Die erste Staffel der Teenie-Serie sorgte für heftige Kritik, nun sorgte Staffel zwei durch explizite Szenen erneut für Skandale. Nahm Netflix dies für den kurzfristigen Erfolg billigend in Kauf?
Es war einer der großen Aufreger des TV-Jahres 2017 und Netflix erfüllte damit ein Versprechen. Das Versprechen, Inhalte zu produzieren und bereitzustellen, an die sich herkömmliche Fernsehproduzenten nie trauen würden und die traditionelle Fernsehsender meiden würden wie der Teufel das Weihwasser. Streaming-Dienst Netflix wollte von Anfang an zum Spielplatz der Kreativen werden und auch gewagten Stoffen eine Chance geben – anders als die auf Massentauglichkeit bedachten, werbefinanzierten Fernsehsender. Mit diesem Ziel im Hinterkopf entstand auch «13 Reasons Why», im Deutschen «Tote Mädchen lügen nicht». Vordergründig fand sich in der am 31. März 2017 auf Netflix gestarteten Serie eine Teenie-Serie rund um eine typische US-Highschool. Doch schnell wurde klar: Dieses Format will mehr, als nur eskapistische Unterhaltung für Heranwachsende und junge Erwachsene zu bieten.
Wie Kritiker «13 Reasons Why» anklagten
Schon die Prämisse von «13 Reasons Why» barg Brisanz. Eine Schülerin hatte sich umgebracht und nannte ihren Mitschülern auf Audio-Kassetten 13 Gründe für ihre Tat. Doch das Netflix-Original machte nicht beim Thema Selbstmord Halt, sondern behandelte auf für viele Menschen verstörende Art und Weise auch Themen wie Mobbing und psychische Gewalt, bildete Vergewaltigungen und sogar den angesprochenen Suizid explizit ab. So bewirkte die Highschool-Serie einen Skandal unter Jugendschützern.
«13 Reasons Why» wurde vorgeworfen, Suizid zu glorifizieren und damit zu Nachahmungstaten anzuregen. Genannt wurde unter anderem der „Werther-Effekt“ - ein Begriff aus der Medienwirkungsforschung, der die Annahme bezeichnet, dass ein Zusammenhang zwischen Suiziden in den Medien und einer Erhöhung der Suizidrate in der Bevölkerung besteht. Psychologen warnten des Weiteren, die Serie könne bei jugendlichen Zuschauern zu psychischen Problemen führen oder bereits bestehende bestärken. Kurz darauf häuften sich Meldungen, Schüler hätten sich selbst verletzt und die Serie als Grund genannt. In Kanada und Neuseeland wurde «13 Reasons Why» teilweise verboten oder die Rezeption nur im Beisein der Erziehungsberechtigten erlaubt.
Festhalten am fragwürdigen Erfolgskonzept
Netflix «13 Reasons Why»-Studie'
Als Reaktion auf die Kritik an «13 Reasons Why» gab Netflix eine Studie bei der Notherwestern University in Illinois in Auftrag. Laut den Befunden der Studie fiel es 71 Prozent der Teenager und jungen Erwachsenen, die die Serie gesehen haben, leicht, sie auf ihr eigenes Leben zu beziehen. Fast drei Viertel sagten aus, die Serie erleichtere den Umgang mit sensiblen Themen. Die Wörter "Suizid" oder "Psychische Krankheit" kamen allerdings nirgendwo in der Studie vor.Übertrieben die Kritiker oder handelte Netflix wirklich verantwortungslos, die Serie von Brian Yorkey einfach so ins Angebot durchzuwinken? Fest steht: Der VoD-Riese gab sich alle Mühe, den kritischen Stimmen im Nachgang den Wind aus den Segeln zu nehmen und damit die Weichen für die Zukunft des Formats zu stellen. Denn «13 Reasons Why» kam unter den Netflix-Abonnenten ungemein gut an, fand seinen Weg in die Popkultur und zählt heute zu den meistabgerufenen Serien des Streaming-Anbieters. Über elf Millionen Tweets wurden kurz nach der Veröffentlichung über das Format abgesetzt. Im Jahr 2017 stieg «13 Reasons Why» sogar zur meistgegoogleten Serie auf. Ein Jahr später verkündete Netflix, eine vom Streaming-Dienst in Auftrag gegebene Studie habe herausgefunden, die Serie habe einen positiven Einfluss auf junge Zuschauer gehabt (siehe Info-Box). Um die guten Intentionen weiter zu verdeutlichen, ergänzte Netflix das Intro und den Abspann jeder neuen Folge zudem um Warnhinweise und Verweise auf die Serien-Webseite, die über psychische Probleme aufklären soll.
Diese Maßnahmen befriedeten die Kritiker zunächst, ehe Staffel zwei am 18. Mai 2018 bei Netflix erschien. All die Psychologen, Ärzte, Jugendschützer und besorgten Eltern erlebten ein Déjà-vu. Gewiss, Netflix kam seinem Versprechen bezüglich prominent platzierter Warnhinweise nach, doch inhaltlich trat «13 Reasons Why» unbeirrt die nächsten Diskussionen und Skandale los, durch die das Format wieder in den Fokus der Medien geriet. Besonders eine weitere Vergewaltigungsszene, expliziter als jemals zuvor in einer Serie mit und für Teenager, sorgte für einen weiteren Aufschrei. Diese und weitere Aufreger riefen unter anderem den Parents Television Council (PTC) auf den Plan, eine Organisation, die es sich zum Ziel macht, Familien vor Sex, Gewalt und Profanität im Fernsehen zu schützen. Als „tickende Zeitbombe“ bezeichnete der PTC-Präsident «13 Reasons Why». Inhalt und Themen der zweiten Staffel seien noch schlimmer und besorgniserregender als man es sich vorgestellt habe.
Damit hatte der Jugendschützer nicht ganz Unrecht. Tatsächlich drückte «13 Reasons Why» in Staffel zwei die gleichen Knöpfe, die schon im Rahmen von Staffel eins für Aufregung und Aufmerksamkeit sorgten und dem Streaming-Dienst damit Zuschauer und neue Abonnenten brachten. Gerade angesichts der Entscheidung, im Rahmen von sensiblen Themen noch expliziter zu werden, muss man sich die Frage stellen, wie viel Kalkulation hinter den Skandalen steckt, die die Netflix-Serie bereits hervorrief. Womöglich unterschätzte Netflix in Staffel eins noch den negativen Effekt, den «13 Reasons Why» auf einige Zuschauer haben könnte. Die Tatsache, dass Netflix und die Serienproduzenten nichts an ihrer „Erfolgsformel“ veränderten, deutet jedoch darauf hin, dass der Streaming-Dienst es billigend in Kauf nimmt, durch Sensationalismus und Skandale zum Erfolg zu gelangen.
Kurzfristiger Erfolg auf Kosten des Images?
Und tatsächlich: Die Zugriffe auf «13 Reasons Why» stiegen enorm. Laut Nielsen betrug die Zuschauerzahl des Staffelauftakts in den USA in den ersten drei Tagen nach der Staffel-Veröffentlichung durchschnittlich 6,1 Millionen pro Minute – deutlich mehr als in Staffel eins und fast doppelt so viele wie im Rahmen des von Kritikern gefeierten «The Crown». In Deutschland zählte Gold Media nach einer Woche ebenfalls ganz starke 7,73 Millionen Bruttoabrufe. Ein positives Kritikerecho kann «13 Reasons Why» unterdessen nicht mehr bescheinigt werden. So beschrieb der „Hollywood Reporter“ die zweite Staffel als „Traurigkeits-Porno“, der sich in den psychischen Problemen seiner Protagonisten suhle. Auch „Variety“, das die zweite Staffel eher positiv bewertete, wies auf die Tendenz zur Exploitation hin, also eine reißerische Grundsituation auszunutzen, um Zuschauer anzulocken. „Vulture“ nannte die 13 neuen Episoden den vergebenen Versuch ihre eigene Existenz zu rechtfertigen und schlug damit in die gleiche Kerbe vieler Beobachter, die schon nach Staffel eins befanden, die Geschichte von «13 Reasons Why» sei eigentlich auserzählt.
Aus ökonomischer Sicht scheint die Fortsetzung des Teenie-Dramas also Sinn gemacht zu haben, inhaltlich fügte sie der Reputation von Netflix eher Schaden zu, kokettierte der Streaming-Dienst doch lange damit, seine Serien aufgrund des Abo-Modells nicht solange weitermelken zu müssen bis sie keine Milch mehr geben. Eine Vorgehensweise, die herkömmlichen Fernsehsendern bereits viel Geld einbrachte, aber die Qualität einstiger Hit-Serien den Bach hinuntergehen ließ. Starke Abrufzahlen, heftige Kritik und schlechte Rezensionen. Was ergibt das unterm Strich? Eine Absetzung oder eine dritte Staffel?
Executive Producer Joy Gorman Wettels verteidigte die Verlängerung der Serie um eine zweite Staffel erst kürzlich in einem Interview. Die Charaktere, die die Serie aufgebaut habe, seien noch lange nicht auserzählt und stünden erst am Beginn ihrer Reise. Auch nach den Ereignissen in Staffel zwei sieht Wettels inhaltlich viel Potential für eine mögliche Staffel drei. Dass die Produzenten die Show weiterlaufen lassen wollen, ist klar. Netflix sollte sich jedoch gut überlegen, in welche Richtung es sich mit einer Serie wie «13 Reasons Why» bewegen will und ob der Streaming-Dienst bei einer möglichen dritten Staffel nicht näher in die Produktion eingreifen sollte, um nicht nur einen weiteren Qualitäts-, sondern auch einen weiteren Imageverlust zu vermeiden. Im Rahmen der zweiten Staffel entschied sich Netflix für den kurzfristigen Erfolg – und kann die Kosten noch nicht abschätzen.
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
03.06.2018 10:54 Uhr 1
03.06.2018 12:46 Uhr 2
Der Verein, der alle Serien, Filme und Shows, die nicht nach christlichen Werten ausgelegt sind, am liebsten vom Bildschirm verbannen möchte? Der Verein der offen immer toleranz fordert für die armen Christen, aber selbst übelst gegen Homosexuelle und Liberale hetzt?
Der einst Serien wie Will & Grace, Dawsons Creek und Buffy als schlimmste Serien bezeichnete, weil sie schwule/lesbische Paare hatten?
Der Verein, der immer wieder versucht, seine Interesse mit Erpressung (Aufruf zum Protest gegen Werbefirmen, damit die ungeliebte Serie/Film abgesetzt wird) ?
Da hättet ihr euch auch deutlich bessere Beispiele suchen können.
Oder zumindest mal die Facebook Seite der PTC durchlesen können, denn dort gehts seit Wochen rund.
Die Kritik an 13 reasons Why von diesem Verein ist absolut lächerlich.
Da wird versucht vor Gefahr zu warnen, aber gekonnt ignoriert das es solche Sachen gibt. In der heilen Welt der PTC gibt es kein Mobbing, kein Sex vor der Ehe und schon gar keine Homosexualität.
Gleichzeitig unterstützt man einen Präsidenten der offen jeden Tag auf Twitter mobbing betreibt.
Man sollte eher umgekehrt Fragen. Suhlen sich Medien, Presse und Vereine nicht eher im Licht der aktuell hippen Serie? Jedes Käseblatt schreibt über die Serie in der Hoffnung Aufmerksamkeit zu erhaschen, von einer Zielgruppe, die ihr sonst shcon längst den Rücken gekehrt hat.