Der deutsche 'Playboy' sorgte mit einem Interview für internationale Furore, in dem Ennio Morricone über Quentin Tarantino herzieht – ein Interview, das so nie stattgefunden hat.
Eine lebende Legende der Filmmusik. Der deutsche Ableger eines Herrenmagazins. Abwertende Zitate über einen weltberühmten Regisseur. Die Drohung, vor Gericht zu ziehen. Ein Schuldeingeständnis. Material genug für ein Filmdrama über Journalismus, Lug und Betrug? Womöglich. Auf jeden Fall ist es eine Medienanekdote, die sich über die vergangenen paar Tage gezogen hat. Aber für alle, die es nicht mitbekommen oder den Überblick verloren haben, hier nochmal alles Schritt für Schritt: Anlässlich des 90. Geburtstages und einer neuen Konzerttournee der lebenden Komponistenlegende Ennio Morricone («Spiel mir das Lied vom Tod», «Zwei glorreiche Halunken») veröffentlichte der deutsche 'Playboy' ein Interview, in dem der Italiener über einen preisgekrönten, populären Regisseur herzieht: Quentin Tarantino.
Tarantino ist als riesiger Verehrer Morricones bekannt und verwendete bereits existierende Musik des Komponisten unter anderem in «Kill Bill» und «Inglourious Basterds». Für «The Hateful Eight» heuerte Tarantino letztlich den Mann, der den Klang des Italowesterns für immer und ewig prägte, für einen kompletten Original-Score an – eine Zusammenarbeit, die Morricone einen Academy Award einbrachte. In der 'Playboy'-Dezember-Ausgabe lässt Morricone aber kein gutes Haar an Tarantino, den er als "Kretin" bezeichnet sowie als einen "absolut[en] Chaot[en]", der "redet, ohne zu überlegen" und der kein Talent hätte, sondern nur klauen würde.
Zitate, die anschließend um die Welt gingen und von der globalen Filmpresse breitgetreten wurden. Sie sorgten zudem für Verwirrung, denn auch die 'Zeit' veröffentlichte einen Artikel mit neuen O-Tönen Morricones. Und in diesem Beitrag ist der Komponist
voll des Lobes für den «Pulp Fiction»-Regisseur und -Autor Quentin Tarantino. Bald darauf schaltete sich Morricone selber ein und erklärte auf seiner Webseite, dass die Zitate aus dem deutschen 'Playboy' nicht der Wahrheit entsprechen würden. Zunächst zweifelte der deutsche 'Playboy' Morricones Dementi der Zitate an und betonte, Ort und Zeitpunkt des Interviews belegen zu können. Es dauerte nicht lange, bis seitens Morricone die Androhung rechtlicher Schritte erfolgte.
Die Saga hat nun ein Ende gefunden. Ja, das Interview fand statt. Aber: Nein, die gegen Tarantino schießenden Passagen sowie weitere Stellen mit kontroversen Statements wurden vom Autoren des Artikels frei erfunden. 'Playboy'-Chefredakteur Florian Boitin gibt dies nun ebenso kund wie Morricones Konzertagentur, die öffentlich ein Entschuldigungsschreiben des Interviewers teilt. Boitin bittet in seinem Pressestatement Morricone um Vergebung: Der verantwortliche Autor sei ihm zuvor als verlässlicher Freelancer mit validen Referenzen in Print und Hörfunk bekannt gewesen, für ihn gab es bis dato "keinen Anlass, an seiner journalistischen Integrität und seinen Fähigkeiten zu zweifeln", weshalb es ihn überrascht, dass "Teile des Interviews nicht korrekt wiedergegeben wurden".
Morricones Konzertagentur General Entertainment Associates ergänzt das Bild: Der deutsche Partner der Konzertreihe, Semmel Concerts, lud den Freelancer ein, der angab, das in Morricones Anwesen entstandene Material für den 'Deutschlandfunk' zu verwerten. Dort veröffentlichte er tatsächlich einen Beitrag – ohne stritige Zitate. Für den 'Playboy' verfasste der Journalist einen weiteren Artikel – dieses Mal mit Schimpftiraden gegen Tarantino, Amerika und die Academy of Motion Picture Arts & Sciences, die sämtlichen weiteren Personen, die während des Gesprächs anwesend waren (darunter eine Übersetzerin und Vertreter seitens Semmel Concerts), fremd sind.
Was den Freelancer dazu bewegt hat, das Interview zu verfälschen, weiß wohl nur er. Aber in einem Entschuldigungsschreiben, das Morricones Konzertagentur General Entertainment Associates in einem englischsprachigen Statement teilt, bezeichnet er sein Verhalten als "schrecklichen Fehler", bittet um Vergebung und sieht ein: "Ich hätte beim Original-Interview bleiben sollen, wie es in Rom stattfand, statt Dinge hinzuzufügen, die nicht korrekt sind."
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