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Die Kritiker: «Tatort - Tiere der Großstadt»

Der neue Berliner «Tatort» erzählt vom Tod durch Automatisierung – leider zu plakativ, um auch intellektuell verfangen zu können.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Meret Becker als Nina Rubin
Mark Waschke als Robert Karow
Valery Tscheplanowa als Kathrin Menke
Kai Scheve als Reno Gröning
Carolyn Genzkow als Anna Feil
Martin Baden als Tom Menke
Stefanie Stappenbeck als Charlie

Hinter der Kamera:
Produktion: Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen GmbH
Drehbuch: Beate Langmaack
Regie: Roland Suso Richter
Kamera: Max Knauer
Produzent: Jens Christian Susa
Will man die gesellschaftlichen Verwerfungen der Automatisierung und Digitalisierung primär als Buzzword auffassen, könnte die Tat nicht plakativer sein: In einem vollautomatisierten Kaffee-Büdchen an einem Berliner Platz wird der Betreiber tot zwischen der Ansaugdüse und einem Roboterarm gefunden. Der Metallstab, der ihm ins Stammhirn gerammt wurde und ihm schlagartig die Lichter ausblies, befindet sich noch blutverschmiert in der vorgesehenen Halterung am Tatort. Gefunden wird die Leiche von drei vorlauten, bitchigen Jugendlichen, die als erstes Selfies mit dem Toten schießen, bevor sie die Einsatzkräfte verständigen, und sich im anschließenden Gespräch mit der mausigen Ermittlerin Anna Feil (Carolin Genzkow) natürlich alles andere als pietätvoll geben.

Der adrett grantige Robert Karow (Mark Waschke) findet schnell eine Gelegenheit, um an seine Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) jede Menge Exposition hinzureden: Der technische Fortschritt wird uns rasend schnell zu Cyborgs umfunktionieren, aber langsam genug, damit wir das gar nicht merken (impliziert: bis es zu spät ist). Die Automatisierung wird weite Schichten der Gesellschaft arbeitslos machen, und das von technooptimistischen Kreisen als Lösung für dieses Problem vorgeschlagene bedingungslose Grundeinkommen wird freilich nicht das tief menschliche Bedürfnis nach Anerkennung und Verwirklichung erfüllen. So viel zum didaktischen Teil dieses «Tatorts» – und zum inneren Widerspruch von Robert Karow, der trotz seiner technopanischen Grundüberzeugungen in seiner durchge-siri-ten Butze futuristischer wohnt als alle anderen Figuren.

Wahrscheinlich als Kontrast zu dieser gewohnt eiskalten, charmelosen Zukunftsvision, zwischen mordenden Kaffeekochrobotern und sprachgesteuerten Orangenpressen, Cyborg-Armen für Amputationspatienten und körperlosen persönlichen Assistentinnen, fällt Berlin in animalischer Sicht in die Vor-Zivilisation zurück. Nachts streifen Füchse durch die Gassen, Wildschweine machen Jagd auf Jogger, über dem urbanen Gewusel thronen grimmig dreinblickende Raben, und die Witwe des vom Roboter erdolchten Kaffee-Bot-Betreibers züchtet in ihrer Wohnung rudelweise Perserkatzen. Die Technik mag in atemberaubender Geschwindigkeit fortschreiten, aber die Wildnis – und mit ihr auch ihre Chiffre: das Animalische – kann man aus einer Millionenstadt nicht fernhalten.

Der dahinter stehende Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen und könnte die Grundlage für eine sinnige Auseinandersetzung sein, die über den in deutschen Fernsehfilmen üblichen plakativen technophoben Duktus hinausgeht. Doch „Tiere der Großstadt“ bindet ihn dem Zuschauer zu penetrant auf die Nase, als dass er auch auf einer intellektuellen Ebene verfangen könnte. Auf die Spitze treibt der Film das mit Charlie (Stefanie Stappenbeck), einer wunderlichen Baumtänzerin, die auch bei klirrender Kälte in einem Wald kampiert, um dort den ursprünglichen Naturgeist zu erfühlen. Weiter wegkommen von hochspezialisierter Technik, die den Menschen ihre First-World-Probleme abnimmt, kann man nicht. Dass Charlie zwar schräg, aber in ihrem naturergebenen, antimaterialistischen Leben glücklich ist, die Betreiber von Kaffeerobotern dagegen selbstsüchtige, isolierte, einsame Menschen oder zumindest von persönlichen Makeln getriebene egomanische Visionäre sind, lenkt zudem unangenehm didaktisch die Sympathien.

Immerhin: „Tiere der Großstadt“ ist kein Technopanik-Film geworden, der im Fortschritt von Automatisierung und digitaler (Alles-)Vernetzung allein die drohende Algorithmen-Apokalypse erkennen kann, sondern er bemüht sich zumindest in Ansätzen, dieses Thema in der ihm gebührenden Komplexität darzustellen, die sich dem simplifizierten Vorteil-Nachteil-Dualismus freilich entzieht. Doch dieser dialogisierte Ansatz beißt sich mit den reißerischen Motiven, kurz: dem Tod durch Automatisierung, die dieser Film wählt, um sein Thema visuell und erzählerisch darzustellen.

Das Erste zeigt «Tatort – Tiere der Großstadt» am Sonntag, den 16. September um 20.15 Uhr.
15.09.2018 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/103789
Julian Miller

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Tatort – Tiere der Großstadt Tatorts

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