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Zwanzig Jahre Produktionshölle sind vorbei: «The Man Who Killed Don Quixote»

Nach der wohl spektakulärsten Produktionsgeschichte jüngerer Filmhistorie erblickt Terry Gilliams «The Man Who Killed Don Quixote» nun tatsächlich das Licht der Kinoleinwand.

«The Man Who Killed Don Quixote»

  • Start: 27. September 2018
  • Genre: Komödie/Drama
  • Laufzeit: 134 Min.
  • FSK: 12
  • Kamera: Nicola Pecorini
  • Musik: Roque Baños
  • Buch: Terry Gilliam, Tony Grisoni
  • Regie: Terry Gilliam
  • Darsteller: Adam Driver, Jonathan Pryce, Stellan Skarsgård, Olga Kurylenko, Joana Ribeiro
  • OT: The Man Who Killed Don Quixote (ESP/BEL/FR/POR/UK 2018)
Fassen wir die knapp zwei Jahrzehnte andauernde Produktionsgeschichte von Terry Gilliams «The Man Who Killed Don Quixote» einmal kurz zusammen: Alles nahm seinen Anfang im Jahr 2000, als sich der «Brazil»-Regisseur im Rahmen der Entstehung seines Herzensprojekts erstmals mit Finanzierungsproblemen und einem erkrankten Hauptdarsteller – damals noch Jean Rochefort – auseinandersetzen musste. Schon nach wenigen Tagen legte er die Produktion auf Eis, woraufhin die Rechte am bisher entstandenen Filmmaterial und am Drehbuch an eine deutsche Versicherungsgesellschaft zurückfielen. Drei Jahre später und nach Bereinigung sämtlicher rechtlicher Streitigkeiten wagte sich Gilliam mit schmalerem Budget an einen zweiten Versuch. Diesmal mit an Bord: Robert Duvall, Johnny Depp und Ewan McGregor. Doch trotz der Reduktion der finanziellen Mittel von 35 Millionen auf 20 Millionen reichte es nicht, um die nun für 2011 anvisierten Dreharbeiten endlich wieder ins Rollen zu bringen. Die Vorproduktion wurde ein weiteres Mal gestoppt; nur, um sie erneut drei Jahre später – also 2014 – wieder aufzunehmen.

Anstatt Duvall hatte man mittlerweile John Hurt für die Rolle des Don Quixote verpflichten können, doch ins Rollen kamen die Dreharbeiten dadurch noch lange nicht. Erst nach mehreren Rotationen des Besetzungskarussells startete Gilliam 2017 mit jenem Team, das nun auch tatsächlich im Film zu sehen ist und brachte die Arbeiten am Film zu Ende. Und bei all dem Tohuwabohu haben wir solche verhältnismäßigen Kleinigkeiten wie die Zerstörung der Filmkulissen durch ein Unwetter, die nach der Fertigstellung erneut aufkeimenden Konflikte bezüglich der Rechte und die fast schon unangenehm komische Anekdote vom kurz vor der Uraufführung erkrankten Terry Gilliam noch gar nicht mit aufgeführt. Machen wir es kurz: Auf «The Man Who Killed Don Quixote» liegt einer der tragikomischsten Flüche der Filmhistorie.

Zwischen Film und Filmset


Der zynische Werbefilmer Toby (Adam Driver) trifft auf einen alten spanischen Schuhmacher (Jonathan Pryce), der sich für Don Quixote hält. Die beiden erleben eine Reihe absurder Abenteuer, in deren Verlauf Toby sich den tragischen Auswirkungen eines Films stellen muss, den er in seiner Jugend gedreht hat ─ ein Film, der die Hoffnungen und Träume eines kleinen spanischen Dorfes für immer verändert hat. Kann Toby das Getane je wieder gut machen und so zu seiner Menschlichkeit zurückfinden? Kann Don Quixote seinen Wahn bezwingen und seinen nahenden Tod verhindern? Oder wird etwa die Liebe alle Grenzen überwinden?

Der Dokumentarfilm «Lost In La Mancha», der während der problembehafteten Dreharbeiten mit unter anderem Johnny Depp entstand, besitzt mittlerweile Kultstatus und wurde bei verschiedenen Filmfestivals für Preise nominiert und sogar ausgezeichnet. Dem Regieduo aus Keith Foulton und Louis Pepe ist es darin gelungen, das durch die äußeren Umstände entstandene Chaos in eine Form zu bringen, ohne in ein narratives Konzept zu zwängen. Man erahnt die hanebüchenen Produktionsbedingungen immer noch und doch macht es einfach einen unglaublichen Spaß, dabei zuzusehen, wie Terry Gilliam das Projekt auf der einen Seite sukzessive entgleitet, während er es auf der anderen Seite mit aufrichtiger Leidenschaft zusammenzuhalten versucht. Dass «The Man Who Killed Don Quixote» Anfang des Jahres beim Filmfestival von Cannes seine Uraufführung feiern konnte, ist aus filmhistorischer Sicht ein ganz großer Triumph; allein, um einmal zu erleben, wie es ist, Kinogeschichte vor seinen eigenen Augen zu sehen, ist der Kauf eines Kinotickets vielleicht sogar Pflicht.

Doch so sehr wir uns auch darüber freuen, dass Gilliams Pechsträhne nun hoffentlich ein Ende hat (oder, je nachdem, anhand der negativen Kritikerstimmen nun noch auf einer weiteren Ebene fortgeführt wird), können wir einfach nicht unter den Teppich kehren, dass das Endergebnis ein noch viel größeres Chaos ist, als es die Produktionsgeschichte andeutet. Seien es nun inszenatorische Überambitionen, erzählerische Extravaganzen oder der Verlust sämtlicher inhaltlicher Strukturen zu Gunsten der künstlerischen Freiheit: «The Man Who Killed Don Quixote» ist letztlich nur ein großes Sammelsurium aller möglicher Ideen, die einen nach wenigen Minuten bereits dermaßen erschlagen haben, dass man die noch folgenden zwei Stunden nur schwer durchsteht.

So viel Chaos, so wenig Substanz


Zu erklären, worum es in «The Man Who Killed Don Quixote» geht, ist bereits die erste große Hürde: Im Mittelpunkt steht der exzentrische Regisseur Toby, der nach früheren Dreharbeiten an einem «Don Quixote»-Film nun erneut in der damaligen Gegend dreht und im Laufe seiner Arbeit immer mehr in eine Welt abgleitet, die nicht ganz unsere zu sein scheint. Dazu springt der auch für das Drehbuch mitverantwortliche Terry Gilliam immer wieder in seinen erzählerischen Perspektiven hin und her. Mal befinden wir uns direkt am Filmset und sehen, wie vor unseren Augen Teile eines filmischen Werkes entstehen. Ein anderes Mal wiederum befinden wir uns in ebenjenem Film selbst, der dort eigentlich gerade erst entsteht; und irgendwann weiß Protagonist Toby selbst nicht mehr genau, wo er nun eigentlich ist. Was er ist, weiß wiederum ein spanischer Schuhmacher ganz genau: Don Quixote nämlich. Und zwar genau seit Toby ihn einst für genau diese Rolle in seinem Film castete.

Was klingt wie ein herrlich verrücktes Spiel mit Erzähl- und Metaebenen wird in den inszenatorischen Händen Gilliams zu einem einzigen Kuddelmuddel. Dass selbst die im Film selbst vorkommenden Figuren irgendwann nicht mehr den Unterschied zwischen Realität und Fiktion kennen, ist da fast noch der konsequenteste Gedanke. Ansonsten mag die Wahl- und Ziellosigkeit, mit der Gilliam hier vorgeht, vielleicht eine Form von Konzept sein, doch letztlich sorgt sie einfach nur dafür, dass man irgendwann überhaupt nicht mehr weiß, was in «The Man Who Killed Don Quixote» eigentlich gerade passiert.

Nun wäre es nicht das erste Mal, dass ein Regisseur seine Zuschauer so lange im Unklaren über die von ihm erdachte Welt lässt, bis die stilistische Anarchie zum Selbstzweck wird, die sich, wie beispielsweise beim Visionären David Lynch, schließlich auch ohne logische Ordnung genießen lässt. Gilliam packt sein Chaos allerdings nicht in ein audiovisuelles Gewand, sondern in eine optisch wie akustisch lärmende, aggressive und einander beißende Hülle, die es im Laufe der üppigen Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden sogar fertig bringt, dem Publikum eigentlich so fähige Schauspieler wie Adam Driver («Paterson») zu verleiden, da diese sich mit ihrem affektierten Overacting perfekt ins filmische Bild fügen. Wann immer die Erzählung, sofern man denn von einer solchen überhaupt sprechen kann, stockt, verpassen Driver und Co. ihr mit ausladenden Theater-Monologen einen weiteren Arschtritt in Richtung der nächsten belanglosen Filmminuten.

Und das ist leider ein weiteres großes Problem: Außer Aggression ruft «The Man Who Killed Don Quixote» einfach überhaupt nichts im Betrachter hervor. Gilliams Skript ist weder hintersinnig, noch witzig, oder gar dramatisch. Jedweder Anflug von Gefühlen wird von den überdramatisierenden Schauspielern prompt zunichte gemacht und am Ende bleibt nur ein einziges großes verkrampftes Nichts, das einen immer wieder nach dem Sinn fragen lässt. Mag sein, dass die schwierigen Produktionsbedingungen über die Jahre ihre Spuren am Skript hinterlassen haben. Sollte dem tatsächlich so sein, dann ginge «The Man Who Killed Don Quixote» wohl am ehesten noch als Momentaufnahme durch. Als rein fiktives Projekt hingegen lassen sich hier nur sehr viele einzelne Puzzleteile ausmachen, die selbst zusammengesteckt kein Bild ergeben.

Fazit


Man merkt Terry Gilliams Herzensprojekt die absurde Entstehungsgeschichte an. Das ist aber auch leider schon das Einzige, was sich Positives zu dieser hanebüchenen Aneinanderreihung sinnbefreiter Szenen sagen lässt, bei der die Geschichte an sich irgendwann ohnehin keine Rolle mehr spielt.

«The Man Who Killed Don Quixote» ist ab dem 27. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
27.09.2018 15:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/104070
Antje Wessels

super
schade


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Brazil Don Quixote Lost In La Mancha Paterson The Man Who Killed Don Quixote

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