Quotenmeters Rundfunk-Rundreise geht weiter. Dieses Wochenende: der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei unseren französischen Nachbarn
Wie ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Frankreich aufgebaut?
Bisherige Ausgaben unserer Rundfunk-Rundreise
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in Frankreich eine lange Tradition, in der er vielfach verschiedenartig organisiert und strukturiert war. Während er die gesamte Nachkriegszeit bis weit in die Fünfte Republik hinein direkt dem Informationsministerium unterstellt war, wurde 1964 durch die Gründung des Office de Radiodiffusion Télévision Française, kurz: ORTF, eine gewisse politische Unabhängigkeit und Eigenständigkeit erreicht. Sukzessive erweiterte ORTF sein Angebot auf insgesamt drei frankreichweite Fernsehsender (und zahlreiche, eher aus technischen Gründen notwendige weitere lokale Kanäle in den Überseegebieten), bis ORTF 1974 schließlich aufgelöst wurde und seine Sendeanstalten voneinander unabhängige Gebilde mit jeweils eigener Rechtspersönlichkeit wurden. Alle drei gibt es heute noch – wenn auch in völlig unterschiedlicher Form.
Der größte der öffentlich-rechtlichen Kanäle des ORTF wurde schließlich 1987 privatisiert, sendet seither unter dem Namen TF1 und hat heute mit etwa 20% Marktanteil einen weiten Vorsprung vor jeder privaten und öffentlich-rechtlichen Konkurrenz. Politiker der extremen Rechten wie François Asselineau verfolgen seit jeher das explizite Ziel, ihn wieder zu verstaatlichen.
Ebenfalls aus den Überresten der ORTF-Struktur hervorgegangen ist France 2 (aktuelles Logo rechts), der heute größte öffentlich-rechtliche Sender und Gründungsmitglied von France Télévisions, der heutigen Dachorganisation, unter der das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Frankreich organisiert ist. Mit 13% Marktanteil steht er solide auf Platz Zwei in der Gunst der französischen Fernsehzuschauer und hat mit beachteten und populären Unterhaltungs-, Informations- und Fictionformaten auch eine breite normative Wirkung.
France 3 ist 1972 zu ORTF-Zeiten erstmals auf Sendung gegangen und bediente strukturell damals wie heute hauptsächlich die Funktion, sich zu bestimmten Tageszeiten in lokale Versionen aufzufächern, um seinen Zuschauern Nachrichten und Reportagen aus ihrer jeweiligen Region näherzubringen – auch wenn France 3 wahrscheinlich bekannter für seine äußerst populäre Marseiller Soap «Plus Bella la Vie» sein mag, seit 2004 ein Dauerbrenner mit heute noch über 4 Millionen Zuschauern, der zum seit Jahren stabilen Sendermarktanteil von etwa 9% seinen Teil beiträgt.
Seit 2005 gehört auch France 5 (ehemals schlicht: La Cinquième) zu France Télevisions, wo neben intellektuell tiefergehenden Informationssendungen und Kulturprogrammen auch der vergleichsweise zuschauerstarke Talk-Show/Lifestyle-Mix «C dans l’air» gezeigt wird. France 4, seit 2005 auf Sendung, richtet sich hingegen an ein dezidiert jüngeres Publikum. Mit 3,6% Marktanteil für France 5 und nicht einmal 2% für France 4 liegen beide jedoch weit hinter den wesentlich populäreren Vollprogrammen France 2 und France 3.
Abgerundet wird das Portfolio von France Télévisions von France Ô, einem Sender, der für das in Europa ansässige französische Publikum Formate aus den Überseegebieten ausstrahlt. Mit knapp über der messbaren Schwelle liegenden Zuschauerzahlen hat er eine geringe Breitenwirkung. Speziell auf Überseefranzosen zugeschnittene Formate werden in den jeweiligen Territorien in der Karibik oder der Südsee wiederum über La 1ère ausgestrahlt.
Wie finanziert es sich?
Durch die Agence des participations d’État, über die die französische Republik auch Anteile an Unternehmen wie Air France und Renault hält, befindet sich France Télévisions zu 100% im Eigentum des französischen Staates.
Alle in Frankreich wohnsteuerpflichtigen Personen, die einen Fernseher oder ein gleichgestelltes Empfangsgerät besitzen, sind zur Abgabe einer „Contribution à l’audiovisuel public“ verpflichtet. Derzeit beträgt diese Rundfunkabgabe 139,00 € pro Haushalt und Jahr im europäischen Frankreich und 89,00 € in den Überseegebieten. Inwiefern sich die derzeit in der Planung und Umsetzung befindende umfangreiche Reform der Wohnsteuer der Regierung Philippe auf die an sie gekoppelten Rundfunkabgaben auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Laut dem Rechenschaftsbericht von France Télévisions nahm die Rundfunkanstalt im Jahr 2017 über die landesweite Rundfunkabgabe insgesamt ca. 2,4 Mrd. Euro ein. Werbung und Sponsoring brachten einen Erlös von knapp 350 Mio. Euro.
Was läuft?
Die Sender von France Télévisions zeigen ein breites Programm aller Spektren, von populären eigenproduzierten Serien, amerikanischer Fiction und umfangreichen politischen Diskussionen auf den großen Vollprogrammen bis hin zu nischigen Dokumentationen auf den Spartenkanälen.
Im Fiction-Bereich sind vor allem die seit vielen Jahren erfolgreichen «Les Petits Meurtres d’Agatha Christie» und auch die international vielgepriesene Medien-Comedy «Dix Pour Cent» von France 2 populär. Gleichsam setzen beide Vollprogramme auch stark auf ausländische Lizenzware, im Gegensatz zum deutschen Fernsehen jedoch nicht nahezu ausschließlich auf amerikanische. Deutsche, die ihren Weg ins Nachmittagsprogramm von France 3 finden, können seit langer Zeit ein Wiedersehen mit «Ein Fall für Zwei» (französisch: «Un Cas pour Deux») erleben, bis vor wenigen Jahren auch mit «Inspecteur Derrick» und «Le Renard» («Der Alte» hieß in Frankreich: „Der Fuchs“).
Ebenso sendet vor allem France 2 ein umfangreiches Portfolio an politischen Sendungen, die in Frankreich gerne eine Länge von gut drei Stunden erreichen dürfen und deren Diskussionen mit großer Freude bis zum Skandal ausarten: regelmäßig zu sehen bei Léa Salamés «Emission politique» und beim samstagabendlichen «On n’est pas couché». Die täglich gesendeten landesweiten Nachrichten, ob um «13 Heures» oder «20 Heures», haben normativen Charakter.
Welchen Stellenwert hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Frankreich?
Mit 13 Prozent Marktanteil liegt France 2 als erfolgreichster Sender des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Frankreichs zwar klar hinter dem populärsten Privatsender TF1. Addiert man jedoch die Marktanteile aller öffentlich-rechtlichen Sender, erreicht man ca. 30 Prozent - deutlich mehr als jede andere Senderfamilie.
Zudem kommt den öffentlich-rechtlichen Sendern gerade im Informationsbereich durchaus ein erheblicher Vertrauenszuschuss zugute, was sich an den besonders hohen Einschaltquoten der landesweiten Nachrichtensendungen in Krisenzeiten und der großen landesweiten Popularität der gesetzten Anchormen von France 2 zeigt.
Wie anderswo mussten auch die französischen Fernsehsender in den letzten Jahren bei den Zuschauerzahlen deutlich Federn lassen. Vor zehn Jahren hatten France 2 und France 3 noch jeweils gut fünf Prozentpunkte mehr Marktanteil als heute. Noch deutlich stärker betroffen vom allgemeinen Zuschauerschwund war jedoch TF1, das im selben Zeitraum von 30% Marktanteil auf heute nur noch 20% abgerutscht ist.
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