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Die Kritiker: «Sieben Stunden»

Sieben Stunden lang wird eine Gefängnispsychologin von einem Insassen vergewaltigt. Der Film erzählt diese Geschichte nach einer wahren Begebenheit leider nicht mit letzter Konsequenz.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Bibiana Beglau als Hanna Rautenberg
Till Firit als Petrowski
Thomas Loibl als Stephan Rüther
Norman Hacker als Ulrich Riedl
Mareike Sedl als Heidi
Imogen Kogge als Vera
Andreas Bichler als Didi Jung

Hinter der Kamera:
Produktion: H & V Entertainment GmbH
Drehbuch: Christian Görlitz (auch Regie) und Pim G. Richter
Kamera: Sten Mende
Produzentin: Ina-Christina Kersten
Der Film beginnt als die Geschichte eines kolossalen Irrtums: Hanna Rautenberg (Bibiana Beglau), die Leiterin der ersten sozialtherapeutischen Station für Sexualstraftäter in Deutschland, sieht in ihrem Insassen Petrowski (Till Firit) einen Musterhäftling. Sie ist überzeugt: Wenn ihr mal einer der Gefangenen etwas antun sollte, wäre er der Erste, der ihr zur Hilfe käme.

Als sie ihm beiläufig einen augenscheinlich banalen Wunsch abschlägt, eskaliert die Situation. Er bedroht sie mit einem Messer, verbarrikadiert sich in ihrem Büro und hält sie dort sieben Stunden lang gefangen, während derer er sie bestialisch vergewaltigt und erniedrigt.

Nach dem Ende dieses Martyriums ist Rautenberg ein Wrack. Ihr Sohn und ihr frisch getrauter Ehemann stehen ihr zwar liebevoll zur Seite; doch ihr ist sofort klar, dass ihr altes Leben mit dem an ihr begangenen Verbrechen geendet hat: Ausgeschlossen, dass sie jemals wieder als Psychiaterin in einer Justizvollzugsanstalt wird arbeiten können.

Dieser Film will vieles erzählen: Rautenbergs Rückkehr in so etwas wie Normalität, ihren Kampf um Aufarbeitung, ihr Ringen um seelische Stärke und Deutungshoheit, den Spießrutenlauf des Prozesses gegen ihren Täter, die Ignoranz der Anstaltsleitung, die ihre Fehlentscheidungen während der Geiselnahme nicht als solche anerkennen will, kurz: zu viel für einen Neunzigminüter, der den Anspruch an sich hat, differenziert, einnehmend und klug erzählen zu wollen.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, diesen Stoff, der frei auf Motiven aus Susanne Preuskers Autobiographie aufbaut, zu inszenieren: als introspektives Stück über die Rückgewinnung von Selbstbestimmung, die psychologische Aufarbeitung des Traumas und die Ablegung von Opfer-Haltung und –Stigma – oder als äußere Geschichte über den Kampf um Anerkennung des Erlebten, das Erkämpfen von „äußerer“ Gerechtigkeit durch Prozesse gegen den Täter und die Anstaltsleitung.

«Sieben Stunden» will beides erzählen – an sich ein legitimer Versuch, aber gleichzeitig eine enorme dramaturgische Herausforderung, die diesem Film leider nicht mit letzter Überzeugung gelingt. Aus dem Wechselspiel zwischen Introspektion und äußerer Handlung, zwischen enger Beobachtung des Seelenzustands seiner Protagonistin und der Erzählung des Ganges der (tatsächlichen) Ereignisse wird ein Lavieren, eine erzählerische Unentschlossenheit, durch die der Film letztlich an psychologischer Vielschichtigkeit einbüßt. Im Idealfall hätten sich beide Stoßrichtungen hervorragend ergänzen können – schließlich bedingt die Introspektion ganz entscheidend die folgenden Handlungsabläufe, – doch «Sieben Stunden» ist zu sehr an einer für die Essenz seines Stoffes unwichtigen Chronologie und Makroperspektive interessiert. Viele spannende Ansätze werden daher rasch eingeführt, bleiben aber unnötig oberflächlich: Allein Rautenbergs Gespräche mit ihrer Psychotherapeutin (eindringlich stark gespielt: Imogen Kogge) hätten Raum für einen ganzen Akt geboten.

Gleichzeitig sucht dieser Film besonders die melodramatischen Elemente, durch deren Häufung er seine psychologische Ebene mitunter unangemessen fahrig gestaltet. Auch das große Verbrechen bleibt eine Andeutung, nicht nur (verständlicherweise) visuell, sondern ebenso dramaturgisch. Was genau mit Hanna Rautenberg während ihrer Geiselnahme geschehen ist, erfährt der Zuschauer nur in Ansätzen. Es bleibt bei der Umschreibung („die furchtbarsten Dinge, die du je gehört hast“, sagt sie ihrem Sohn, als sie sich entschieden hat, im Prozess gegen ihren Täter auszusagen) oder bei der Flucht ins Vulgäre zur Selbstabwertung („Er hat mich zu seiner Nutte gemacht“). Doch diesem Drehbuch hätte es gutgetan, nicht visuell, aber erzählerisch in diesem Punkt präziser und konkreter zu werden; die Angst vor einer unanständigen Voyeurisierung wäre gerade angesichts einer solch talentierten Hauptdarstellerin wie Bibiana Beglau, die in diesem Film brilliert, unnötig gewesen. Vielmehr hätte eine solche Präzisierung jedoch dazu beigetragen, die Geschichte fassbarer zu machen und letztlich das zu erreichen, was dieser Film als oberstes dramaturgisches Ziel anzustreben scheint: die Befreiung seiner Hauptfigur aus der Opferrolle, in die sie nicht gehört.

«Sieben Stunden» versucht dies auf einem anderen Weg zu erreichen, mit einer Abrechnung: In einer Phantasie kehrt Hanna Rautenberg in die Justizvollzugsanstalt zurück, geht in die Gefängniswäscherei, wo sie Petrowski findet, allein. Sie geht auf ihn zu, strotzend vor Selbstbewusstsein. Er dagegen: verschüchtert, fast kindlich in seiner Hilflosigkeit. Sie greift ihn sich, peinigt ihn mit ihren eloquenten Worten, in denen sie ihm ihre Stärke präsentiert, ihre überdeutliche Überlegenheit, und ihn zur ewigen Qual verdammt, bis zum Ende seiner Tage die Bilder seiner Opfer vor Augen zu haben, der lebenden und der toten. Ein eindrucksvoller Moment, aber eben nur Fiktion in der Fiktion. Filmisch ist eine Katharsis möglich, in einer befreienden Phantasie. Der Film eröffnet Möglichkeiten, die in der Realität verschlossen bleiben. Wirklich gute Filme jedoch eröffnen durch das Unmögliche die vielen Möglichkeiten, die die Realität tatsächlich vorhält. «Sieben Stunden» gelingt dies leider nicht mit der Bravour, die man diesem Projekt gewünscht hätte.

Das Erste zeigt «Sieben Stunden» am Mittwoch, den 28. November um 20.15 Uhr.
27.11.2018 11:10 Uhr Kurz-URL: qmde.de/105454
Julian Miller

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Sieben Stunden

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