-Sequenz sein mag, wohnt ihr eine sehr wichtige Botschaft inne: Simple, der Riley Keough als einzige von Jacks Opfern durch ihre ruhige, offene Mimik mehrere charakterliche Schattierungen verleiht, sucht nämlich Hilfe. Sie geht zur Polizei, erzählt, welche grausame Beichte ihr Freund ihr gerade abgelegt hat, und dass sie um ihr Leben fürchtet. Aber was macht der Polizist? Er mahnt Simple und Jack, weniger zu trinken und nicht weiter so einen Schwachsinn abzuziehen. Zuerst ist Simple nervös und aufgebracht, aber Keoughs Spiel zeigt, wie sie sich von den Behörden in die fatale Irre führen lässt. Sie atmet ruhiger, blickt desorientiert, zweifelnd aus der Wäsche. Als würde sie denken: "Was, wenn ich wirklich betrunken und unnötig hysterisch bin?"

Als sie später wieder zu Vernunft kommt und doch um Hilfe schreit, kümmert sich niemand um sie. Ist es nur, weil sie in der herzlosen Welt eines Lars-von-Trier-Films lebt? Oder ist dies einer der härtesten, wahrhaftigsten, schmerzvollsten Augenblicke in «The House That Jack Built»? Wohl eher letzteres: Es ist der Moment der Erkenntnis, dass die Welt wirklich so mit Frauen umspringt, die sich in einer ähnlichen Lage wie Simple befinden. «The House That Jack Built» lässt sich vieles vorwerfen, manche dieser Vorwürfe dürften von Trier sogar gefallen, wenn er es sich gerade in seiner Trollmentalität bequem gemacht hat. Doch diesen Film, der das kalte Desinteresse (männlicher) Behördenvertreter am Wohlsein um Hilfe bittender Frauen so treffend einfängt, an der Weltsicht seines Killers abzugelten, ist eine bittere Fehlentscheidung.

Fazit: Lars gegen sich und die Welt


«The House That Jack Built» ist simpel: Es ist eine teerschwarze, hochvergnügte, eloquente Komödie über einen Serienkiller. «The House That Jack Built» ist komplex: Lars von Trier trollt seine Fans und seine Feinde. Er bringt innere Dialoge über die Trennung zwischen Kunst und Künstler auf die Leinwand. Er positioniert sich analog zur Titelfigur, lässt sie als "Lars von Trier, nur dass er mordet statt Filme zu drehen" auftreten und reißt diese Parallele dann mit Gewalt ein, jagt sie von Lars-von-Trier-Filmzitaten begleitet in die Luft. Er persifliert Filme über kultivierte Serienmörder, rümpft die Nase über die ungewollte Verherrlichung von Übeltätern und suhlt sich dann wieder in exzessiver Gewalt und Lobreden auf einen NS-Architekten – um zu schocken, um die Trennung von Kunst und Künstler zu unterstreichen und um gleichzeitig auf von Triers Cannes-Verbannung anzuspielen.

«The House That Jack Built» ist ein absurd-paradoxes, faszinierendes, urkomisches, boshaft vermitteltes Meisterstück von einer intellektuellen, frivolen Komödie. All das stützt auf einer hervorragenden Darbietung Matt Dillons – und aus der Annahme, dass man sich nicht bereits von der Fassade dieses Hauses abschrecken lässt.

«The House That Jack Built» ist derzeit unter anderem in der arte-Mediathek zu sehen.
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28.11.2018 22:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/105530
Sidney Schering

super
schade


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Tags

Nymph()maniac Monty Python Sieben The House That Jack Built Boyhood Melancholia

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
TwistedAngel
11.11.2020 20:05 Uhr 3
Den Verdacht hatte ich auch, aber dann könnte man den Artikel ja mit einem TV-Tipp updaten und "Das perfekte Geheimnis" kommt ja wohl noch nicht im TV, oder?! ;-)
Neo
11.11.2020 20:09 Uhr 4

Keine Ahnung. Vielleicht aktuell frisch von irgendeinem Streamingdienst gekauft?

Bei Get Out stand ein Hinweis drunter (kam ja Montag im ZDF) und hier und beim Geheimnis müsste mans nochmal nachlesen.



Edit: Okay hier zumindest auch der Hinweis auf arte.

Edit2: Beim Geheimnis steht nur, dass er streambar ist. Wäre natürlich sinnvoll zu wissen wo >:)
Fabian
12.11.2020 14:03 Uhr 5
Das Herauskramen von alten Themen ist nichts Neues und wird weiterhin auch nur als Bonus geschehen. Das ist ein Service an unsere Leser.
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