Reichsbürger machen in der Nähe Münchens ihre eigenen Regeln. Ein Gebirgsdorfwesternkrimi mit politischen Spitzen ...
Hinter den Kulissen
- Regie: Andreas Kleinert
- Darsteller: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Andreas Döhler, Anja Schneider, Peter Mitterrutzner, Sigi Zimmerschied, Ferdinand Hofer, Thorsten Krohn, Simon Zagermann, Ben Münchow
- Drehbuch: Holger Joos
- Kamera: Johann Feindt
- Schnitt: Vera van Appeldorn
- Musik: Daniel Kaiser
- Produktionsfirma: Claussen + Putz Filmproduktion
Reichsbürger. Es gibt zahlreiche Wege, sie zu beschreiben. Viele davon sind nicht jugendfrei. Schlussendlich handelt es sich dabei aber schlicht um Leute, die hanebüchene Ausreden, Behauptungen und Verschwörungstheorien nutzen, um sich selber Gründe zu geben, weshalb sie die Pflichten des deutschen Rechtsstaates vermeiden können. Steuern, das Führen eines Personalausweises, das Bezahlen der Rundfunkgebühren – so etwas. Gleichzeitig sind sie aber ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, die Vorteile einzufordern, die es mit sich bringt, in der Bundesrepublik Deutschland zu leben. Die Polizei soll mal schön kommen und was unternehmen, wenn der Nachbar nachts zu laut Musik hört. Und von Fällen, in denen Reichsbürger soziale Finanzspritzen einfordern, wird auch oft genug berichtet.
Kurzum: Reichsbürger sind quasi eine größere Form von den stinkfaulen Idioten, die in der Schule bei einer Gruppenarbeit keinen Finger rühren, weil man sie ja angeblich nicht dazu zwingen kann. Geht es dann aber an die Notenverteilung, belagern sie die Lehrerin und fordern, genauso gut wie der Rest der Gruppe benotet zu werden. Nur, dass Reichsbürger deutlich dreister sowie aggressiver sind und viel häufiger rassistische Weltbilder haben als die durchschnittlichen Gruppenarbeitsfaulenzer.
Da es bedauerlicherweise komplizierter ist, gegen die Plage Reichsbürger vorzugehen als gegen Notenschmarotzer, wird uns in der öffentlich-rechtlichen Fiktion das Thema der Verschwörungstheoretiker, die die Bundesrepublik als Firma ansehen, die sie abzulehnen berechtigt sind, künftig wohl häufiger begegnen. Schließlich einigen sich Krimireihen dazu, gesellschaftliche Probleme in einer verdaulichen Mördersuche zu verarbeiten. Der «Tatort» aus München gehört zu den ersten öffentlich-rechtlichen, fiktionalen Produktionen, die sich den Reichsbürgern annehmen. Und selbst wenn nicht zu erwarten ist, dass ausgerechnet eine gebührenfinanzierte Sendung fehlgeleitete Staatsablehner bekehren wird, erlaubt sich Drehbuchautor Holger Joos («Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben») einen kecken Episodeneinstieg, der den seltsamen Zeitgenossen gefallen könnte.
Denn einer der ersten Dialoge in diesem Neunzigminüter dreht sich um das massentauglichste Thema der Reichsbürger. Sozusagen um deren Kunstköder, mit dem sie leicht beeinflussbare Menschen auf ihre Seite zu locken versuchen: Die "Zwangsabgabe", die "GEZ-Steuer", das "unrechtmäßige" Verlangen einer Gebühr, um das "die Massen manipulierende Rundfunkorgan" zu finanzieren. Joos beweist hier eine spitze Feder, und im weiteren Verlauf des Krimis erlaubt er sich unter anderem mit einem dubiosen Wurstautomaten weitere kleine Späße, die diesen gemeinhin schweren, ein brennendes Thema anpackenden Film auflockert. Als Gegengewicht zu diesen kessen Einlagen dienen flüssig ins Dialogbuch eingebaute, kritische Seitenhiebe auf das Klima, das die Rechtsbürgerbewegung hat gedeihen lassen. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes werden über ein paar Zeilen dieses Films wütend schnauben. Aber – sorry, lieber Verfassungsschutz, du hast dir die Kritik erarbeitet. Oder eher erfaulenzt …
Regisseur Andreas Kleinert («Monsoon Baby») unterstreicht die Bedeutung, sich diesem Thema anzunehmen, verzichtet dabei aber auf die typische Schwerfälligkeit und die belehrende Melodramatik schwächerer Problemkrimis. Stattdessen nutzt er eine hochernste Inszenierung mit dunkler, edler ästhetischer Fallhöhe, um zu verdeutlichen, welche Gefahr es für eine Gesellschaft darstellt, wenn sich mehrere Gruppenarbeitsfaulenzer zusammenrotten und kontrolliert Sand ins Getriebe notwendiger Abläufe streuen.
Kleinert stilisiert das 'Freiland', in dem Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) & Ivo Batic (Miroslav Nemec) aufgrund eines Todesfalls, der wie ein Suizid inszenierter Mord anmutet, ermitteln müssen, mittels Westernanleihen. Dies ist aber nicht bloß eine Regiespielerei, die dem Neunzigminüter beim cineastisch bewanderten Publikum Pluspunkte einbringen soll, sondern auch eine thematisch begründete, starke Idee: Das abgelegene Dorf, das seine eigene Regeln macht, weckt durch die Westernreferenzen umso stärker Erinnerungen an den Wilden Westen, wo fernab von geordneten Städten kleine Siedlungen ihr eigenes Regelbuch schreiben.
Im Finale, das zu gleichen Teilen daraus besteht, dass die handlungstechnischen Verwicklungen hochkochen und die aufgeladenen Empfindungen der Figuren auszubrechen drohen, übertreiben es Kleinert und sein Kameramann Johann Feindt womöglich mit den Parallelen auf entromantisierte Western und setzen szenenweise so sehr auf Schatten, dass das Geschehen schwer zu entziffern ist. Dafür lässt Kleinert seinem Ensemble Raum, um nicht nur mit Dialogzeilen, sondern auch dazwischen ihren Figuren Leben einzuhauchen. Vor allem Andreas Döhler als Wortführer der 'Freiländer' begeistert schauspielerisch – umschmeichelndes Timbre und eiskalte Doppelzüngigkeit zeigen sowohl seine Rattenfängerfähigkeit auf wie seine Verlogenheit.
Schade nur, dass sich gelegentlich etwas Landidylle in den Münchener «Tatort» fast ohne München einschleicht – das hemmt den Biss des Neunzigminüters und gibt besonders verwirrten Zuschauern vielleicht falsche Ideen. "Immerhin fängt der Film ja mit Rundfunkgebührenkritik an – hey, vielleicht bekomme ich auch was Idylle zurück, wenn ich mich zu zahlen weigere?!" Nein, Mann, du bekommst keine Eins, nur weil du körperlich anwesend warst, während wir das Referat vorbereitet haben!
«Tatort – Freies Land» ist am 3. Juni 2018 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
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