Nach seinen beiden Meisterwerken «Whiplash» und «La La Land» zieht es Regie-Legende Damien Chazelle weg von der Erde und rein ins Weltall. Sein Neil-Armstrong-Biopic «Aufbruch zum Mond» bringt uns den ersten Mann auf dem Mond von einer Seite näher, wie wir sie noch nie gesehen haben
Filmfacts: «Aufbruch zum Mond»
- Start: 8. November 2018
- Genre: Biopic/Drama
- Laufzeit: 141 Min.
- FSK: 12
- Kamera: Linus Sandgren
- Musik: Justin Hurwitz
- Buch: Josh Singer
- Regie: Damien Chazelle
- Darsteller: Ryan Gosling, Claire Foy, Jason Clarke, Kyle Chandler, Corey Stoll, Christopher Abbott
- OT: First Man (USA 2018)
Seit Beginn seiner Karriere gilt Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle als
das neue Wunderkind Hollywoods. Sein auf dem gleichnamigen Kurzfilm basierendes Spielfilmdebüt «Whiplash» inszenierte er mit gerade einmal 28 Jahren in nur 19 Tagen mit Weltstars wie J.K. Simmons, der dafür sogar einen Oscar als bester Nebendarsteller erhielt. Auch für das nostalgische Hollywood-Musical «La La Land» regnete es internationale Filmpreise und Anerkennung aus höchsten Branchenkreisen, während viele vergessen, dass Chazelle auch für solche Projekte wie «10 Cloverfield Lane» oder «Der letzte Exorzismus 2» verantwortlich zeichnete, wofür er lange vor, beziehungsweise zwischen seinen kinematografischen Heldentaten die Drehbücher verfasste. Setzt er seinen Triumph mit seinem neuesten Projekt, der Verfilmung der Neil-Armstrong-Biographie «First Man» fort, oder zerschlagen sich alle Hoffnungen der Kritiker, schon vor Jahren eine neue Filmlegende entdeckt zu haben?
Obwohl sein Film bei der Weltpremiere in Venedig einen kleinen Prestige-Dämpfer erhielt – man hatte es doch tatsächlich gewagt, den weltberühmten Moment, als die Astronauten Armstrong und Aldrin die US-Flagge in die Mondoberfläche rammen, nicht zu bebildern. Kein Wunder: «Aufbruch zum Mond» ist kein patriotischer Heldenfilm, sondern ein intimes Charakterporträt. Und als solches ist Chazelles neueste Arbeit ein zu gleichen Teilen erzählerisches wie audiovisuelles Meisterwerk.
Der erste Mensch auf dem Mond
Neil Armstrong (Ryan Gosling) ist ein ehemalige Navy-Pilot, der sich seit dem tragischen Tod seiner zweijährigen Tochter wie wild in die Arbeit stürzt. Er hat klar ein Ziel vor Augen: Als erster Mensch in der Geschichte will er einen Fuß auf den Mond setzen. Doch um es zu erreichen, muss er einen langen, steinigen Weg bestreiten, auf dem viele seiner Kollegen das Zeitliche segnen. Das bekommt auch seine Frau Janet (Claire Foy) mit, die sich mit anderen Astronauten-Gattinnen austauscht und dabei feststellt, wie sie nach und nach den Zugang zu ihrem Mann zu verlieren droht. Als sie ihn eines Tages mit ihrer Angst konfrontiert, Neil eines Tages nicht mehr in ihre Arme schließen zu können, steht der junge Mann vor einem innerlichen Zwiespalt. Familie oder Karriere? Doch lange kann er nicht nachdenken, denn schon bald klingelt das Telefon und am anderen Ende der Leitung unterbreitet man ihm das Angebot für einen Flug auf den Mond…
Gemini und Apollo – das sind die beiden Raumfahrtprojekte, auf deren Basis schließlich der erste bemannte Mondflug geplant wurde: die Apollo-11-Mission. Doch in «Aufbruch zum Mond» geht es nur sekundär um die Geschichte der US-amerikanischen Raumfahrt. Stattdessen steht ganz in der Tradition der von James R. Hansen verfassten Biographie das Leben der Armstrongs im Mittelpunkt. «Spotlight»-Drehbuchautor John Singer setzt direkt zu Beginn ein erzählerisches Statement: Armstrongs Tochter stirbt im Alter von zwei Jahren und bringt das bis dato so stabile Familiengefüge vollkommen aus dem Gleichgewicht. Damien Chazelles Film macht keinen Hehl daraus, dass Neil Armstrongs aufgebrachter Ehrgeiz gegenüber der Mondmission nicht aus einem patriotischen Bewusstsein heraus entstanden ist (dass sich ganz nebenbei auch noch der Wettstreit zwischen den Amerikanern und den Russen abspielt, wird in «Aufbruch zum Mond» allenfalls am Rande kurz beleuchtet), sondern aus einem zutiefst emotionalem Grund, den Chazelles Stammkameramann Linus Sandgren im Schlussakt des Films bravourös einfängt – ein Kinomoment für die Ewigkeit!
Ryan Gosling («The Place Beyond the Pines») mimt den innerlich zerrissenen und zum Teil gebrochenen Raumfahrer mit aller Aufopferungsbereitschaft und nimmt schnurstracks Kurs auf seine dritte Oscar-Nominierung, während «The Crown»-Star Claire Foy zunächst nicht mehr als die liebende Ehefrau zu mimen scheint, jedoch nach und nach immer mehr für sich und ihre eigenen Ideale einsteht.
Ein Oscar für Ryan Gosling?
Erzählerisch ist «Aufbruch zum Mond» ganz Familiendrama, das sich außerdem nicht scheut, die Mission auf einer weiteren, ethischen Ebene zu hinterfragen. Darf man zu Gunsten der Weltraumforschung eigentlich Menschenleben aufs Spiel setzen? In welchem Verhältnis stehen die horrenden Forschungssummen zum Nutzen für den Normalbürger? Und ist es egoistisch, sich gegen die Familie und für seine Arbeit als Astronaut zu entscheiden? All diese Elemente bringen Würze in den trotz seiner 140 Minuten Laufzeit ungemein kurzweiligen Film, der obendrein mit einer spektakulären Optik aufwarten kann. «Aufbruch zum Mond» lässt mit seinen kristallklaren, aufs Wesentliche reduzierten Bildern, sowohl aus dem Weltall, als auch von der Erde (und sogar, indem auf der Leinwand beides verschmilzt) Erinnerungen an «Gravity», «2001» und «Interstellar» wach werden, die vor allem im iMax-Format so richtig zur Geltung kommen. Die technischen Effekte sind zumeist haptischer Natur. Und stammen sie doch einmal aus dem Computer, verschmelzen sie wie selbstverständlich mit ihrem Umfeld, sodass in «Aufbruch zum Mond» alles möglich scheint – man fühlt mit, wenn Neil Armstrong in der winzigen Raumkapsel ins All geschossen wird und glaubt, das Feuer der Explosionen, von denen es im Film gleich mehrere gibt, am eigenen Leib zu spüren.
Komponist Justin Hurwitz bringt das Thema Musik derweil als einen wesentlichen Aspekt im Film unter, der oft mehr aussagt, als die durchweg auf den Punkt geschriebenen Dialoge. Dabei erinnern die Klänge sicher nicht umsonst oft an seine preisgekrönten Motive aus «La La Land».
In den Nebenrollen setzen Namen wie Corey Stoll («Ant-Man»), Jason Clarke («Zero Dark Thirty») und Christopher Abbott («Piercing») entscheidende schauspielerische Akzente. Sie alle formieren sich zu einem Ensemble, das das Hauptdarstellerpärchen zwar in erster Linie „nur“ ergänzt, in entscheidenden Momenten jedoch deutlich macht, dass in «Aufbruch zum Mond» nicht die Raumfahrt an sich, sondern das sich in diesem Zusammenhang abspielende, menschliche Drama im Mittelpunkt steht. Immer wieder müssen Menschen auf dem Weg zur Apollo-13-Mission ihr Leben lassen, was auf der einen Seite die Gefährlichkeit des Unterfangens unterstreicht (Niemand, der diesen Film gesehen hat, wird sich danach noch in eine Raumkapsel auf dem technischen Stand der frühen Sechzigerjahre setzen wollen!), andererseits aber auch den unerschütterlichen Einsatz Armstrongs betont. Hier spielt Goslings Spiel, für das er von nicht wenigen gern aufgrund der vermeintlichen Monotonie kritisiert wird, der Charakterzeichnung des unnahbaren Astronauten in die Hände.
Auch wenn schon die dem Film zugrunde liegende Biographie tief in die Gehirnwindungen des Mannes eintaucht und versucht, Gedankengänge offenzulegen, die dem nach Sensation gierenden Publikum, die die Apollo-Mission nur als technischen Meilenstein wahrgenommen haben, bislang verborgen blieben, bleibt Armstrong auch nach dem Film zu weiten Teilen ein psychologisches Mysterium, das vermutlich nur seine Frau zu entschlüsseln vermochte. Nichts könnte diesen Umstand besser einfangen, als die perfekte Schlussszene – Damien Chazelle bringt auch seinen dritten Film im idealen Moment zu einem fulminanten, aussagekräftigen Schluss, ohne dafür den Bombast der vorherigen zwei Stunden bemühen zu müssen. Das Herz seines Films steckt eben auch diesmal im Detail.
Fazit
Mit «Aufbruch zum Mond» gelingt Damien Chazelle der nächste Eintrag in die Kinogeschichte. Sein Neil-Armstrong-Biopic ist keine Geschichte über einen US-amerikanischen Helden, sondern das Porträt eines sensiblen Mannes, der der Menschheitsgeschichte zu einem ihrer größten Triumphe verhalf.
«Aufbruch zum Mond» ist ab dem 8. November bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
06.11.2018 18:36 Uhr 1
Erstaunlich, das Sie mal einen, auf das maskuline Männerkinn zugeschnittenen Film positiv bewerten.
Problematisch ist aber, das es genau wie im Queenfilm Rhapsody, nicht um eine Person ging.
Man sieht schon die Problembehandlung, deutscher Titel, englischer Titel. Ich nehme denen wirklich übel, das das kein The Right Stuff geworden ist.