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Die Kritiker: «Keiner schiebt uns weg»

Die Sozialkomödie zum Thema Gleichberechtigung in den 70ern weiß durch ihr Gespür für die Mentalität des Ruhrpotts und ein starkes Drehbuch zu überzeugen. Alwara Höfels spielt in Bestform.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Alwara Höfels als Lilli Czipowski
Imogen Kogge als Gerda Rapp
Katharina Marie Schubert als Rosi Kessler
Karsten Antonio Mielke als Kalle Knobel
Christoph Bach als Ritschi Blaschke
Johanna Gastdorf als Frau Radtke
Martin Brambach als Wolfgang Kessler
u.v.m.

Hinter der Kamera:
Buch: Sebastian Orlac, Ulla Ziemann
Regie: Wolfgang Murnberger
Kamera: Peter von Haller
Produzentin: Katharina Trebitsch
Das Recht auf Gleichberechtigung der Geschlechter ist seit 1949 im deutschen Grundgesetz verankert. Umso erstaunlicher, dass es sich bei Lohnungleichheit um ein dauerpräsentes Thema handelt und Frauen im Durchschnitt immer noch 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Diese Info liefert die Drama-Komödie «Keiner schiebt uns weg» kurz vor dem Abspann. Dass es selbst zu den jetzigen Verhältnissen ein steiniger Weg war, zeigt der Film in den eineinhalb Stunden zuvor deutlich auf. In Anlehnung an eine wahre Begebenheit wird die Geschichte von Lilli und ihren Arbeitskolleginnen erzählt, die Ende der 70er Jahre im Ruhrgebiet allen Widerständen zum Trotz für Lohngleichheit von Frauen und Männern kämpfen:

Gelsenkirchen, 1979. Durch Zufall erfährt Lilli (Alwara Höfels), dass ihr Mann Kalle (Karsten Antonio Mielke) und seine Kollegen deutlich mehr Lohn für ihre Arbeit bekommen als die Frauen im Fotolabor. Und das, obwohl Kalle noch gar nicht so lange im Betrieb ist. Lilli und ihre beiden Freundinnen, Gerda (Imogen Kogge) und Rosi (Katharina Marie Schubert) sind aufgebracht und wollen dagegen vorgehen, steht doch seit über 30 Jahren im Grundgesetz: Männer und Frauen sind gleichberechtigt – auch in Bezug auf Lohngleichheit.

Dabei haben die drei Frauen eigentlich schon genug Probleme. Lilli kämpft mit dem Vater ihrer beiden Kinder, der sie zu allem Überfluss mit einer anderen Frau betrügt. Dazu kommen die unbezahlten Rechnungen und ein kaputtes Auto. Rosi hingegen arbeitet heimlich bei Foto Kunze – gegen den Willen ihres Mannes –, um das heile Bild vom Familienglück aufrechtzuerhalten, denn das Geld ihres Mannes Wolfgang (Martin Brambach) reicht für ihren Lebensstandard nicht aus. Und Gerda fristet nach dem Tod ihres Gatten ein recht einsames Dasein in ihrer Gartenlaube. Doch die Frauen wollen sich nicht länger unterbuttern lassen. Für eine Anklage gegen ihren Arbeitgeber benötigen sie mehr als die Hälfte der Frauen im Betrieb hinter sich und können sich des Zuspruchs von Betriebsratsmitglied Ritschi (Christoph Bach) sicher sein.

Dabei legen sich die Frauen nicht nur mit der gesamten Chefetage ihrer Firma an, sondern auch mit den männlichen Kollegen im Betrieb und ihren Familien. Hier betont der Film völlig richtig, dass der Kampf um Gleichberechtigung nicht an der Tür der Firma endet, sondern so richtig erst in den eigenen vier Wänden beginnt. So sehr die Frauen für ihre Rechte auch kämpfen, wenn sie mit Männern verheiratet sind, die sie überhaupt nicht arbeiten lassen wollen oder diese Erlaubnis als gnädige Geste verstehen, bewegt sich wenig. Die Geschlechterrollen der 70er Jahre sind noch recht klar verteilt und das langsame Aufbrechen dieser eine der großen Wandlungen des Jahrzehnts. Die 70er selbst werden durch eine äußerst gelungene Requisite zum Leben erweckt, Blümchentapete inklusive.

Neben seinem gesellschaftspolitischen Touch ist der Film auch eine Hommage an den Ruhrpott. Der direkte, bisweilen raue Umgang auf der einen, und das herzlich-menschliche auf der anderen Seite wird der Region ja praktisch per Gesetz zugeschrieben. Diese Mentalität wird hier auf sehr sympathische Art und Weise dargestellt, wenngleich hier und da etwas ins Pathos abgedriftet wird. Das Drama der Zechenschließungen, welche das Revier ins Mark trafen, wird immer wieder thematisiert. Einziger Schönheitsfehler: In Gelsenkirchen weiß man üblicherweise, dass donnerstags keine Bundesliga-Spiele stattfinden – eine schlechte Ausrede.

Der Ruhrpott-Umgangston schlägt sich auch in den spritzigen Dialogen wieder, welche die Komödie zu einem recht kurzweiligen, auch dramaturgisch starken Vergnügen werden lassen. «Keiner schiebt uns weg» verzichtet ganz bewusst auf ein „Gag-Feuerwerk“, was dem ernsten Thema auch nicht gerecht geworden wäre. Stattdessen spielt das gelungene Drehbuch von Sebastian Orlac und Ulla Ziemann mit dem erwähnten Malocher-Slang und sorgt so lieber für einige gezielte Lacher.

Das Drehbuch wird aber auch durch die starken schauspielerischen Leistungen zum Leben erweckt. Alwara Höfels scheint die Rolle der taffen, lauten und pragmatischen Lilli auf den Leib geschrieben. Die besten Sprüche des Films sind zu Recht ihr vorbehalten. Karsten Antonio Mielke und Martin Brambach überzeugen in ihren Rollen als Ruhrpott-Machos, denen all die Frauenpower um sie herum zunehmend unheimlich wird. Beide Darsteller beweisen ein sehr feines Gespür für Timing.

Der laute Charakter des Films wird durch eine sehr präsente diegetische und außerdiegetische musikalische Untermalung verstärkt, was sich gut in die Geschichte einfügt, manchmal jedoch etwas kitschig wirkt. Der titelgebende Solidaritätssong der Arbeiterinnen bleibt jedenfalls im Kopf – denn keiner schiebt sie weg.

Das Erste zeigt «Keiner schiebt uns weg» am Mittwoch, den 14. November um 20.15 Uhr.
14.11.2018 16:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/105176
Christopher Schmitt

super
schade


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Keiner schiebt uns weg

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