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«Disenchantment»: Kein Biss trotz Überbiss

Eher «Simpsons» oder «Futurama»? Matt Groenings neue Netflix-Serie hält einem Vergleich mit keinem seiner früheren Werke stand. Erstaunlicherweise sind die Parallelen zum Humor von Seth MacFarlane viel deutlicher.

Es war einmal eine Prinzessin, die soff wie ein Schwein, und hielt sich am liebsten in weiter Entfernung des Palastes, in einer abgestandenen Trinkstube im Ort mit dem Gesinde auf. Sie hieß Bean, hatte Überbiss und Hasenzähne und sollte bald den edlen Prinzen eines fernen Königreichs heiraten, damit ihr Vater ein gewinnbringendes politisches Bündnis eingehen konnte. Die Prinzessin wollte nicht und machte sich davon.

Zur selben Zeit herrschte im Elfenland eine ausgelassene Stimmung wie eh und je, die laut ihrem fröhlichen Liedchen mitunter daher rührte, dass man jeden Abend bis zur Besinnungslosigkeit trank. Doch einer der Elfen, Elfo, mit einer besonders regen Libido und einer nahezu existentialistischen Schwermut wollte mehr als die zur Doktrin erhobene Fröhlichkeit. Er wollte hinaus in die Welt, Kummer und Schmerz erdulden, anstatt ein kleines Leben führen lieber einen großen Tod sterben. Und so kam es fast, als das Elfenland ihn schließlich gewähren ließ.

Schon bald kreuzten sich die Wege des recken Elfen und der versoffenen Prinzessin, die in der Zwischenzeit zudem ihre persönliche Büchse der Pandora geöffnet hatte, aus der just ein kleiner schwarzer Dämon entsprungen war, der die Beiden von nun an nervtötend und scheinbar in höherem Auftrag handelnd, aber gleichzeitig überraschend harmlos auf ihrem Weg der Eheverweigerung und Gelage begleitete.

Zweifellos ist dieses Märchen unkonventionell und wird auch seinem Titel, der auf eine Entzauberung und eine mit dieser Entzauberung verbundene Enttäuschung über das Nicht-Magische und Nicht-Transzendente anspielt, gerecht. Gleichsam lässt der schräg-subversive Ton, in dem es erzählt wird, von den ersten Minuten an die Handschrift seines Schöpfers Matt Groening erkennen.

So vollzieht «Disenchantment» wie alle Vorgängerwerke des Cartoon-Genies den Spagat zwischen manchmal anzüglicher, immer anspielungsreicher Erwachsenenunterhaltung und quietschbunt-witzigem Kinderspaß. Doch an die große Unterhaltungsleistung der «Simpsons», nämlich die Kunst, alle Zuschauer – auf verschiedenen Ebenen – unabhängig von ihrem Grad an Sophistication anzusprechen, kann sie nicht im Ansatz heranreichen.

Denn nicht nur wegen ihres eher absonderlichen Sujets erinnert «Disenchantment» allenfalls oberflächlich an die anderen Groening-Stoffe: Die Geschichten um ein märchenhaftes Königreich mit Elfen, Dämonen und Sirenen-Walrussen sind ein ganz anderer Stoff als das Porträt einer in vielerlei Hinsicht typischen amerikanischen Familie. «Disenchantment» ist im Ton zynischer als Lisa Simpson es in ihren depressivsten Momenten war, zotiger und trotz der persiflierten oberflächlichen Heiterkeit düsterer, unangenehmer.

Ebenso fehlt die politische und gesellschaftskritische Komponente von Groenings scharfsinniger, nicht selten beißender Zukunftsvision «Futurama», die sich im New New York des Jahres 3000 mit wachem Verstand, herrlich schrägen Einfällen und haargenauer Dramaturgie an unserer Gegenwart abarbeitete.

Natürlich sind «Die Simpsons» und «Futurama» keine entgegengesetzten Pole: «Die Simpsons» hatten ihre sehr politischen, gesellschaftskritisch ambitionierten Momente; «Futurama» derweil auch seine warmherzigeren, figurenzentrierten. Doch «Disenchantment» hat in seiner ersten Staffel weder das Eine noch das Andere: Die Prinzessin, der Elf und der Dämon sind deutlich fahriger und beliebiger als Homer Simpson oder Philip Jay Fry. Elfo und Bean verbiegen sich für einen flotten Gag öfter als Bender beim, nun ja, Biegen von Metallstangen, und keiner der Charaktere aus Groenings Märchenland kann bisher die starke emotionale Bindung herstellen, die man zum liebenswerten amerikanischen Trottel Homer oder zum herzensguten, einfältigen, tiefgefrorenen Fry im Nu aufbaute.

Mit seinem eher suggestiven Humor und der Fokussierung auf schnelle Gags anstatt einer komödiantischen, aber auch emotional verbindlichen Narrative erinnert «Disenchantment» trotz des unverkennbaren Groening-Animationsstils eher an seinen alten Nemesis aus FOX-Zeiten: die Serien von Seth MacFarlane, ob «Family Guy», «American Dad» oder die olle «Cleveland Show». Sicherlich gibt «Disenchantment» seine Figuren nicht ganz so sehr zum Spott frei und lässt sich nicht ganz so ausladend in stichwortartig eingeschobene Nonsens-Sequenzen fallen. Trotzdem rückt die Abwesenheit eines starken emotionalen Kerns das Märchenland von «Disenchantment» eher nach Quahog als nach Springfield – dorthin also, wo man es am wenigsten erwartet hätte.

«Disenchantment» steht ab sofort auf Netflix zur Verfügung.
19.08.2018 04:35 Uhr Kurz-URL: qmde.de/103154
Julian Miller

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Tags

American Dad Cleveland Show Die Simpsons Disenchantment Family Guy Futurama Simpsons

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Vittel
19.08.2018 09:15 Uhr 1
Das ist eine sehr treffende Kritik, sehe ich leider auch so.

Disenchantment wird mit dieser Qualität nicht ansatzweise an Simpsons und Futurama herankommen und vermutlich nach wenigen Staffeln wieder eingestellt werden.
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