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Die glorreichen 6 – Kritikerflops, die wir lieben (Teil II)

Es ist ein Thema, das sich (nahezu) unendlich fortsetzen ließe: Filme, die einen miesen Kritikerkonsens haben, und dringend mehr Respekt verdienen. Wie «mother!».

Die Handlung


Filmfacts: «mother!»

  • Buch & Regie: Darren Aronofsky
  • Produktion: Darren Aronofsky, Scott Franklin, Ari Handel,
  • Darsteller: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Kristen Wiig
  • Schnitt: Andrew Weisblum
  • Kamera: Matthew Libatique
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
  • Laufzeit: 121 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
  • Rottentomatoes-Wert: 69%
  • Metascore: 75
Sie könnten so glücklich sein – und sind es erst einmal auch: Ein namenloses Pärchen (Jennifer Lawrence und Javier Bardem) hat sich in einem altehrwürdigen Anwesen ein kleines Paradies geschaffen. Lediglich die Schreibblockade des als literarischer Dichter arbeitenden Gatten bringt die Idylle hier immer mal wieder ins Wanken. Unterdessen müht sich seine Frau darin, die einst abgebrannte Villa wieder auf Vordermann zu bringen. Doch mit der Abgeschiedenheit ist es bald vorbei, denn ein Fremder steht vor der Tür: Er (Ed Harris) behauptet von sich, ein großer Fan des Autoren zu sein und bittet unter einem Vorwand um Einlass. Auch seine Ehefrau (Michelle Pfeiffer) kommt bald hinzu. Von der Situation zunächst überfordert, aufgrund seiner Schmeicheleien jedoch angetan, beschließt das Paar, den unerwarteten Gästen einen längeren Aufenthalt zu ermöglichen. Mit fatalen Folgen…

Die glorreichen Aspekte


Man kann nicht alles können – auch Darren Aronofsky nicht! Dabei sah es bei dem 48-jährigen Filmemacher lange Zeit so aus. In seiner Vita reiht sich ein visionäres Werk an das nächste und selbst bei streitbareren Projekten der Marke «The Fountain» ist der Respekt vor dem Stilwillen des Regisseurs immer noch groß genug, um über persönliche Antipathien hinwegzutäuschen. Kein Wunder also, dass da irgendwann einmal Hollywood anklopfen würde. Nachdem sich der bereits von einem großen Studio finanzierte «Black Swan» in seinem Dasein als Horrorthriller als Hit bei der breiten Masse disqualifizierte, sollte das Bibelepos «Noah» Aronofskys Eintrittskarte ins Blockbustergeschäft werden. Doch das Experiment schlug radikal fehl und der Lebenslauf des gebürtigen New Yorkers erhielt seinen ersten großen Dämpfer. Umso besser für die Fans seiner Filme aus früheren Zeiten: Mit «mother!» begibt sich Aronofsky nämlich wieder zurück zu seinen ganz frühen Wurzeln. Im Vergleich zu seinem neuesten Film, der nach seiner Uraufführung beim Filmfestival von Venedig direkt bejubelt und ausgebuht wurde, wirkt selbst der sukzessive Totentanz der Natalie Portman wie banales Popcornkino.

Ein Segen für Liebhaber experimentellen, exzentrischen und vor allem expressionistischen Kinos – «mother!» war im Jahr 2017 vermutlich der Tabubruchfilm schlechthin. Eine hochemotionale Tour-de-Force, der zum Start manch einer Blendwerk vorwarf. Wir sehen dagegen viel lieber einen Befreiungsschlag in «mother!», den sich einer der aufregendsten Filmemacher heutiger Zeit bitter verdient hat, nachdem ihn Hollywood kurzzeitig an die Kette legen wollte.

Der Vergleich mit «Black Swan» funktioniert allerdings nicht lange und auch nur auf einer Ebene – auch in «mother!» wird der Zuschauer Zeuge, wie eine junge Frau nach und nach dem Wahnsinn verfällt (und das Publikum gleich mit). Dabei beginnt alles so idyllisch und wer auf die Eskalation wartend vor dem Film hockt, weil er sich von dem provokant-reißerischen Marketing hat locken lassen, der kommt spätestens zur Hälfte sicher auf den Gedanken, dass die PR-Aktion mit ihren verworrenen Trailern und kryptischen Botschaften irgendwie interessanter war, als der Film selbst. Ein Paar lebt ein scheinbar glückliches Leben in der Einsamkeit und wird im besten Home-Invasion-Stil von zwei Fremden besucht (oder besser heimgesucht), die sich nach und nach in den vier Wänden breit machen.

Dabei ist es weder die Körperlichkeit, die auf die beiden Bewohner, vor allem aber auf Jennifer Lawrences («Joy») Figur einschüchternd wirkt, sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, die die beiden an den Tag legen. Schon bald sieht sich die Hausbesitzerin in einer unangenehmen Diskussion mit der Fremden verwickelt, die darüber zu urteilen scheint, wie es im Liebesleben ihrer Gastgeber wohl aussehen mag. Und Grenzen wie verschlossene Türen werden ebenso wenig toleriert, wie die Bitte, die Hände von gewissen Gegenständen im Haus zu lassen. Jedes Ereignis für sich genommen ergibt noch keine Katastrophe (insofern kann die von vornherein so resolute Ablehnung Lawrences schon ein wenig übertrieben erscheinen), doch die merkwürdigen Gebaren der beiden Gäste verdichten sich zu einem Kaleidoskop des subtilen Terrors, der sich dem Zuschauer nach und nach auf die Seele legt. Schon sehr bald schämen wir uns, Lawrences Figur im Stillen zugerufen zu haben, sie möge sich doch bitte erst einmal nicht so anstellen. Denn sie scheint schlicht und ergreifend geahnt zu haben, dass hier etwas gewaltig im Argen liegt.



Was genau das ist, ließe sich schnell umschreiben, doch es soll an dieser Stelle genügen, auf eine schleichende Eskalation und ein sukzessives Zusammenbrechen der Idylle zu verweisen, um gerade einmal anzureißen, was Darren Aronofsky in satten 120 Minuten an schwerem emotionalen wie visuellen Geschütz auffährt. «mother!» mag sich zunächst ein wenig auf seinem klaustrophobischen Erscheinungsbild ausruhen (der penible Kameramann Matthew Libatique unternimmt wirklich alles, um das Anwesen als dritten Protagonisten und immer durch die Augen von Lawrences Figur so verwinkelt und geheimnisvoll wie möglich erscheinen zu lassen) und die diversen verstörten Spaziergänge der verunsicherten Jennifer Lawrence entbehren mit der Zeit einer gewissen Redundanz – nicht zuletzt, weil sich Aronofskys Faszination für die verwackelte Rückansicht seiner Hauptdarstellerinnen langsam aber sicher erschöpft. Doch all das lohnt es sich, in Kauf zu nehmen, wenn sich «mother!» in der zweiten Hälfte in einen absoluten Albtraum verwandelt, der mit einem Exzess, einer Drastik und Gewalt daherkommt, dass es kein Wunder ist, dass zumindest im Rahmen der Hamburger Pressevorführung eine gute Handvoll Journalisten verfrüht den Saal verließ (das ist vermutlich das weniger prestigeträchtige Pendant zu den Buhrufen beim Filmfestival in Venedig). Aronofsky zeigt hier gerade im Finale Dinge, an denen sich die Geister so sehr scheiden werden, wie in keinem seiner Filme zuvor. Darf man das im Namen der Kunst, oder bricht er hier Tabu um Tabu? Eine Frage, die an dieser Stelle nicht beantwortet werden soll.

Wie schwer einem «mother!» schlussendlich im Magen liegt, ist auch davon abhängig, wie stark man den Genuss des Films auf Oberflächenreize reduziert, oder ob man sich die Mühe macht, die vielen (bisweilen ein wenig zu plakativ in Szene gesetzten) Symboliken und metaphorischen Verweise auf das Gezeigte zu übertragen. Angedeutet sei an dieser Stelle zumindest die Bezugnahme auf die Bibel – «mother!» ist letztlich vor allem eine absolut abgefuckte Schöpfungsmetapher, in der sich Darren Aronofsky zugegebenermaßen im Dienste des Horrorgenres austobt. Das wird nicht jedem gefallen, denn eindeutig lässt sich sein neuester Streich nun mal nicht lesen. Erst recht, wenn sich mit der aller letzten Einstellung andeutet, wie banal all das Gezeigte letztlich eigentlich ist, dürfte dem Filmemacher manch einer Effekthascherei vorwerfen. Vielleicht ist «mother!» das auch, weil sich sonst kaum mehr jemand um die allzu bekannte Schöpfungsgeschichte mitsamt ihrer Mehrdeutigkeit und Tragweite, übertragbar auf die Gegenwart, scheren würde – auch wenn ausgerechnet die (Computer-)Effekte zu den wenigen Schwachpunkten des Films gehören. Glücklicherweise hält sich die Anzahl in Grenzen, denn zumeist setzt Aronofsky auf kleine handgemachte Spielereien, um das Haus – im wahrsten Sinne des Wortes – mit Leben zu füllen.

Und gegen genau dieses Haus, zusammen mit der im besten Filmtitelsinne handelnden Jennifer Lawrence in einer überragend-spektakulären Performance haben letztlich noch nicht einmal solche Großkaliber wie Javier Bardem («James Bond: 007 – Skyfall»), Ed Harris («Die Truman Show»), Michelle Pfeiffer («Schatten der Wahrheit») oder Kristen Wiig («Das erstaunliche Leben des Walter Mitty») eine Chance – sie sind nur Staffage in einem Film, in dem die Hauptfigur ohnehin das Spektakel selbst ist.

«Demolition» ist via Amazon, maxdome, iTunes, Google Play, Microsoft. Rakuten TV, Videoload und Sony abrufbar.
08.07.2018 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/102165
Antje Wessels

super
schade


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007 – Skyfall Black Swan Das erstaunliche Leben des Walter Mitty Demolition Die Truman Show James Bond James Bond: 007 James Bond: 007 – Skyfall Joy Noah Schatten der Wahrheit Skyfall The Fountain mother!

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Nr27
08.07.2018 12:48 Uhr 1
Die zweite Hälfte ist wirklich fantastisch - keine Ahnung, ob ich mir die erste noch mal anschauen werde (denn die ist, obwohl natürlich sehr gut gemacht, ziemlich unangenehm mitanzusehen), aber die zweite definitiv.



Übrigens finde ich persönlich die Interpretation von "mother!" als Kunst-Allegorie am überzeugendsten: Bardems Schriftsteller steht dabei allgemein für die Künstler dieser Welt, Lawrences werdende Mutter ist seine Muse beziehungsweise Inspiration, das Baby ist ihr gemeinsames Werk. Die fanatischen Anhänger entsprechen der Überhöhung von Künstlern in unserer Gesellschaft, wohingegen die Aggressionen für vernichtende Verrisse oder auch schlicht die Vereinnahmung des Werks durch alle, die sich irgendwie dazu berufen fühlen, stehen.

Der Film könnte sogar eine Metapher für Darren Aronofskys Karriere sein angesichts der ursprünglichen Begeisterung über sein Werk (wie bei seinen ersten Filmen "Pi" und "Requiem for a Dream"), die in teilweise heftige Ablehnung umschlug (bei "Noah") ...
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