Auch wenn die «Hebammen im Einsatz» nicht den erhofften Erfolg brachten, bestreitet der Sender seinen 11-Uhr-Sendeplatz erneut mit Herz und Hirn - die Protagonisten sind diesmal aber Ärzte. Die kritische Frage hinter einer sehenswerten Sendung bleibt: Wer soll nun einschalten, der es bislang nicht getan hat.
Neue RTL-Daytime (Mo.-Fr.)
- 11 Uhr: «Der Nächste, bitte!»
- 12 Uhr: «Punkt 12»
- 14 Uhr: «Die Superhändler»
- 15 Uhr: «Hol dir die Kohle!»
- 16 Uhr: «Meine Geschichte - Mein Leben»
- 17 Uhr: «Freundinnen»
Fett markiert sind die am 15. Oktober startenden Formate.
RTL ist die Lust auf Scripted Reality gründlich vergangen: Während der Privatsender seine Daytime noch vor einigen Monaten eifrig mit Formaten dieser Couleur bestückt hatte, fungiert seit dieser Woche «Meine Geschichte - Mein Leben» um 16 Uhr als letztes Rudiment einer Programmausrichtung, die über einige Jahre hinweg erstaunliche Erfolge verbuchte, jedoch inhaltlich dermaßen schwer bekömmlich war und zugleich eine dermaßen übertriebene Dauerpräsenz ausstrahlte, dass der Sender aktuell rund um «Punkt 12» auf nahezu jedem Sendeplatz gravierende Probleme hat. Um 15 Uhr soll «Hol dir die Kohle!» fortan dem einzigen Hoffnungsschimmer «Die Superhändler» weiteren Aufwind verleihen, um 11 Uhr läuft mit
«Der Nächste, bitte!» das Ersatzformat des über Monate hinweg blass gebliebenen «Hebammen im Einsatz».
Der flapsig formulierte und inhaltlich relativ nichtssagende Sendungstitel verrät nicht zwingend, dass man um 11 Uhr inhaltlich durchaus an der Ausrichtung des vergangenen halben Jahres festhält, denn der Neustart zeigt Impressionen aus dem Berufsalltag von Ärzten, Hebammen und Therapeuten, wobei diese nicht nur in den Praxen und Krankenhäusern, sondern auch bei eventuellen Hausbesuchen begleitet werden. "Echte, emotionale Geschichten mit einer Prise Service" möchte das von infoNetwork verantwortete Projekt darbieten - also im Grunde so ziemlich genau das, was zuletzt auch schon «Hebammen im Einsatz» leisten wollte. Und in der Tat ist das Überraschendste an dem Format, dass sie trotz anhaltender Erfolglosigkeit des Vorgängers in nahezu exakt dieselbe Kerbe schlägt und überhaupt nicht um Innovationen bemüht ist.
Stattdessen geht es der Auftaktfolge augenscheinlich in erster Linie darum, den Zuschauer von Anfang an in die Arme zu schließen, die Authentizität der neuen Sendung zu betonen (es ist wohl kein Zufall, dass das Wort "echt" in den ersten zehn Sekunden gleich doppelt fällt) und ihm nichts weiter andrehen zu wollen als ein paar sympathische, kurzweilige und bestenfalls noch informative Einblicke in den Berufsalltag der Lebenshelfer. Mit einer lediglich mit Privatpatienten verkehrenden Dermatologin und einem bayerischen Landarzt, der einige Patienten tatsächlich noch zu Hause besucht, wird der Rezipient dann auch mit zwei Göttern in Weiß vertraut gemacht, die ein vergleichsweise romantisches und sehr harmloses Bild vom ärztlichen Alltag zu zeichnen scheinen, während die etwas weniger samtweich gespülten Geschichten bei einer Adipositaschirurgin in Berlin spielen.
Zwischen diesen drei Ärzten springt die Sendung in altbekannter Dokusoap-Manier mehrfach hin und her und legt dabei ein ziemlich gemächliches Erzähltempo an den Tag, das auch visuell oder auditiv keinerlei besondere Schmankerl zu bieten hat, sondern schlichtweg die Realität abbildet, Ärzte und Patienten hin und wieder direkt in die Kamera sprechen lässt und die daraus gewonnenen Bewegtbilder mit dem gewohnten Mix aus diversen Charthits anreichert. Damit setzt man gewiss keine neuen Impulse, was aber grundsätzlich insbesondere am Vormittag gar nicht mal verwerflich ist - auf die qualitativ düsteren Scripted-Dauerrotationszeiten rekurrierend kann man sogar sagen, dass hier erfreulich angenehme Menschen erfreulich intelligente Dinge in die Kamera sprechen und der Frontalcortex erfreulich geringen Schaden an dieser Sendung nimmt.
Die Frage, die dem Branchenkenner dabei aber stets im Hinterkopf rumschwirrt, ist: Wie will man damit frischen Wind aufziehen lassen? Als Verantwortlicher der Sendung kann man natürlich in erster Linie darauf verweisen, dass vorrangig (in Folge eins ausschließlich) Ärzte bei ihrer Arbeit begleitet werden und deren Alltag einen größeren Personenkreis ansprechen könnten als Hebammen. Denkbar, aber bei weitem nicht garantiert. Dass es durchaus nett und informativ ist, von einer Dermatologin erzählt zu bekommen, wie sich Muttermale differenzieren lassen oder einem Chirurgen bei der Magenverkleinerung eines stark übergewichtigen Menschen über die Schulter blicken zu können, bevor er den Sinn und Zweck dessen und die Auswirkungen dieses Eingriffs erklärt - keine Frage, dem ist so. Die inhaltliche Existenzberechtigung der Sendung liegt anders als bei manch einem Laientheater-Festspiel mit Hang zur Gossensprache auf der Hand.
Aber unterm Strich kann das schlichtweg zu wenig sein, um sich gegenüber der schlechten Quotenbilanz der Hebammen abzusetzen, denn viel mehr als hübsch und nett ist das Dargebotene nicht. Der bemerkenswerteste produktionsbezogene Aspekt ist schon ein charmanter und humoriger Off-Sprecher, der am Ende der Episode sogar selbstreferenziell wird und vor Verkündung des Ausmaßes der Gewichtsreduktion bei einer adipösen Patientin nach der Magenverkleinerung gespannt "los, sag schon!" äußert, bevor er in Anbetracht eines die Spannungskurve ins Unermessliche treibenden eingespielten Songausschnitts ein seufzendes "schon wieder Musik" folgen lässt. Eine kleine Spielerei, die bei einer großen und grandiosen bzw. grandios fehlgeschlagenen Produktion keiner weiteren Erwähnung bedurft hätte, hier aber als Moment des Ausbruchs aus der Konvention und der Spitzbübigkeit hervorzuheben sind. Sie merken schon: Nein, viel mehr als ein ordentliches Stück Fernsehen, in das man ruhig mal reinschauen kann, ist «Der Nächste, bitte!» nun wahrlich nicht. Und die Einschaltquoten der kommenden acht Wochen werden zeigen müssen, ob das am RTL-Vormittag langt.
RTL zeigt ab sofort 40 Folgen von «Der Nächste, bitte!» immer montags bis freitags um 11 Uhr.
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