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Lass uns drüber reden: Über Podcasts und die Macher dahinter

Podcasts erreichen mehr Menschen als je zuvor, das Medium vollzieht gerade den Schritt zum Mainstream – auch in Deutschland. Wir blicken auf heißblütige Themen und neue Influencer…

Die dritte Welle


Wenn mit Begriffen wie „Experte“, „Internetpapst“ oder ähnlichem um sich geworfen wird, sollte man vorsichtig sein: Wer heute alles inflationär als Experte bezeichnet wird, muss nicht unbedingt einer sein. Auf Tim Pritlove, der auch „Podcast-Papst“ genannt wird, trifft die schmeichelhafte Bezeichnung aber nicht ohne Grund zu. Er gehört zu den Pionieren des Mediums, produziert seit 2005, seit der Verbreitung von Podcasts über Apple-Geräte – wie über den namensgebenden iPod.

Wenn Pritlove in diesen Zeiten von der Podcast-Entwicklung spricht, dann bezeichnet er die damalige Phase ab 2005 als erste Welle des Mediums – als die Zeit, in der das Format laufen lernte und von vielen Menschen empfangen werden konnte. Die zweite Welle startete laut Pritlove um 2008 bis 2011; diese Jahre waren gekennzeichnet von einer massiven Verbreitung von Smartphones und dem mobilen Internet. Dies war der Grundstein für die ständige Cloud-Verfügbarkeit von Podcasts an jedem Ort. Anders gesagt: Die technische Entwicklung kam dem Medium entgegen.

Die dritte Welle seit 2016/17 ist gekennzeichnet von einer Professionalisierung des Mediums, durch sogenannte Leuchtturmprojekte wie den «Serial» Podcast, aber auch durch eine stärkere Konzeptualisierung. So wie sich bei YouTube bestimmte Erfolgsmechanismen, Formate und Designs durchgesetzt haben, so gilt dies auch für Podcasts. Pritlove nennt hier Persönlichkeit, Communities, Kommentar-Kultur und die Nutzbarkeit als Parallelmedium neben anderen Tätigkeiten wie Pendeln oder Kochen als typische Merkmale erfolgreicher Podcasts.

Längst haben damit auch bekannte Marken in dieser dritten Phase die Vorteile des Mediums erkannt – beispielsweise journalistische Marken wie der „Spiegel“ oder die „Zeit“. Vielfach werden die Formate als auditive Erweiterungen der Print- und Online-Angebote konzipiert, die mehr Raum für thematische Vertiefung, Diskussion beispielsweise unter Redakteuren und für Meinungsstärke lassen. Oftmals gesichtslose Marken bekommen so eine Persönlichkeit verpasst – und betreiben so moderne Kundenbindung.

Die Formate


Haupttreiber der neuen Podcast-Welle sind aber Formate und Köpfe, die bestimmte Zielgruppen ansprechen und nicht unbedingt hinter einer bekannten Marke stehen. Oftmals verbinden die neuen Formate interessante Info-Themen mit Unterhaltung, generell schwingt bei vielen Konzepten auch ein bisschen das Prädikat „lehrreich“ mit. Die Zeit, die man Podcasts verbringt, wird so gefühlt sinnhaft aufgewertet. Viele Selbstoptimierungs- oder Self-Help-Formate sind in Deutschland erfolgreich, darunter «Happy, Holy & Confident», «Die Kunst, dein Ding zu machen», «GEDANKENtanken», unzählige Meditations-Formate oder der Beziehungspodcast «Liebe kann alles».

Zweite Treiber der Podcast-Erfolgswelle sind Formate zum Thema Sex. Die Charts werden von entsprechenden Podcasts regelrecht geschwemmt – mittlerweile selbst von öffentlich-rechtlichen Sendungen, die den Trend erkannt haben («F**k Forward», «Im Namen der Hose»). Independent-Formate wie «Besser als Sex», «Beste Freundinnen» oder «Oh, Baby» gehören zu den Pionieren dieses Trends. Junge Frauen und Männer sprechen hier über ihre persönlichen Sex-Erlebnisse, nicht ohne Tipps für die Hörer mit auf den Weg zu geben – so wird das Unterhaltsame mit dem Nützlichen (Stichwort Selbstoptimierung) verbunden. Man könnte auch sagen: „Ich höre den Playboy nur wegen der Tipps“.

Ein weiterer Trend sind Formate, die böswillig mit Laber-Podcasts umschrieben werden könnten. Jan Böhmermann und Olli Schulz verhalfen diesem Genre mit «Sanft & Sorgfältig» – heute «Fest & Flauschig» – zum Erfolg. Es geht hier um alles und nichts, um große Gedanken und kleine Anekdoten. Ähnliche Formate sind beispielsweise «Gemischtes Hack», «Lästerschwestern Podcast», «Mit Verachtung», «Proseccolaune», «Herrengedeck» oder «Juwelen im Morast der Langeweile».

Die Köpfe


Ähnlich wie bei der Entwicklung von YouTube-Influencern lässt sich erkennen, dass die Formate oft wegen der Podcaster – also der Köpfe – funktionieren und nicht primär wegen des Inhalts. Bei YouTube zeigt sich dies beispielsweise am besten in Vlog- oder Follow-me-Around-Formaten, in denen die Internet-Promis ihren Alltag als Internet-Promis dokumentieren. Der Entertainment-Charakter der Persönlichkeiten ist ausschlaggebend für Erfolg, nicht unbedingt der Inhalt. So setzen sich beispielsweise von unzähligen LetsPlayern, die dieselben Spiele spielen und zeigen, nur wenige durch.

Auch im Podcast-Geschäft gibt es neue erfolgreiche Köpfe, die sich als Influencer verstehen (sollten). Das heißt, dass sie über das Medium Podcast hinausdenken und als eigene Marke auftreten können – Buch, Fernsehauftritte, eigene Tourneen und Spenden der Fans inklusive. Wo bei YouTube die Monetarisierung über Werbung funktionierte und die erfolgreichen Content-Produzenten nicht auf Spenden angewiesen sind, so wird dieser Finanzierungsweg beim Podcast-Medium gern gewählt – vorzugsweise über den Dienst Patreon. Die Macher um den Videospiel- und Retro-Podcast «Radio Nukular» erhalten so monatliche Spenden von knapp 4000 Dollar im Monat und veranstalten Tourneen in Metropolen, zu denen Fans Tickets erwerben können. Es ist zu vermuten, dass diese Entwicklung weg vom reinen auditiven Medium weitergeht, dass die großen Promi-Podcaster neue Vertriebskanäle erschließen, beispielsweise auch YouTube. Und dass die Kommerzialisierung des Mediusm viel stärker voranschreitet – durch Sponsoren beispielsweise. In den USA ist dies bei vielen Formaten schon lange üblich.

Durchgehend ist bei den erfolgreichen Podcasts – egal aus welchem Genre – zu beobachten, dass sie immer bereits halbwegs bekannte (Internet-)Persönlichkeiten sind und Erfahrungen im Mediengeschäft gesammelt haben. Die Sex-Podcasts um das Label „Mit Vergnügen“ sind beispielsweise Ableger eines Blog-Portals, das seit 2010 existiert. Der Podcast «Herrengedeck» wird von zwei Radiomoderatorinnen gemacht, «Radio Nukular» unter anderem von Ex-«GameOne»-Redakteur Chris Gürnth und Rapper Rockstah. Oftmals bringen die Produzenten also bereits eine Fan-Community mit, zumindest aber kennen sie sich im Bereich „Was mit Medien“ aus. Die Professionalisierung des Mediums ist so gesehen auch getragen von bereits professionellen Medienmachern – anders als in früheren Jahren, als Podcasts oft als No-Name-Hobby-Projekte gestartet wurden. Heute ist dies eher die Ausnahme: Die Top-Podcasterin im Bereich Self Empowerment, Laura Malina Seiler, machte sich 2016 mit ihrer Idee ohne große Medien-Vorerfahrungen selbständig – und gewann viele Zuhörer.

Wenn das Medium Podcast eines ist, dann unglaublich vielfältig – trotz aller jüngsten Trends um Sex, Laberei oder Selbstoptimierung. Die immer größer werdende Community aus Podcast-Produzenten deckt nahezu jedes Interesse und jedes Thema ab, das man sich vorstellen kann. Auch wenn die Landschaft also gerade im Umbruch ist: Unseren Ohren wird’s sicher nicht langweilig.
03.08.2018 11:33 Uhr Kurz-URL: qmde.de/102664
Jan Schlüter

super
schade

84 %
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